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Indien 2012
Reise in eine andere Welt
17. Februar – 16. März 2012
Endlich steht uns wieder ein neues Abenteuer bevor. Diesmal möchten wir ein Land bereisen, das uns schon eine ganze Weile beschäftigt, uns aber bisher eher etwas suspekt war. Den Ausschlag für eine Reise nach Indien gab schließlich die Möglichkeit, den vom Aussterben bedrohten Königstiger (auch Bengalischen Tiger) noch in freier Wildbahn sehen zu können. Das möchten wir erleben, solange es diese faszinierenden Großkatzen noch gibt. Und weil nicht nur wir diesen Wunsch hegen, werden uns unsere Foto- und Reisefreunde Andrea und Christian auf diese Reise begleiten.
Die Meinungen über Indien als Urlaubsland gehen weit auseinander; die einen lieben es, die anderen hassen es. Nun möchten wir uns selbst ein Bild von diesem Land machen. Wir werden viel Zeit in drei indischen Nationalparks verbringen, in denen noch einige Tiger leben. Aber wenn wir schon einmal dort sind, wollen wir uns natürlich auch noch ein paar der spektakulärsten indischen Heiligtümer und Städte ansehen.
Nach einer ersten Grobplanung erweiterten wir die ursprünglich geplanten 3 Wochen bereits auf 4 Wochen, denn rasch wurde uns klar, dass das Land eine Fülle von Sehenswertem zu bieten hat. Je mehr wir uns durch die zahlreichen Reiseführer (Reise Knowhow, Loose, Lonely Planet, Vis-a-Vis von Dorling Kindersley) kämpften, das Internet nach Informationen durchsuchten, zahlreiche Reiseberichte verschlangen, Dokumentationen und Bildvorträge ansahen und uns mit erfahrenen Indienreisenden austauschten, umso neugieriger machte uns dieses Land. Dabei war es in unseren Köpfen doch bis dahin mit so vielen Vorurteilen belegt – schmutzig, arm, laut, viele Menschen, eine Menge schlimmer Krankheiten und zu essen gibt es nur Reis und Curry (wovon ich gar kein Fan bin).
Basis unserer Reiseplanung waren die drei Nationalparks, in denen wir uns gute Sichtungen des vom Aussterben bedrohten Bengalischen Tigers erhofften. Bandhavgarh, Kanha und Jim Corbett Nationalpark sind bekannt für größere Tigerpopulationen. Im Corbett NP besteht außerdem die (einzige) Möglichkeit, wilde Exemplare des asiatischen Elefanten zu sehen. Zwar gibt es auch im Ranthambore NP gute Chancen für Tigersichtungen, doch der soll extrem überlaufen sein und so verzichteten wir darauf, ihn ebenfalls in die Planung aufzunehmen.
Um diese Nationalparks herum wollten wir dann so viele kulturelle Highlights wie möglich sehen. Gesetzt waren dabei der Goldene Tempel in Amritsar und natürlich das weltberühmte Taj Mahal in Agra.
Bei einigen Spezialanbietern für Indienreisen haben wir uns dann Touren nach unseren Vorstellungen zusammenstellen lassen. Rasch wurde jedoch klar, dass die deutschen Anbieter unsere Anforderungen nicht in dem Maß erfüllen konnten, wie wir es gern gehabt hätten. Zu speziell waren unsere Wünsche. Es ist einfach ein großer Unterschied, ob man als „normaler“ Tourist oder als Fotograf in so einem Land unterwegs ist. Also wurden wir mutig. In der Hoffnung, dass ein inländischer Reiseanbieter über hoffentlich sehr gute Kontakte vor Ort und eine Menge Insiderwissen verfügt und uns so am besten eine Tour nach unseren Vorstellungen und Vorgaben zusammenstellen kann, versuchten wir es mit einem indischen Anbieter, den wir bei Recherchen im Internet fanden. Rasch zeigte sich, dass wir mit Forts & Palaces Tour Ltd. Jaipur (www.palaces-tours.com) eine gute Wahl getroffen haben. Der Chef der Agentur, Mr. Bahadur Singh Rajawat spricht ebenso wie sein Mitarbeiter Mr. Mishra, der uns die Tour geplant hat, sehr gut Deutsch, was natürlich die Kommunikation für uns deutlich leichter machte. Schon die erste Planung war exzellent, vollständig ausgearbeitet und traf bereits weitgehend unsere Vorstellungen. Sogar ein „Kürprogramm“ war bereits enthalten. Wir waren total begeistert, fühlten uns verstanden und gut aufgehoben. Nach einigem „Feintuning“ stand dann unsere Reise fest. Sie würde uns von Delhi über Amritsar nach Haridwar, in den Jim Corbett NP, nach Agra, Varanasi, Khajuraho, in den Bandhavgarh NP, Kanha NP, über Nagpur zurück nach Delhi führen. Um die einzelnen Destination zu erreichen, werden wir mit PKW, Zug und zwei Inlandflügen unterwegs sein. Wir werden stets ein Fahrzeug (Toyota Innova) mit Fahrer zur Verfügung haben, in den Städten betreut uns ein lokaler deutsch- oder englisch sprechender Guide, in den Nationalparks hat jedes Paar einen eigenen Jeep, damit wir uns beim Fotografieren nicht gegenseitig behindern und auf insgesamt 19 Safaris bekommen wir hoffentlich den vom Aussterben bedrohten Bengalischen Tiger oft und gut vor die Linse. Ein volles Programm für 4 Wochen!
Alle Hotels, in denen wir übernachten werden, haben gehobenen Standard, so dass wir davon ausgehen können, nicht auf Komfort verzichten zu müssen. Lediglich in der Kernzone des Jim Corbett NP gibt es nur ein Camp mit Basisstandard und die Nachtzugfahrt nach Agra wird uns etwas Toleranz abverlangen.
Das Risiko, den Reisepreis nach Indien zu überweisen, waren wir bereit einzugehen, auch wenn es ganz schön mutig ist, ohne die in Deutschland üblichen Sicherheiten (Sicherungsschein) und fern der deutschen Rechtsprechung einen solchen Vertrag zu schließen.
Als es dann an die Feinplanung unserer täglichen Aktivitäten ging und wir uns mit den Sehenswürdigkeiten vor Ort auseinander setzten, wurde die Neugier auf Land und Leute von Tag zu Tag größer. Wir waren mächtig gespannt auf dieses Land mit den vielen Gesichtern, in dem Faszination und Entsetzen grenzenlos ineinander überzugehen scheinen.
Zusätzlich zu den ohnehin üblichen Schutzimpfungen (Diptherie/Tetanus/Wundstarrkrampf, Polio) sind wir gegen Hepatitis A und B, Typhus und Meningokokken geimpft. Bevorratet mit einer größeren Menge Desinfektionstüchern, einer Reiseapotheke mit Schwerpunkt auf Durchfallerkrankungen ausgerichtet, Malarone gegen Malaria als Standby-Medikation und Hochprozentigem zur inneren „Reinigung“ fühlen wir uns gut ausgestattet. Außerdem packen wir vorsichtshalber noch ein paar Minisalamis ins Gepäck – schließlich ist Indien das Land der Vegetarier, die Kühe sind heilig und Schwein sollte eher nicht auf unserem Speiseplan stehen. Aber gut, ein wenig Abspecken schadet uns gar nicht. Sehen wir es eben als 4-Wochen-Diät!
Für eine Indien-Reise benötigt man ein Visum. Das erhielten wir bei der CIBT Visum Centrale (www.visum-centrale.de) in München. Wir mussten ein sehr aufwendiges Formular ausfüllen und benötigten Passfotos mit speziellen Maßen. Zusammen mit den Reisepässen schickten wir alles zur CIBT. Zwei Wochen später und gegen Zahlung einer stattlichen Gebühr erhielten wir unsere Reisepässe mit einem Tourist-Visum für Indien zurück.
Die Flüge haben wir wie immer selbst über das Internet gebucht. Diesmal ritt uns sogar der Ehrgeiz, einen möglichst konkurrenzlos günstigen Flug zu bekommen. So verglich Uwe immer montags (da sind die Flüge am Günstigsten) die Preise und Fluggesellschaften. Mit Air India zu fliegen, erschien uns nach dem letzten, veröffentlichten Sicherheitsranking dann aber doch zu mutig. So schwankten wir zwischen Lufthansa und Etihad Airlines, einer der besten Airlines im Ranking und gut 400 EUR pro Person günstiger als Lufthansa. Allerdings bedeutete dies einen Zwischenstopp in Abu Dhabi, was bei der Aussicht auf zollfreies Shopping jedoch nicht wirklich ein großes Opfer ist. Etihad Airlines bekam schließlich unseren Zuschlag.
So fieberten wir dem Tag entgegen, an dem wir endlich in unser neues Abenteuer Indien starten können – unseren Besuch einer gänzlich anderen Welt.
17.02.2012 Frankfurt – Abu Dhabi
Diesmal wird unser Urlaubsstart vom Streik der Fluglotsen in Frankfurt und Blitzeismeldungen überschattet. Das Wetter ist jedoch gnädig mit uns und wir erreichen Frankfurt ohne Probleme. Freundlicherweise werden die Interkontinentalen Flüge trotz Fluglotsenstreik ohne Einschränkung abgefertigt, so dass wir keinerlei Beeinträchtigungen erfahren.
Der Service von Etihad Airlines ist sehr gut. Obwohl die Platz- und Beinfreiheit Wünsche offen lässt verschlafen wir die meiste Zeit des Fluges bis Abu Dhabi. Sogar das Dessert verpennen wir, bekommen es später aber prompt nachgeliefert.
Während unseres kurzen Zwischenaufenthaltes in Abu Dhabi bummeln wir ein wenig durch die noblen Shops, essen noch einen letzten Mc-Burger und gucken ein bisschen Leute. Die Araber mit ihren wallenden Gewändern sind immer wieder ein Hingucker aber auch viele Inder warten auf ihren Weiterflug, so dass es sehr kurzweilig ist.
18.02.2012 Abu Dhabi – Delhi (Hotel „The Amber“)
Nach drei Stunden Zwischenaufenthalt geht es mit Jet-Airways, einer indischen Fluggesellschaft, weiter nach Delhi. Der Service ist wesentlich schlechter, als bei Etihad Airlines, das Essen ungenießbar und die Maschine ziemlich schmutzig. Kurz bevor die Maschine landet, wird sie desinfiziert. Das ist eigentlich nicht ungewöhnlich, und erfolgt bei allen Maschinen, doch davon spürt der Fluggast in der Regel nichts. Diesmal wird aber auf indische Art desinfiziert. Eine der Stewardessen hält eine große Sprühdose in die Höhe und läuft damit durch den Gang. Aus der Dose kommt unter starkem Druck jede Menge Desinfektionsmittel, das sich in großen Wolken an der Decke sammelt. Uwe will gerade den Rucksack aus dem Gepäckfach nehmen, als er eine solche Ladung Desinfektionsmittel abbekommt. Ich kann ihm nur noch zurufen, er soll den Kopf einziehen, damit er nicht die ganze Dosis Gift einatmet. Unglaublich, wie man damit umgeht. Normalerweise wird das Zeug über feine Düsen unter der Decke in das Flugzeuginnere geblasen oder man zeigt eine leere Dose vor.
Frisch und gründlich desinfiziert landen wir morgens um 6 Uhr in Delhi. Dicker Nebel liegt in der Luft und man hat das Gefühl, die Luft in Stücke schneiden zu können. Mit 9°Celsius ist es verhältnismäßig kühl. Die Passkontrolle bei der Einreise dauert ewig, denn die Halle ist voller Menschen. Dafür bekommen wir dann unser Gepäck recht schnell.
Wir treten in die gepflegt wirkende Empfangshalle, wo sich die auf Neuankömmlinge Wartenden mit Namensschildern drängen. Als wir voller Erwartungen die Schilder nach unserem Namen absuchen, finden wir kein Schild mit unserem Namen. Niemand wartet auf uns, obwohl eigentlich im Reiseverlauf von „einer warmen, herzlichen Begrüßung“ die Rede war und uns unser Guide hier empfangen sollte. Zweimal laufen wir die Reihe der Wartenden ab, doch Keiner wartet auf uns. Uns wird abwechselnd heiß und kalt. Waren wir zu naiv, einer indischen Agentur über das Internet ohne Sicherheiten unser Geld anzuvertrauen? Wurde unser Vertrauen missbraucht? Was machen wir jetzt, wenn die Reise geplatzt ist? Solche und ähnliche Fragen gehen uns durch den Kopf und wir versuchen erst einmal, nicht in Panik zu geraten. Durch die Scheibe der Außenfassade sehen wir, dass auch Draußen noch eine Menge Leute mit Namensschildern warten, doch wenn man einmal das Empfangsgebäude verlassen hat, kommt man nicht wieder herein. So kann Uwe nicht schnell mal draußen schauen, ob dort Jemand für uns steht.
Andrea und Christian fliegen ab München und ihr Flieger der Lufthansa landet, sofern das Winterwetter in München einen pünktlichen Start zugelassen hat, in zwei Stunden. Wir beschließen, erst einmal durchzuatmen und am Wechselschalter Geld zu holen (einen Geldautomaten gibt es leider nicht). Das brauchen wir schließlich auf jeden Fall. Als wir gerade zum Schalter laufen wollen, kommt ein Mann in das Gebäude gerannt und sieht sich suchend um. Ich laufe ein Stück auf ihn zu, um seinen Zettel lesen zu können. Erleichtert stelle ich fest, dass dort unser Name drauf steht. Er stammelt eine Entschuldigung, für seine Verspätung. Wir lächeln nachsichtig, doch eigentlich denke ich: „Junge, Du kannst von Glück reden, dass wir gut geschlafen haben, sonst würde ich Dir eine runterhauen für den Schrecken, den Du uns gerade eingejagt hast.“
Seinen Namen – mit zarter Stimme hingehaucht – haben wir leider nicht verstanden, also nennen wir ihn Ranjit – damit kann man in Indien nicht viel falsch machen (haben wir schließlich von Kaya Yanar gelernt). Unser Ranjit hat es nicht so mit der Kommunikation. Statt ein paar Worte mit uns zu reden, hängt er permanent am Handy. Es dauert dann auch eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich ein Fahrzeug mit Fahrer herbei telefoniert hat, das uns in unser Hotel „The Amber“ bringen soll.
Der erste Kontakt mit dem indischen Straßenverkehr treibt uns den Angstschweiß auf die Stirn. Fahrspuren gibt es zwar teilweise, aber die interessieren keinen. So wird aus drei gezeichneten Spuren ein 5 bis 6-spuriger Verkehr. Jeder fährt, wie er will, überholt wird rechts und links und gehupt wird permanent. Das ist zwar nicht aggressiv, und heißt wohl so viel wie „Achtung, ich komme, ich bin hier“, aber dafür hupt es ständig. Die Palette der Verkehrsteilnehmer ist so bunt, wie das Land. Bunte, total überladene LKWs, Fahrradrikschas, Tuk-tuks, vollgeladene Ochsenkarren, Karren die von Menschen gezogen werden, Motorräder und Mopeds, auf denen die ganze 4 oder 5-köpfige Familie Platz findet, Autos, Busse, Fahrräder. Dazwischen Fußgänger, streunende Hunde und Kühe, die mitten auf der Straße stehen oder liegen und um die jeder wie selbstverständlich einen Bogen fährt. Es ist unglaublich, dass dieser Verkehr überhaupt rollt und es nicht permanent zu Unfällen kommt. Die ersten Kilometer treten wir fast das Bodenblech durch, doch dann entspannen wir uns langsam und finden Spaß an diesem bunten Treiben, das einem großen Ameisenhaufen ähnelt. Wir müssen schließlich nicht selbst fahren und der Fahrer scheint zu wissen, was zu tun ist. Es gibt viel zu viel zu sehen, als dass wir uns Gedanken um den Verkehr machen könnten. Wir saugen das Leben am Straßenrand in uns auf. Es kommt uns vor wie in Afrika, nur noch viel intensiver und bunter. Uns interessiert und gefällt, was wir hier sehen. Wir möchten mehr davon!
Uns zum Hotel „The Amber“ zu bringen, wo wir die nächsten zwei Nächte verbringen werden, scheint für Fahrer und Guide allerdings eine größere Hürde zu sein. Die Beiden müssen sich erst durchfragen. Es dauert mehrere U-Turns und Fehlversuche, bis sie das kleine Hotel gefunden haben. Selbst Passanten und Anwohner werden nach dem Weg befragt. Wir versuchen, uns nichts dabei zu denken. Etwas ziemlich dilettantisch wirkt das Ganze aber bisher schon auf uns. Hoffentlich geht das nicht die ganze Reise so weiter.
Als wir das Hotel endlich erreicht haben, sind wir angenehm überrascht. Es macht einen guten Eindruck, ist sauber und ruhig, wir werden freundlich empfangen und es ist auch überhaupt kein Problem, dass wir so früh am Morgen da sind. Unser Zimmer ist sehr schön eingerichtet. Die Ausstattung entspricht europäischem Standard. Da wir das indische Frühstück im Flieger verschmäht haben, meldet sich so langsam der Hunger. So nutzen wir die Zeit, bis Andrea und Christian ankommen, für ein stärkendes Frühstück im Hotel. Sehr freundlich und zuvorkommend wird uns trotz Buffet alles serviert und nichts scheint ein Problem zu sein.
Die Freude ist groß, als endlich auch Andrea und Christian ankommen. Nach einer kurzen Verschnaufpause für die Beiden brechen wir mit einem Kleinbus zur ersten Besichtigungstour Delhis auf.
Zuerst halten wir am Humayuns Tomb. Es steht im Stadtviertel Nizamuddin-Ost, an der Kreuzung Lodi Road und Mathura Road, etwa 5 km von Connaught Platz entfernt in einer weitläufigen, sehr gepflegten Parkanlage.
Das prächtige Mausoleum zeigt sich in einer perfekten Symmetrie und ist ein bedeutendes Beispiel der Mogul-Architektur, denn es war das erste prächtige Grabmal, das später noch für viele andere als Vorbild diente. Mitte des 16. Jhs. wurde es von der ältesten Frau und Hauptwitwe des zweiten Großmoguls Humayun, Haji Begum in Auftrag gegeben. Haji Begum ist selbst in diesem ersten Mogul-Grabmal beigesetzt. Wir besichtigen dieses schöne Grabmal und sind beeindruckt von den vielen kunstvollen Details. Durch Jalis; feines Gitterwerk aus Stein, fällt dezentes Tageslicht in die Grabkammer und lässt den weißen Marmorsarkophag erstrahlen.
Auf dem parkähnlichen Gelände befinden sich noch weitere schöne Grabmäler, darunter auch das des Lieblingsbarbiers des Herrschers. Leider fehlt uns aber die Zeit für dessen Besichtigung. Das müssen wir wohl auf einen nächsten Besuch verschieben.
Zwar spricht unser Ranjit etwas deutsch, doch wirklich viel hat er uns nicht zu sagen. Gut, dass wir uns schon im Vorfeld recht intensiv vorbereitet haben und unsere eigene Beschreibung der Sehenswürdigkeiten dabei haben. Sonst würden wir ziemlich unwissend dastehen. So können wir uns nun wenigstens auf das Fotografieren konzentrieren.
Als Nächstes fahren wir ins Regierungsviertel am Connaught Place. Hier betrachten wir den Präsidentenpalast und das berühmte India Gate aus rotem Sandstein, das dem Arc de Triomphe in Paris stark ähnelt. Vor dem India Gate drängen sich riesige Menschenmassen, sodass wir darauf verzichten, uns mit in dieses Gewusel zu begeben. Das Tor sehen wir auch aus sicherer Distanz.
Die Fahrt geht weiter in Richtung Altstadt. Wir steuern die Moschee Jama Masjid an, die zwischen 1644 und 1656 erbaut wurde. Die „Freitagsmoschee“ aus rotem Sandstein und weißem Marmor ragt hoch über Old Delhi empor und bietet einen Rundblick auf das Rote Fort und die Straßen der Altstadt. Eine breite Treppe führt zum Torbogen herauf. Auf dem großen Innenhof haben zum Freitagsgebet bis zu 25.000 Gläubige Platz. Das zentrale Wasserbecken (dukka) dient der rituellen Reinigung. Die Hauptgebetshalle im Innenhof wird von drei zwiebelförmigen Kuppeln aus Marmor überragt. Neben drei Toren und vier verwinkelten Türmen gibt es auch noch zwei 40 m hohe Minarette. Doch bevor wir den Ausblick auf die Straßen der Altstadt genießen können, heißt es Schuhe und Strümpfe ausziehen und wir Frauen bekommen – trotz sittsamer Kleidung und bedeckter Schultern – einen küchenschürzenähnlichen Kittel, der abscheulich aussieht. Widerspruch ist leider zwecklos.
Obwohl verhältnismäßig viele Touristen die Moschee besichtigen, wird in ihr auch gebetet. Allerdings ist das den Männern vorbehalten. Frauen haben ihren eigenen Gebetsraum in einer anderen Ecke außerhalb der Hauptgebetshalle. Wir dürfen uns umsehen und sogar fotografieren. Immer wieder werden wir von Einheimischen angesprochen, ob sie mit uns ein Foto machen können oder ob wir von ihnen ein Foto machen. So bekomme ich ein Baby in die Hand gedrückt, werde von jungen Burschen eingerahmt oder darf Schulmädchen fotografieren. Andrea geht es ähnlich und wir haben unseren Spaß. Blonde Europäerinnen sind in Indien offensichtlich etwas Besonderes.
Da auf dem Innenhof der Moschee die Tauben gefüttert werden, liegen überall Taubenhinterlassenschaften. Das ist voll eklig mit nackten Füßen und so segnen wir beim Verlassen der Moschee die Desinfektionstücher, die wir immer griffbereit haben.
Nun steht ein Besuch der Altstadt (Old Delhi) an. Wir besuchen den Kinari-Basar und haben die Wahl zwischen Fahrradrikscha und zu Fuß gehen. Wir entscheiden uns für die zu-Fuß-Variante. In den schmalen Gassen, in denen rechts und links ein kleiner Laden am anderen ist, fahren Rikschas, werden Karren voller Waren gezogen, fahren Mopeds und Motorräder, stehen Verkaufsstände und laufen Fußgänger und das auch noch mit Gegenverkehr. Es ist unbeschreiblich, dieses Gewusel und wir sind total überwältigt von den vielen Eindrücken. Zwar müssen wir immer wieder ausweichen, um nicht von einem Gefährt aufgegabelt zu werden, doch es ist ein Heidenspaß. Hier erleben wir Indien wirklich hautnah. Über uns hängen Stromkabel, die ein wenig an ein aus der Hand geworfenes Mikado erinnern. Was für ein Chaos, doch es scheint zu funktionieren – hin und wieder wenigstens!
Wir können uns kaum losreißen und unser Ranjit hat alle Hände voll zu tun, uns zusammenzuhalten, was er stillschweigend und mit stoischer Gelassenheit tut.
Begeistert kehren wir zum Bus zurück. Nun geht die Fahrt zu Indiens bedeutendstem Nationalmonument, dem Rajghat. Am Ufer des Yamuna, in einer gepflegten Parkanlage, befindet sich das Grabmal von Mahatma Ghandi. Hier wurde Mahatma Ghandi, der Vater der Nation, nach seiner Ermordung 1948 eingeäschert. Auf einer einfachen viereckigen Plattform aus schwarzem Marmor stehen Ghandis angeblich letzte Worte „Hai Ram („Oh Gott“). Orangefarbene Ringelblumen schmücken die schlichte schwarze Marmorplatte. Nachdem auch wir Mahatma Ghandi unsere Ehre erwiesen haben (angeblich bringt ein Besuch hier sogar Glück), fahren wir weiter zum Roten Fort Lal Quila. Dort halten wir aber nicht an, sondern schauen nur vom Auto aus.
Ranjits Ziel ist statt dessen der Swaminarayan Akshahardam Tempel www.akshardam.com. Dieser prächtige, 2005 neu erbaute Tempel der Hindusekte Swaminarayan aus lachsfarbenem Sandstein und weißem Marmor am Stadtrand von Delhi beherbergt rund 20.000 geschnitzte Gottheiten. Er vereint traditionelle Architekturstile aus Orissa, Gujarat und Rajasthan in sich. Der Mogulstil ist ebenfalls vertreten. Rings um den Haupt-Schrein verläuft ein rosafarbenes Sandsteinrelief (im Uhrzeigersinn herumgehen), das Elefanten zeigt; wilde gezähmte und mythische. Das zentrale Objekt der Verehrung im Inneren des Tempels ist eine 3 m hohe goldene Statue des Sektengründers Bhagwan Shri Sawaminarayan. Am Tempel angekommen, reihen wir uns in eine lange Schlange ein. Da wir in diesem Tempel nicht fotografieren dürfen, lassen wir zähneknirschend unsere Ausrüstung im Wagen, denn der Fahrer und sein Assistent warten jeweils im Wagen auf uns und machen inzwischen ein Nickerchen. Am Tempel findet ein strenger Security-Check statt, zu dem sich Frauen und Männer getrennt einreihen müssen. Andrea und ich stehen nun in einer langen Schlange fast ausschließlich indischer Frauen in Saris und wir kommen uns schon ein wenig deplatziert vor. Jetzt sind wir die, die neugierig beäugt werden – mal mehr und mal weniger verstohlen. Erst jetzt stellen wir fest, dass wir die Frauen fast alle um mindestens einen ganzen Kopf überragen. Das schafft Überblick! Dafür sind die Inder/innen Meister im Drängeln. Hemmungslos drängeln sich ein paar alte Frauen an uns vorbei, ohne auch nur andeutungsweise Berührungsängste zu zeigen. Am Sicherheitscheck werden die Taschen der Besucher gewissenhaft durchsucht. Kameras, Handys, Spiegel und sämtliche Elektroniksachen, auch USB-Stick, sind verboten und müssen draußen bleiben. Dummerweise hat uns unser Guide aber nicht gesagt, dass es auch nicht gestattet ist, jegliches Essen mit in den Tempel zu nehmen. So werden Andrea erst einmal die Kaugummis abgenommen.
Der große Tempelkomplex ist schon von außen sehr beeindruckend und sehenswert. Wieder barfuß besichtigen wir auch sein Inneres, das sich wirklich lohnt. Es herrscht ein solcher Prunk, dass man sich dennoch fragen muss, ob es nicht Wichtigeres gibt, als goldene Figuren, Edelsteine und fein geschnitzten weißen Marmor. Der Tempel ist absolut sehenswert und wir sind froh, ihn angesehen zu haben, doch verzichtbar wäre diese Form des Größenwahns in Anbetracht der weit verbreiteten Armut im Land auf jeden Fall. Aber das sehen die Inder und Anhänger der Sekte natürlich ganz anders. Vom handwerklichen aus betrachtet ist dieser Tempel auf jeden Fall ein Meisterwerk.
Wir schauen uns noch die lebensgroßen Messingfiguren in dem angrenzenden Skulpturengarten an, dann verlassen uns so langsam die Kräfte. Wir laufen zurück zum Auto und, obwohl unser Ranjit direkt davor steht, sucht er mal wieder unseren Bus. Irgendwie ist der ganz schön verpeilt.
Nun möchten wir noch im Roten Fort die abendliche Lichtshow erleben. Das Problem ist allerdings, dass heute, zum Samstagabend Rushhour in der Innenstadt herrscht. Wir kommen kaum voran. Alle Straßen sind total verstopft. Etwa 500 Meter vor dem Roten Fort setzt uns der Fahrer ab. Ranjit läuft, ohne sich weiter um uns zu kümmern los und versucht, die Straße zu überqueren. Die beiden, ursprünglich als 3-spurige Fahrbahnen konzipierten Straßen, sind jetzt total vollgestopft mit mindestens 5 bis 6 Reihen fahrbarer Gefährte und vor allem Mopeds und Rikschas. Der Mittelstreifen der beiden Straßen ist ein erhöhter Betonstreifen, der auf der einen Seite etwa einen halben Meter und auf der anderen Seite etwa 1,50 Meter höher als die Fahrspur ist. Nun versuchen wir es Ranjit nachzumachen und uns irgendwie zwischen den ganzen Gefährten durchzudrängeln. Mit einem großen Schritt nach oben haben wir es dann endlich auf die Mitte geschafft. Ranjit stürmt weiter und will tatsächlich die 1,50 Meter bei fließendem Verkehr auf die andere Fahrbahn herunter springen. Wir sind sprachlos und weigern uns. Da sieht er wohl ein, dass man das mit so verweichlichten Europäern nicht machen kann und sucht einen anderen Weg zur Überquerung der Straße. Auf der Mitte der Straße habe ich das Gefühl, hier nie wieder runter zu kommen, doch irgendwie schaffen wir es doch alle, diese Straßenüberquerung, wenn auch ziemlich nass geschwitzt, zu überleben. Immerhin haben wir gelernt – wer zuckt, hat verloren. Zebrastreifen, Ampeln oder ähnlich unsinnige Verkehrsregelungen interessieren hier nicht und der als Fußweg dienende unbefestigte Dreckstreifen rechts und links der Fahrbahnen wird noch einmal als zweispurige Ausweichstraße genutzt. Man weiß sich halt zu helfen.
Wir erreichen das Rote Fort (Lal Quila) im letzten Licht der bereits untergehenden Sonne. Das Red Fort ist eine gewaltige Festung aus der Blütezeit der Moguln. Die beeindruckende Festungsmauer erstreckt sich über 2 km und ist zwischen 18 m auf der Flussseite und 33 m auf der Stadtseite hoch. Shah Janan ließ die Festung zwischen 1638 und 1648 erbauen. Wir laufen zum Lahore Gate, dem Haupttor der Festung, das so heißt, weil es in Richtung Lahore im heutigen Pakistan zeigt. Wieder wollen sich auf dem großen Vorplatz indische Familien mit uns fotografieren. Eine Frau, etwa in meinem Alter, wird so richtig anhänglich. Fest umarmt und Wange an Wange, als ob wir uns schon eine Ewigkeit kennen, werde ich auf indische Familienfotos gebannt, um später in deren Heimatdorf als europäische Freundin vorgezeigt zu werden. Das passiert aber so freundlich und unbefangen, dass wir Beide herzhaft darüber lachen und ziemlich viel Spaß haben.
Leider hat das Fort bereits geschlossen und bis zum Beginn der Lichtershow müssten wir noch zwei Stunden warten. Dazu haben wir dann doch keine Lust, denn so langsam machen auch wir schlapp. (Unser Ranjit geht übrigens schon lange auf dem Zahnfleisch.)
Für den Rückweg zum Bus müssen wir noch einmal die Straße überqueren, doch diesmal tun wir es an einer Kreuzung, die – oh Wunder – von einem Verkehrspolizisten geregelt wird. Das hat zwar nicht wirklich viel zu sagen, doch im Laufschritt schaffen wir es auch diesmal, die Straßenüberquerung zu überleben.
Wir lassen uns zurück ins Hotel bringen. Nun steht das Problem der Nahrungsaufnahme an, denn wir sind hungrig. Auf der idyllischen Dachterrasse des Hotels, wo wir ganz allein sind, versuchen wir bei Kerzenschein und Sternenhimmel das erste Mal indische Spezialitäten. Wow, das schmeckt ja richtig lecker!
19.02.2012 Delhi – Amritsar (Hotel „Ritz Plaza”)
Heute starten wir in den zweiten Delhi-Tag. Es gibt schließlich noch eine Menge Sehenswürdigkeiten, die wir sehen möchten. Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel holt uns Ranjit um 8:30 Uhr ab.
Zuerst steuern wir den Sikh-Tempel Gurudwara Bangla Sahib an. Südwestlich des Connaught Place an der Ashoka Road erhebt sich der riesige weiße Marmorbau, der Delhis größter Sikh-Tempel ist und heute den Status eines heiligen Schreins hat. Geparkt wird in einem Parkhaus. Den „Parkscheinautomat“ geben zwei Inder auf Plastikstühlen.
Der mit goldenen Zwiebelkuppeln verzierte Tempel wurde an der Stelle erbaut, an der sich der achte Guru Sikh Harkrishan hier für einige Monate als Gast des Rajas Jai Singh aufhielt. Seitdem wurde der Schrein ein Platz für die Pilgerschaft sowohl der Hindus als auch der Sikhs. Sie gedenken mit ihren Besuchen des Todes von Guru Harkrishan, der am 6. Oktober 1661 gestorben war. Der Guru verbrachte einen Großteil seines Lebens damit, den Armen und Kranken zu helfen. Er wurde für seine Heilkräfte verehrt.
Ein riesiges Wasserbecken im hinteren Teil des Tempelkomplexes wird von einem schönen Säulengang, dem Parikrama umschlossen. Dem Wasser werden Heilkräfte nachgesagt. Der gesamte Komplex ist von Klängen religiöser Musik erfüllt.
Um die Tempelanlage herum herrscht reges Treiben. Einzelne Gebäudeteile der Anlage werden restauriert und viel Freiwillige tragen auf dem Kopf Baustoffe zu den ebenfalls freiwillig arbeitenden Handwerkern. Jeder fasst hier aus freien Stücken mit an und wir sind die Einzigen, die gerade nichts auf dem Kopf tragen.
Ranjit führt uns in einen Raum im Keller des Besuchergebäudes. Hier müssen wir Schuhe und Strümpfe ausziehen und bekommen ein blaues Kopftuch verpasst. Total fotogen! Dann müssen wir noch barfuß durch ein Wasserbecken laufen und uns die Hände waschen. So gereinigt dürfen wir endlich den Tempel besichtigen. Im Tempel wird bei Musik gebetet und Ranjit bittet uns, dass auch wir einen Moment andächtig verharren, bevor wir den Tempel verlassen. So tauchen wir ein in eine gänzlich fremde Welt und sehen viele Dinge, die wir leider nur ansatzweise verstehen. Viel zu komplex sind die religiösen Hintergründe, die das Handeln der Menschen hier bestimmen. Aber es ist wahnsinnig interessant, ihnen dabei zuzuschauen.
Wir schlendern durch den schönen Säulengang (Parikrama) aus weißem Marmor, der das heilige Wasserbecken umgibt. Immer wieder sehen wir Menschen, die im Wasser baden oder einfach nur andächtig hier sitzen und die Atmosphäre des Tempels auf sich wirken lassen. Im Außenbereich der Tempelanlage ist das Fotografieren gestattet, im Inneren des Tempels nicht. Freundlich und fast nie abweisend lassen sich die Menschen von uns fotografieren. Sie empfinden es meist als eine Ehre, von uns fotografiert zu werden und besonders die älteren, Turban tragenden Sikh haben unglaublich markante, interessante und sehr faszinierende Gesichter.
Die gesamte Tempelanlage ist „der kleine Bruder“ des Goldenen Tempels in Amritsar. Wir werden also in den nächsten Tagen noch einmal einen solchen Tempelkomplex besuchen können.
Anschließend führt uns Ranjit – noch immer barfuß – durch die Tempelküche, in der Jedermann, ohne Rücksicht auf seine Religion und seinen Besitz, eingeladen ist, dreimal täglich an den kostenlosen, einfachen Mahlzeiten teilzunehmen. Die Speisen (etwa 10.000 Portionen täglich) werden alle von Freiwilligen zubereitet und auch der Abwasch des Geschirrs erfolgt von Freiwilligen, die diese Arbeiten unentgeltlich erledigen und für die es sogar eine Ehre ist, hier arbeiten zu dürfen. Nachdenklich betrachten wir die einzelnen Stationen der Garküche, in der jeder seinen zugeteilten Platz mit großem Eifer und wie selbstverständlich ausfüllt. Diese Religion und Haltung ringt uns große Achtung ab.
Wir kommen aus dem Staunen gar nicht heraus. Riesige Kochtöpfe und Pfannen stehen auf offenem Feuer. Kleine Gruppen von Menschen erledigen jeweils bestimmte Arbeitsschritte. Dabei sitzen sie im Schneidersitz zusammen, als ob sie das schon immer so tun. Eine Gruppe putzt Gemüse, der Nächste heizt die Feuer an, Frauen rollen kleine Teigkugeln, eine kleine „Fertigungsstraße“ bäckt Fladenbrot, wieder andere rühren in großen Töpfen und überall können wir ran, dürfen in die Töpfe gucken und auch nach Herzenslust fotografieren. Zwar klebt immer mal unter der Fußsohle eine Kartoffelscheibe, Erbsen hängen zwischen den Zehen und über die glibberige Flüssigkeit, durch die man gerade gelaufen ist, macht man sich am besten erst gar keine Gedanken. Sehens- und erlebenswert ist der Besuch hier allemal. In einem großen Saal neben der Küche sitzen dann die Menschen in Reihen nebeneinander auf dem Fußboden, einen Blechteller vor sich stehend. Aus großen Eimern erhält jeder eine Schöpfkelle voll Essen. Dabei gibt es unterschiedliche Gerichte und das sieht auf dem Teller nicht einmal schlecht aus. Auf das Probieren verzichten wir dann aber doch. Vielleicht beim nächsten Besuch!
Beim Verlassen des Tempels entdecke ich noch einen Stand von Unicef. Hier bekommt gerade ein Säugling eine Polio-Schluckimpfung verabreicht. Es ist schön zu sehen, dass Hilfe ankommt und auch angenommen wird.
Wir fahren weiter in den Mehrauli Qutb-Komplex. Heute zum Sonntag und bei diesem schönen Wetter ist auf dem gepflegten Gelände 13 km südl. von Connaught Place jedoch die Hölle los. Schade, denn hier befinden sich die ersten Bauwerke des moslemischen Indiens und Delhis berühmtestes Wahrzeichen, der spitz zulaufende, rote Sandsteinturm des Qutb Minar. Inmitten von Ruinen strebt er knapp über 72 m hoch in den Himmel und ist mit herrlichen Ornamenten und Koranversen verziert. In früheren Zeiten galt der Turm als eines der „Wunder des Orients“, das auf der Rangliste gleich nach dem Taj Mahal kam. Das Minarett wurde 1202 als Siegesturm von Qutb-ud-din-Aibak errichtet. Man feierte damit den Beginn der moslemischen Vorherrschaft über Delhi und weite Teile des Subkontinents. Vom Turm rief der Muezzin die Gläubigen zum Gebet.
An den Turm angrenzend befinden sich die Ruinen von Indiens erster Moschee, Quwwat-ul-Islam („die Macht des Islam“). Sie wurde im Auftrag von Qutb-ud-din aus den Überresten von 27 Hindu- und Jaintempeln und unter Mitarbeit von hinduistischen Steinmetzen erbaut. Ihr Einfluss kommt in der traditionellen Kragentechnik zum Ausdruck, in der Architrave, Konsolen und Pfeiler die vorherrschenden Elemente sind. Treppen führen zu einem beeindruckenden Innenhof, der von Säulengängen flankiert wird. Besonders schön verzierte Bögen sind von den einstigen Gebetshallen erhalten geblieben.
Einen Kontrast zu der überwiegend islamischen Gestaltung bietet die Eisensäule auf dem Gelände von Qutb-du-dins originaler Moschee. Dass sie gegen Rost resistent ist gab Metallurgen ein Rätsel auf. Offenbar wirkte der enthaltene Phosphor als chemischer Katalysator, so dass sich eine schützende Verbindung aus Eisen, Sauerstoff und Wasserstoff um das Metall gelegt hat.
Das Gebiet südlich vom Qutb Minar-Komplex, auf dem sich Überbleibsel aus allen möglichen historischen Perioden befinden, wurde zu einem archäologischen Park erklärt.
Wir versuchen, ein paar Fotos dieser sehr schönen architektonischen Kunstwerke zu machen, doch es sind einfach zu viele Menschen unterwegs. Beeindruckend sind vor allem die vielen, in den Sandstein eingebrachten kunstvollen Motive. Hierher würden wir gern noch einmal zurückkehren, wenn nicht so viele Menschen unterwegs sind.
Nun fahren wir weiter in den Lodi Garten, einen der schönsten Parks Delhis. Inmitten der baumbestandenen Wege, der grünen Rasenflächen und Blumenbeete stehen imposante Grabmäler der Sayyid- und Lodi-Dynastien aus dem 15. Jh. An vielen Bauten sieht man noch die Reste der originalen türkisfarbenen Kacheln und Kaligrafien. Das elegant proportionierte, achteckige Grabmal von Muhammad Shab (reg. 1434-44), dem dritten Herrscher der Sayyid-Dynastie soll das älteste Bauwerk der Anlage sein. Das größte ist Bara Gumbad (Große Kuppel) mit einer Moschee von 1494 und einem Gästehaus.
Fasziniert bestaunen wir diese wunderschönen Bauwerke und könnten hier ewig verweilen, doch leider rast uns die Zeit davon. Heute Nachmittag fährt unser Zug nach Amritsar. Wir haben also nicht mehr sehr viel Zeit zur Verfügung. Das nächste Mal werden wir sehr viel mehr Zeit für Delhi und seine vielen Sehenswürdigkeiten einplanen, denn die Stadt gefällt uns und hat noch eine Menge Sehenswertes zu bieten.
Unser Fahrer bringt uns noch zum Lotus-Tempel, wo allerdings eine kilometerlange Schlange ansteht. Jetzt, in der Mittagshitze können und wollen wir uns das nicht antun. So erhaschen wir nur einen Blick auf den Tempel, der die Form einer weißen Lotusblüte hat und lassen uns zurück zum Hotel bringen.
Um 14:30 Uhr bringt uns der Fahrer zum Bahnhof. Unser Gepäck ist für den Toyota Innova zu üppig, deshalb muss ein Teil davon auf dem Dach transportiert werden. Gut, dass der Fahrer die jeweils 25 Kilogramm hoch wuchtet, sonst hätten es unsere Männer bald im Kreuz.
Am Bahnhof herrscht großes Gewusel. Eine Horde rot gekleideter Porter (Träger) mit Messingschild und einer Id-Nummer am Arm, stürzt sich auf jedes neu ankommende Fahrzeug. Wir können jedoch unser Gepäck selbst bewältigen, was vermutlich stressfreier ist, als dem Porter und unserem ganzen Hab und Gut hinterher rennen zu müssen.
Dank elektronischer Anzeigentafel sowohl in Englisch als auch in Sanskrit ist die erste Orientierung nicht schwierig. Wir wissen, wie der Zug heißt und wir haben eine Sitzplatzreservierung. Das Gleis ist angezeigt und Verspätung scheint der Zug auch nicht zu haben. Lediglich die Frage, wo die Erste-Klasse-Waggons halten, bleibt noch offen. Das einzig Irritierende hier sind die beiden, bis unter die Zähne bewaffneten Soldaten, die aus einer Ecke der Halle mit durchgeladenem Gewehr hinter Sandsäcken das Treiben in der Bahnhofshalle beobachten.
Mit Einfahrt des Zuges löst sich auch die Frage, wo unser Erste-Klasse-Abteil ist. Blöd nur, dass unser Ranjit mal wieder gar keinen Plan hat und Uwe deshalb herausfinden muss, wo wir einzusteigen haben. In der Zwischenzeit wird an der Tür des Abteils eine Namensliste mit Platzreservierung angebracht. Erst, wenn man sich darauf wiederfindet, darf man einsteigen. Unser Name steht in Hindi und in Englisch drauf und wir „entern“ den Shatabdi-Express, der uns in 6 Stunden nach Amritsar bringen wird. Rasch verabschieden wir uns von Ranjit, denn in Amritsar erwartet uns ein neuer, hoffentlich etwas kompetenterer Guide.
Die Ausstattung des Abteils ist natürlich nicht mit europäischen Maßstäben messbar. Vielmehr entspricht es etwa dem Komfort älterer Regionalzüge. Dafür werden wir im Zug bestens versorgt. Wir bekommen Wasserflaschen, Saft, einen Imbiss, Suppe (die lassen wir lieber aus) und ein Abendessen, auf das wir aber auch verzichten. Sogar Bananen werden gereicht. So vergeht die Fahrt recht schnell. Um 23 Uhr fährt der Zug in Amritsar ein. Als wir die Zugtür öffnen (eigentlich brauchen wir das gar nicht, die ist nämlich immer offen), steht Paul, unser neuer Guide für Amritsar bereits vor uns. Anders als Ranjit die Träne aus Delhi ist Paul clever und weiß genau, wo es lang geht. Er greift auch sofort nach einem Gepäckstück und im Laufschritt verlassen wir den Bahnhof. Wieder einmal danken wir Rimowa und Samsonite für die Erfindung der 4-Rollen-Koffer, die fast von allein laufen.
Draußen wartet unser Fahrer Bundy mit einem sehr gepflegten Toyota Innova auf uns. Auch Bundy, ein hübscher junger Sikh mit Turban, macht einen sehr guten Eindruck. Ein Teil unseres Gepäcks wird wieder auf das Dach des Fahrzeugs verladen. Für das kurze Stück bis zum Hotel „Ritz Plaza“ verzichten die Beiden auf ein Verzurren der Ladung. Daran müssen wir uns erst noch gewöhnen.
Auf der Fahrt zum Hotel stimmt Paul inzwischen das morgige Programm mit uns ab.
Rasch erreichen wir das Hotel „Ritz Plaza“, dessen Name mehr verspricht, als es halten kann. Das 1963 erbaute Hotel hat seine beste Zeit längst hinter sich. Alles ist schon etwas in die Jahre gekommen und abgewohnt. Das Zimmer ist aber sauber und ordentlich, was schließlich das Wichtigste ist. Die „Schöne Parkanlage“ und der Pool werden gerade vollständig saniert, so dass die Außenanlage einer Großbaustelle gleicht. Baulärm gibt es allerdings gar keinen, denn die zwei Männer, die gelegentlich ein paar Ziegel übereinander legen, machen wirklich weder Staub noch Lärm. Allerdings kann diese Sanierung dauern.
Wir gönnen uns noch ein Kingfisher strong, bevor wir ziemlich müde ins Bett fallen. Mit diesem indischen Flaschenbier können wir schließlich nicht viel falsch machen.
20.02.2012 Amritsar (Hotel „Ritz Plaza”)
Heute Morgen ist es bewölkt. Um 8:30 Uhr holen uns Paul und Bundy am Hotel ab. Wir möchten den Tag im Goldenen Tempel verbringen. Der Goldene Tempel ist das spirituelle Zentrum der Sikh-Religion und wurde zwischen 1589 und 1601 errichtet. Dem Charakter des Sikhismus entsprechend sind im heiligsten Schrein der Sikhs alle willkommen. Bevor uns Bundy absetzt, drückt er uns sein privates Handy in die Hand, damit wir ihn auf seinem zweiten Handy jederzeit erreichen können. Das nennt man Service!
Paul bringt uns zu den Schuhwächtern. Hier geben wir Schuhe und Strümpfe ab und bekommen wieder ein Kopftuch – diesmal in Orange (natürlich auch die Männer). Dann geht er mit uns Hände und Füße waschen. Dieses Ritual kennen wir ja schon. Dazu laufen wir durch ein knöcheltief mit Wasser gefülltes Becken. Gerade als wir den Tempelkomplex durch das nördliche Tor Darshani Darwaza betreten, beginnt es zu regnen. Wir haben kaum Gelegenheit, die ganze Pracht dieses Tempels in uns aufzunehmen, weil wir höllisch aufpassen müssen, dass wir nicht ausrutschen. Der weiße Marmorboden, der auch noch mit Milch gewischt wird und dadurch fettig ist, ist sauglatt. Wie auf Eiern bewegen wir uns vorsichtig voran und immer wieder zieht es uns die Füße weg. Im ganzen Tempelkomplex hallt die Musik der Vorleser wider, die Verse aus dem Heiligen Buch singen. Stufen führen hinunter zum Parikrama (Marmorweg), der um den Nektarteich (Amrit Sarovar) verläuft, nach dem die Stadt benannt ist.
Mitten im Wasserbecken erhebt sich das Hauptheiligtum, der Tempel Gottes (Hari Mandir) mit seiner goldenen Kuppel, die die Form einer umgekehrten Lotusblüte hat und mit 100 kg Gold belegt ist. Sie soll die Verpflichtung der Sikhs symbolisieren, ein reines Leben zu führen. Ein 60 Meter langer Damm aus Marmor (die Gurus-Brücke) führt über den Nektarteich zum Tempel. Rechts und links stehen je neun vergoldete Lampen. Eine lange Menschenschlange wartet stundenlang, um in den Goldenen Tempel eingelassen zu werden. Paul meint, dass man mindestens zwei Stunden anstehen müsste. Es heißt, dass jeder Sikh versucht, wenigstens einmal in seinem Leben eine Pilgerfahrt hierher zu unternehmen, um den Rezitationen aus dem Heiligen Buch zu lauschen und in dem reinigenden Wasser des Tempelsees zu baden.
Fasziniert betrachten wir diese wunderschöne Tempelanlage. Das mit dem Anstehen verschieben wir erst einmal auf Später.
Zuerst führt uns Paul in die Guru-Ka-Langar, die Garküche, in der die Pilger – wie in Delhi auch – wieder kostenlos versorgt werden. Die riesige Küche bereitet täglich vegetarische Gerichte für etwa 60.000 bis 80.000 Pilger zu – an Festtagen sind es sogar noch mehr. Jeder ist herzlich eingeladen, gemeinsam mit den vielen anderen auf dem Fußboden sitzend zu essen. So bekommt am Treppenaufgang Jeder zunächst einen Blechteller, einen Löffel und einen Trinkbecher, bevor er im Speisesaal im Schneidersitz in einer langen Reihe anderer Pilger auf dem Boden Platz nimmt. Wir lehnen Geschirr und Löffel ab, denn wir möchten wieder in die angrenzende Garküche.
Hier ist alles noch ein paar Nummern größer als in Delhi. In riesigen Pfannen und Kesseln brodelt Essen. Einfache Backstraßen spucken Fladenbrote aus, es wird Gemüse geputzt, Teig gerollt. Wir fühlen uns, wie in einer anderen Welt. Mit einfachsten Mitteln werden hier riesige Mengen zubereitet und die Menschen – Jung und Alt – haben das Bedürfnis, mitzuhelfen. Es ist unglaublich und sehr beeindruckend, dass dieses System funktioniert. Wir sind Paul sehr dankbar, dass wir das erleben dürfen.
Im Anschluss an den Besuch der Garküche umrunden wir auf dem Marmorweg den Nektarteich und Paul erklärt uns die heiligen und historischen Stätten, die am Marmorweg liegen. Darunter auch der heilige Baum Dukh Banji Ber, der mit Wunderkräften Krankheiten heilen soll. Dieser knorrige alte Jubi Tree wurde vor 450 Jahren von dem ersten Priester des Goldenen Tempels Babba Buddhaya gepflanzt. Der Marmorweg führt weiter zum Akal Takht, dem Sitz der höchsten religiösen Autorität der Sikhs.
Glücklicherweise hat es inzwischen aufgehört zu regnen und der Boden ist wieder abgetrocknet, so dass wir nicht mehr ständig fürchten müssen, hinzustürzen. Hier im Tempelkomplex sind sehr viele Menschen. Besonders interessant sind die stolzen Sikh mit ihren bunten Turban. Sie zu fotografieren, ist überhaupt nicht schwierig. Es reicht eine freundliche Frage und kaum einer verweigert es uns.
Aber auch wir werden immer wieder mit Handschlag begrüßt, befragt, woher wir kommen und wer wir sind. Immer wieder werden Fotos von und mit uns gemacht und der eine oder andere marschiert dann auch ganz „unauffällig“ mit der Handy-Kamera mehrmals an uns vorbei. Wir können uns ein Schmunzeln nicht verkneifen. Mein Glücksbringer-Eisbär, der an meinem Rucksack hängt, findet besonders viele Freunde. Immer wieder wird er vorsichtig angefasst und mutiert so langsam zum Schwarzbären.
Nachdem wir ein paar Stunden im Tempel verbracht haben, holen wir unsere Schuhe ab und laufen zum Jallianwala Bagh. Diese, nur wenige hundert Meter vom Goldenen Tempel entfernte gepflegte Parkanlage erinnert an die Massaker am 13. April 1919. Truppen des britischen Brigadegenerals Reginald Dyer feuerten über zehn Minuten lang auf rund 20.000 unbewaffnete Menschen, die auf dem Platz für die Unabhängigkeit Indiens demonstrierten. Ein Gedenkstein erinnert an die Opfer.
Heute ist Shiva-Fest und so bitten wir Paul, ob er uns dieses Fest zeigen kann. Davon scheint er nicht sonderlich begeistert zu sein, tut uns aber den Gefallen. Wir bekommen jedoch ein paar klare Ansagen, wie wir uns verhalten sollen, da viele auf diesem Fest sehr betrunken und bekifft wären und wir keinen Ärger bekommen sollen. Wir versprechen ihm, uns besonnen zu verhalten und vor allem zusammen zu bleiben, was sicherlich für uns das Schwierigste ist.
Wir fahren zu einem kleinen Jahrmarkt mit Karussellen und Fahrgeschäften. Wieder fühlen wir uns in eine andere Welt versetzt. Wir kommen uns vor, wie vor einhundert Jahren. Hier werden die Karussells mit Dieselmotoren angetrieben und von Hand mit einem Steuerknüppel gesteuert. Alles macht ziemlich Lärm und stinkt furchtbar. Dazwischen hängen immer wieder Schwaden von Uringeruch. Es ist nicht schön hier und wir sehen zu, dass wir weiterkommen, auch wenn Uwe ganz fasziniert ist von der „Technik“ der Fahrgeschäfte. In einer dichten Menschenmasse kämpfen wir uns zum Shiva-Tempel vor. Rechts und links der Straße sind Verkaufsstände, an denen auch Marihuana-Getränke angeboten werden. Wir schauen uns das grüne Zeug aus der Ferne skeptisch an, als uns einer der Verkäufer den Becher lachend hochhält und meint, wir sollten es probieren. Dankend lehnen wir ab und sehen zu, dass wir schnellstens weiterkommen. Am anderen Straßenrand ein Stück weiter vorn sitzen völlig zugedröhnte Sadhus mit zwei Kobras um den Hals, die sich aber nur gegen Geld fotografieren lassen wollen. Die sind uns auch nicht geheuer. Je näher wir dem Tempel kommen, umso dichter ist die Menschentraube. Am Eingang des Tempel ist dann kein Durchkommen mehr und Paul beschließt, dass wir umdrehen. Das ist sicherlich eine kluge Entscheidung, denn auch wir haben bereits genug gesehen. Schnell kehren wir zum Auto zurück und sind froh, als Bundy uns von hier fort bringt.
Nun bekommen wir das Kontrastprogramm. Paul setzt uns an einem nagelneuen und hochmodernen Supermarkt ab. Wir hatten darum gebeten, ein paar Dinge einkaufen zu können. Völlig perplex staunen wir über das große, sehr europäische Warensortiment. Wir bekommen, was wir brauchen und Paul lädt uns gleich noch im angrenzenden Imbiss auf ein paar Hühnerbeinchen ein, die hier frisch zubereitet werden. Das ist eine gute Idee aber für uns richtig peinlich, denn er will partout kein Geld von uns.
Nachdem wir unsere Einkäufe erledigt haben, bringen uns die Beiden noch einmal in den Goldenen Tempel. Wir möchten am Abend zur Blauen Stunde fotografieren. Bis dahin umrunden wir ein paar Mal den Tempel und finden immer wieder neue Fotomotive. Leider sind in der gesamten Tempelanlage Stative verboten. Wir haben dennoch welche mit und können sie, nachdem aus der Hand gar nichts mehr geht, immerhin ganze 15 Minuten für ein paar Langzeitbelichtungen nutzen, bevor uns die Tempelwächter freundlich bitten, die Stative wegzupacken.
Noch immer lesen die Priester aus dem Heiligen Buch und der Singsang wird über Lautsprecher übertragen. Sogar an einer elektronischen Anzeigentafel wird der Text zweisprachig angezeigt. Auch jetzt sind noch viele Menschen im Tempel unterwegs. Einige von ihnen schlafen auch gleich hier in den Arkaden des Marmorwegs.
Das Original des Heiligen Buchs der Sikhs (Guru Granth Sahib) wird tagsüber im Hari Mandir Sahib (Goldenen Tempel) aufbewahrt und abends in den Akal Takhat zurückgebracht, wo es „Schlafen gelegt wird“ und die Nacht in einem richtigen Bett unter mehreren Decken in einem klimatisierten Raum verbringt. Sein zeremonieller Umzug findet gegen 22 Uhr statt, wenn das Abendgebet beendet ist. Dann wird das Heilige Buch geschlossen, feierlich in Decken und Tücher gewickelt und in einer silbernen Sänfte (Palankin), die vorher geschmückt wurde, feierlich zum Akal Takhat zurückgetragen. Der Tempelboden wird anschließend mit Milch und Wasser gewaschen. (Milch steht für höchste Reinheit.) Wir wollen uns diese Zeremonie nicht entgehen lassen und halten trotz kalter Füße und eintretender Müdigkeit bis 22 Uhr durch. Vom Heiligen Buch gibt es vorsichtshalber mehrere Kopien und die werden auch zu Bett gebracht. So erleben wir im Akal Takhat, dem obersten Sitz der religiösen und politischen Autorität der Sikhs, zuerst das Zu-Bett-bringen der ersten Kopie und danach auch das des Originals aus dem Goldenen Tempel. Paul dirigiert uns, wohin wir uns am besten stellen, damit wir auch wirklich alles mitbekommen. Ein wenig erschrocken sind wir allerdings schon, wie fanatisch plötzlich alle auf die silberne Sänfte zustürmen und uns fast zerquetschen, weil jeder das Buch oder zumindest die Sänfte berühren möchte. Feierlich wird das Heilige Buch in viele Decken und Tücher gewickelt und sogar einparfümiert. Als es mit der Sänfte weggetragen werden soll und wir mitlaufen möchten, wird mir signalisiert, dass ich das als Frau nicht darf und woanders laufen muss. Paul und Uwe wurden bereits mit den Menschenmassen weitergeschoben und ich bin in der Menschenmasse eingeklemmt; darf nicht vor und kann nicht zurück. Mir wird mulmig. Das kann jetzt Stunden dauern, bis ich hier frei komme. Obwohl Paul sich unheimlich umsichtig um uns kümmert, kann er mir im Moment auch nicht helfen. Es dauert allerdings nicht lange, stehen Uwe und er wieder neben mir. Keine Ahnung, wie sie das geschafft haben. Andrea und Christian sind auch erst einmal verschwunden. Mit Paul vornweg schaffen wir es, uns durch die Menschenmasse zu zwängen. Rennend erreichen wir den Akal Takhat, und kommen gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie das Buch unter lauten Gebeten der Umstehenden ins klimatisierte Bett gelegt wird. Etwas merkwürdig mutet diese Zeremonie für uns ja schon an, doch was wir nicht verstehen, können wir auch nicht beurteilen.
Obwohl wir ja eigentlich genug haben für heute, entschließen wir uns, noch die Gunst der Stunde zu nutzen und jetzt, nachdem sich die Menschenschlange aufgelöst hat, den Goldenen Tempel zu besichtigen, der 24 Stunden geöffnet ist. Wir brauchen nicht anstehen und werden auch nicht durch geschubst. In Ruhe können wir diesen prächtigen, zweistöckigen Tempel besichtigen, der wie ein kleiner Palast wirkt. Ein Baldachin mit Edelsteinen überdacht tagsüber das Heilige Buch. An den Marmorwänden sind Pietra-dura-Einlegearbeiten und Stuck mit blattgoldverzierten Tier- und Blumenmotiven zu sehen. Der Spiegelsaal hat eine prächtige Decke und der kostbare Teppichboden wird gerade mit Pfauenfedern gebürstet. Diese Pracht macht uns ganz sprachlos und wir sind froh, dass wir uns das noch angesehen haben. Es ist wirklich sehr sehenswert!
Zufrieden, wenn auch ziemlich durchgefroren holen wir beim Schuhwächter unsere Schuhe ab und lassen uns zurück ins Hotel bringen. Ein paar Chips und ein Bier ersetzen uns heute das Abendessen, bevor wir völlig erschlagen von den vielen Eindrücken kurz vor Mitternacht ins Bett fallen.
21.02.2012 Amritsar (Hotel „Ritz Plaza”)
Wir haben uns die Möglichkeit offen gelassen, bei wolkenlosem Himmel noch einmal morgens in den Goldenen Tempel zu gehen und Paul steht uns auf Abruf bereit. Leider ist der Himmel aber wieder wolkenverhangen und so telefoniert Uwe Paul ab und wir drehen uns im Bett noch einmal um. Ausschlafen ist angesagt.
Nach dem Frühstück bringt uns Bundy zum Sri-Durgiana-Tempel, einem kleinen Hindu Tempel, der große Ähnlichkeit mit dem goldenen Tempel hat. Dieser von einem heiligen Wasserbecken umgebene Tempel stammt aus dem 16. Jh. und ist der Göttin Durga geweiht. Wegen seiner mit Reliefs verzierten Silbertüren wird diese hinduistische Version des Goldenen Tempels zuweilen als Silberner Tempel bezeichnet. Hier im Tempel finden gerade bhajans (fromme Gesänge) statt, zu denen grässlich verkleidete Kinder tanzen. Das Ganze wird auch noch gefilmt. Ich finde es sehr befremdlich.
Auch der Priester, der uns nicht mehr von den Hacken geht, wirkt irgendwie nicht von dieser Welt. Wenigstens sieht er aber fotogen aus. Begeistern kann uns dieser Tempel allerdings nicht wirklich. Das Schönste an diesem Tempel sind unserer Meinung nach die großen silbernen Türen, die kunstvoll verziert und wirklich sehenswert sind. Besonders lange halten wir uns hier allerdings nicht auf, zumal der Außenbereich der Anlage sehr ungepflegt wirkt.
Bundy bringt uns zurück zum Hotel und am frühen Nachmittag holen uns die Beiden wieder ab. Wir besuchen – wieder in Socken – das Museum auf dem Gelände des Parks in Ram Bagh, wo sich im Obergeschoss das eindrucksvolle Maharadscha-Ranjit-Singh-Panoramabild befindet. Die dem „Löwen von Punjab (1780 – 1839) gewidmete Darstellung verschiedener Schlachtszenen wird mit (grässlich lautem) Soundeffekt lebendig gemacht.
Wir haben noch ein wenig Zeit und so erfüllt Paul meine Bitte, uns zu einem Geschäft mit Tüchern zu bringen. Hier, wo auch seine Mutter einkauft, haben wir die Qual der Wahl. Ein ganzes Geschäft voller Tücher überfordert uns gewaltig. Während Andrea erst einmal Abstand nimmt, treffe ich meine Wahl und den meisten Spaß machen die anschließenden Preisverhandlungen, die Uwe exzellent hin bekommt. Dazu gehört auch, dass wir den Laden erst einmal ohne Ware verlassen und scheinbar auf den Kauf verzichten, weil der geforderte Preis zu hoch ist. Ohne, dass Einer das Gesicht verliert, werden sich die Männer letztlich einig und ich kann glücklich mit meiner Beute in feinster Qualität abziehen.
Anschließend fahren wir zur Grenzschließungszeremonie an die Indisch-Pakistanische Grenze – Wagah Border. Im Grenzort Attari findet jeden Tag, immer spätnachmittags unmittelbar vor Sonnenuntergang, die gleiche Grenzschließungszeremonie statt, bevor über Nacht die Grenze geschlossen wird. Dann treffen sich indische und pakistanische Soldaten an der Grenze zu einem 30-minütigen, zeremoniellen Spektakel. Das Ritual der Flaggeneinholung und Grenzschließung ist eine Mischung aus kolonialzeitlichem Glamour, Marschieren im Stechschritt, erstaunlicher Harmonie und Schauspiel. Das Ereignis ist so populär, dass sogar extra Tribünen errichtet wurden, von denen aus die patriotischen Zuschauermassen alles mit verfolgen können. Die Zeremonie beginnt im Winter gegen 16:15 Uhr und im Sommer gegen 17:15 Uhr. Fotoapparate sind erlaubt, Fotografieren ist kostenlos, aber große Taschen sind verboten. Es ist notwendig, früh zu kommen, um vor den Massen auf den Tribünen zu sein. Von dem Parkplatz auf dem die Fahrzeuge halten, sind es zu Fuß zehn Minuten zu den Tribünen. Ausländer dürfen vorne Platz nehmen, gleich hinter dem VIP-Bereich, der der Grenze am nächsten ist.
Als wir ankommen, steht schon eine lange Menschenschlange am Security-Check. Paul schiebt uns von der Seite heran und so müssen wir nicht lange anstehen. Natürlich gibt es wieder getrennte Schlangen für Frauen und Männer. Gewissenhaft werden wir abgetastet. Die Rucksäcke haben wir gleich im Auto bei Bundy gelassen. Ein Einweiser teilt uns dann auf der großen Tribüne unseren Platz zu, den wir murrend einnehmen. Von hier aus kann man das Fotografieren vergessen, doch es gibt keinen Pardon. Man sitzt auf Steinstufen der Tribüne und wieder einmal bereuen wir, nicht unsere aufblasbaren Sitzkissen dabei zu haben. Zu allem Überfluss beginnt es auch noch leicht zu regnen. Zum Glück ist das aber nur ein kurzer, warmer Schauer. Inzwischen füllt sich die große Tribüne.
Vor der Zeremonie laufen die Soldaten mit versteinerten Gesichtern herum. Witzig sehen sie ja schon aus mit ihrem komischen rot-goldenen Kopfschmuck, der an einen Fächer erinnert. Die Zuschauer übernehmen die Unterhaltung, in dem sie von ihren Plätzen aufspringen, tanzen, singen, die indische Fahne herum tragen. Laute Musik und ein Einpeitscher versetzen die Massen zusätzlich in patriotische Stimmung. Auch bei den Pakistanis geht es lautstark zu, allerdings ist deren Tribüne längst nicht so gut gefüllt, wie die auf der indischen Seite.
Mit einem bellenden Befehl aus der Wachstube begibt sich ein Trupp Soldaten – alle breitschultrig, mit gezwirbelten Schnurrbärten, grimmigen Gesichtern und weit aufgerissenen Augen – hinaus auf die Straße. Erstaunt stellen wir fest, dass sogar zwei Frauen dabei sind. Nun wird so dramatisch wie möglich im Stechschritt marschiert: Die Beine fliegen so hoch, dass man fürchtet, die Männer könnten hinfallen. Der Marsch zur Grenze wird mit Applaus und Sprechchören begleitet. Dann fliegen die Tore auf. Dabei wird einer der Soldaten sogar beinah erschlagen, denn das Tor kommt mit ziemlicher Wucht zurück und hätte ihn beinah getroffen. Die kommandierenden Offiziere beider Seiten geben sich die Hand und salutieren (das können wir allerdings von unseren Plätzen aus nicht wirklich sehen). Dann werden gleichzeitig die Flaggen beider Länder eingeholt.
Dies ist für uns das Zeichen, den Rückzug anzutreten. Paul hatte uns geraten, etwas eher zu gehen, damit wir nicht in den Menschenmassen stecken, wenn die Zeremonie offiziell vorbei ist. Sonst würden wir ewig brauchen für den Rückweg. So verzichten wir auf das zusammenfalten und zurücktragen der Flaggen und beeilen uns stattdessen, zum Parkplatz zurück zu kehren, wo uns Paul und Bundy erwarten.
Wir fahren zurück nach Amritsar, denn wir würden sehr gern noch ein paar Nachtaufnahmen vom Goldenen Tempel machen und Paul hatte versprochen, sich um eine Sondergenehmigung zu bemühen. Nach einigen Diskussionen mit dem Verantwortlichen im Besucheroffice gelingt ihm das auch und die Männer dürfen sogar auf das Dach des Hauptgebäudes, um jeweils 5 Fotos machen zu können. Frauen ist der Zugang allerdings untersagt und so müssen wir zähneknirschend im Office auf unsere Männer warten. Fünf Fotos sind natürlich nicht viel und so dauert es auch gar nicht lange, bis die Männer wieder da sind. Immerhin hatten sie einen tollen Überblick über die gesamte Tempelanlage.
Zurück im Hotel wartet das nächste Abenteuer auf uns. Wir probieren heute die indische Küche im Hotelrestaurant aus. Im Restaurant sind wir die einzigen Gäste und so genießen wir die ungeteilte Aufmerksamkeit des gesamten Restaurantpersonals. Ohne eine klare Vorstellung zu haben, was wir bestellen, fügen wir unserer Bestellung vorsichtshalber noch die typische Touristenfloskel „no spice“ an in der Hoffnung, man habe Nachsicht mit uns. Entgegen aller Skepsis sind wir vom Essen total begeistert. Alle vier georderten Gerichte schmecken uns hervorragend und sie sind auch nicht zu scharf gewürzt. Es schmeckt so gut, dass wir sogar nachordern. Da geht sie dahin unsere Indiendiät!
Am Abend müssen wir dann leider auch schon wieder unsere Koffer packen, denn morgen wartet eine neue Stadt auf uns. Morgen früh fährt unser Zug nach Haridwar, einer der sieben heiligsten Städte in Indien.
22.02.2012 Amritsar – Haridwar (Hotel „Country Inn & Suites“)
Um 6:30 Uhr holen uns Paul und Bundy ab, um uns zum Bahnhof zu bringen. Unser Gepäck wird wieder auf den Dachgepäckträger verladen – wieder unverschnürt – doch das beunruhigt uns schon gar nicht mehr. Am Bahnhof helfen uns die Beiden noch mit dem Gepäck, Paul checkt, wo wir einsteigen müssen und sie bringen uns noch zu unseren vorreservierten Sitzplätzen. Herzlich verabschieden sie sich von uns. Schade, dass wir die Zwei schon wieder hergeben müssen. Wir würden sie eigentlich am liebsten sofort für die ganze Reise mitnehmen. Für die nachfolgenden Guides der Reise wird es verdammt schwer, dem Vergleich mit Paul und Bundy stand zu halten. Die Beiden sind ein gutes Team und noch engagierter und umsichtiger kann man sich nicht um seine Gäste sorgen. Paul hat ein sehr breites Wissen, ist fix und denkt mit. Innerhalb der kurzen Zeit haben sich die Zwei voll auf uns eingestellt und das ist ja nicht so ganz einfach, bei unseren fotografischen Sonderwünschen. Wir haben sie richtig in unser Herz geschlossen und ihnen ging es wohl ähnlich.
Die Zugfahrt verläuft verhältnismäßig unspektakulär. Diesmal gibt es keine Verpflegung und der Komfort ist trotz erster Klasse noch geringer. Da wollen wir gar nicht wissen, wie es in der dritten Klasse aussieht. Dort sind die Fenster vergittert. Die Verpflegung der Fahrgäste übernehmen „fliegende Händler“, die mit allem möglichen ess- und trinkbarem auf den Zug aufspringen, sobald er langsam in den Bahnhof einfährt. Sie laufen dann durch den Zug laufen und springen nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof wieder vom fahrenden Zug ab. Deshalb sind auch die Zugtüren immer offen und lassen sich überhaupt nicht schließen. Das dient aber wahrscheinlich auch der besseren Zugdurchlüftung, denn wehe dem, der seinen Sitzplatz zu nah im Dunstbereich einer Toilette hat. Lecker ist das nicht!
Eine besondere Herausforderung an die Reisenden fordern auch die kurzen Zwischenstopps, die der Zug auf den einzelnen Bahnhöfen macht. Oft hält er nur 2 Minuten, in denen man ein- und ausgestiegen sein muss. Das ist bei viel Gepäck ganz schön hektisch.
Als der Zug gegen 15 Uhr Haridwar erreicht, und ich als erste aus dem Zug steige, trete ich fast Manju auf die Füße. Diesmal wird also eine Frau unser Guide sein. Sofort greift Manju nach einem der großen Koffer und wir marschieren zum Parkplatz, wo der Fahrer wartet.
Auf der Fahrt zum Hotel „Country Inn & Suites“, das etwas außerhalb von Haridwar liegt, stimmt Manju mit uns das Tagesprogramm ab. Da Haridwar, das „Tor zu Gott“, für die Hindus als eine der sieben heiligsten Städte gilt, ist Fleisch und Alkohol in der Stadt verboten. Unser Hotel liegt außerhalb dieser Verbotsgrenze, so dass wir im Hotel sowohl Fleisch (es gibt sowieso nur Lamm und Hühnchen) als auch Bier (aufs Zimmer) bekommen.
Während Manju wartet, beziehen wir unsere Zimmer in der 5. Etage und können nicht meckern. Die Zimmer sind sehr schön eingerichtet, sauber und komfortabel. Ohne große Pause fahren wir zurück in die Stadt.
Zuerst zeigt uns Manju den Markt. Hier gibt es unzählige Stände mit Ritualienzubehör und Devotionalien, wie zinnoberroter Puder, in rote und goldene Stoffe eingewickelte Kokosnüsse sowie kleine Götterstatuen. Besonders begehrt und in jeder Größe im Angebot sind Behältnisse, in denen die Pilger das heilige Wasser des Ganges mit nach Hause nehmen. Wir laufen durch die schmalen Gassen von Haridwar, schauen uns rechts und links die kleinen Verkaufsräume an, staunen mal wieder über den chaotischen Verkehr und treffen hier auch auf eine Menge heiliger Kühe, die ebenso wie wir durch die Gassen bummeln. Es gibt unzählige solcher Gassen.
Zwischendurch kauft uns Manju in einer Garküche am Straßenrand ein paar frittierte Kostproben, die wir uns allein nie getraut hätten zu probieren. Wir müssen zugeben, es schmeckt köstlich.
Haridwar wird von vielen Pilgern besucht. Einige bringen auch die Asche ihrer verstorben Angehörigen mit, um sie dann hier, an einem Platz direkt am Fluss, in einer feierlichen Zeremonie noch einmal zu verbrennen. Das soll deren Seele reinigen. Danach wird die Asche zusammen mit einem kleinen Blumenschälchen und weiteren kleinen Opfergaben von den Angehörigen dem Ganges übergeben. Eine solche Zeremonie findet gerade statt. Ordentlich Buch geführt wird auch, denn es wird genau notiert, welche Geburten, Hochzeiten und Todesfälle sich seit der letzten Pilgerfahrt eines Familienmitglieds in dessen Familie ereignet haben. Eines dieser Bücher können wir uns anschauen, doch fotografieren dürfen wir leider nicht. Derjenige, der die Asche dem Fluss übergeben hat, wird anschließend, ebenfalls auf dem Platz, kahl rasiert. Auf dem Vorplatz, wo die Zeremonie stattfindet, stehen eine Menge Rinder, die den Verstorbenen gehört haben. Manju erklärt uns, wie die ganze Zeremonie abläuft und was mit den Rindern passiert. Bis das geklärt ist, schlendern die Rindviecher gemütlich durch die schmalen Gassen des Basars und erschrecken auch mal Touristen.
Um nicht den ganzen Nachmittag unsere Stative mitschleppen zu müssen, hatten wir sie beim Fahrer im Auto gelassen. Nun ruft Manju ihn an und bittet ihn, uns die Stative zu bringen. So muss der arme Kerl uns die vier schweren Stative anschleppen. Das tut er mit stoischer Gelassenheit und einem freundlichen Lächeln. So sieht Service aus!
Dann warten wir unter dem Uhrenturm gegenüber dem Hari-Ki-Pauri-Ghat (Ghats sind Treppen, die in den Fluss führen) auf die täglich veranstaltete Zeremonie der ganga aarti (Verehrung des Flusses). Am Hari-Ki-Pauri-Ghat (der Fußabdruck Gottes) soll Gott Vishnu einen Fußabdruck und einen Tropfen Himmelsnektar hinterlassen haben. Deshalb ist dieser Ort, an dem der Eintritt des Ganges in die Ebene gesehen wird, Hindus sehr heilig und sie glauben, dass man hier Sünden abwaschen kann. Viele der Pilger baden deshalb in der reißenden Strömung. Zu der allabendlich stattfindenden Zeremonie, bei der der Verstorbenen gedacht wird, versammeln sich Hunderte Gläubige. Als die Sonne untergeht, erklingen rhythmische Glocken. Fackeln werden entzündet und kleine Körbchen mit Blüten, auf denen eine brennende Kerze steht, werden ins Wasser gesetzt. Sie treiben den Fluss hinab und es sieht wunderschön aus. Die religiöse Musik verleiht dem Ganzen einen sehr feierlichen, spirituellen Rahmen. Priester schwenken brennende Kerzenständer, Angehörige von Verstorbenen gießen Milch in den Ganges. Auf uns wirkt das alles sehr exotisch. Für die Einheimischen sind dagegen wir die Exoten mit unseren Stativen und den großen Objektiven. Immer wieder werden wir fotografiert, gefilmt und interessiert beäugt.
Nachdem die Zeremonie beendet ist, werden wir zurück ins Hotel gebracht. Wieder essen wir im Hotelrestaurant und erkennen so langsam, nach welchen Kriterien unsere Reiseagentur die Hotels ausgewählt hat. Erstens bekommen wir auch Fleisch und zweitens schmeckt das Essen wieder sehr gut. Offensichtlich können wir uns darauf verlassen, dass wir in den von der Agentur ausgewählten Hotels hervorragendes Essen bekommen und auch noch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt.
23.02.2012 Haridwar – Rishikesh (Hotel „Country Inn & Suites“)
Nachdem wir uns gestern einen Überblick über die eher bescheidenen Sehenswürdigkeiten von Haridwar machen konnten, möchte uns Manju heute ihre Stadt zeigen. Sie kommt aus Rishikesh, quasi der Nachbarstadt von Haridwar, nur 24 km weiter nördlich. Rishikesh liegt am Zusammenfluss von Chandrabhaga und Ganges. Hier beginnt die heilige Char-Dham-Pilgerroute in den Himalaya. Die Stadt gilt als die Yogahauptstadt der Welt. Berühmt wurde Rishikesh, als die Beatles Ende der 1960-er Jahre hier ihre spirituelle Erleuchtung suchten. Angeblich entstand auch das berühmte „White-Album“ in Rishikesh. Das Haus, in dem sie damals gelebt haben, steht inzwischen leer, verfällt und darf auch nicht mehr besichtigt werden. Wir können es nur vom anderen Ufer aus zwischen den hohen Bäumen sehen. Heute gibt es in der Stadt zahlreiche Ashrams (spirituelle Lehrzentren, Orte religiöser Praxis) und man kann alle möglichen Arten von Yoga- und Meditationsunterricht nehmen. Entsprechend groß ist die Zahl der Aussteiger; auch europäischer Herkunft, die uns begegnen.
Zuerst fährt Manju mit uns in den Sivananda Ashram, der als Yoga-Zentrum besonders bekannt ist. Hier dürfen wir – mal wieder in Socken – bei einer Zeremonie zuschauen. Interessant ist, dass dieser Ashram für Bedürftige auch Essen ausgibt und sogar eine kostenlose ärztliche Versorgung anbietet. Manju bringt uns ein Schälchen von diesem Essen, damit wir probieren können. Erst zieren wir uns ein wenig, doch dann müssen wir zugeben, dass es äußerst lecker schmeckt. Besonders die Bananensoße ist zum reinknien. Ausgegeben wird das Ganze in einem Schälchen aus Blättern – 100 % biologisch abbaubar.
Als nächstes zeigt Manju uns den Kriya Yoga Ashram. Hier dürfen wir sogar im Yoga-Raum zwei Europäerinnen und ihrem Lehrer zusehen, der den Beiden gerade Yoga-Unterricht gibt. Die bebilderte Yogaanleitung am schwarzen Brett mit verschiedenen Übungen fotografiere ich noch schnell ab, damit das schlechte Gewissen zum Umgang mit dem eigenen Karma nicht zu groß ist. Ok, an diesen Übungen für Knochenlose versuche ich mich dann mal in meinem nächsten Leben.
Danach schlendert Manju mit uns durch die Gassen der Altstadt. Diese indischen Basare sind schon sehr speziell. Meist umfassen die Ladenräume nur ein paar Quadratmeter, sind dunkel, ohne jedes Mobiliar und man sitzt auf dem Boden. Dazwischen gibt es immer wieder winzige Imbissstände und davor „parken“ noch mobile Garküchen. Das, was dort zubereitet wird, sieht überwiegend wirklich gut aus. Man darf sich allerdings keine Gedanken über die Hygiene machen, denn indische Männer pinkeln immer und überall in irgendwelche Ecken und Gelegenheit zum Händewaschen haben die hier nicht.
An einem mobilen Lassi-Stand (ein Gemisch aus Milch und Joghurt, dem Zucker, Fruchtsaft oder pürierte Früchte beigefügt werden) rät uns Manju, sie zu probieren. Hier gäbe es die beste Lassi überhaupt. Bisher hatten wir uns nicht getraut, dieses vorwiegend indische Joghurtgetränk auszuprobieren, doch Manju wird schon wissen, was sie einem sensiblen touristischen Magen zumuten kann. Also probieren wir, werfen unsere hygienischen Bedenken über Bord und sind schwer begeistert. Das schmeckt wirklich saulecker und nach mehr.
Wir schlendern weiter durch die Gassen, bis wir an einer der beiden Hängebrücken stehen, die den schon recht breiten und sehr sauberen Ganges überqueren. Die Lakshman Jhula und die Ram oder Shivananda Jhula sind die Wahrzeichen der Stadt Rishikesh. Auf der schmalen Brücke, die eigentlich eine Fußgängerbrücke ist, herrscht dichter Verkehr, denn neben Fußgängern fahren auch Mopeds und Motorräder hier entlang und genauso mühsam wie wir bahnen sich auch heilige Kühe und Esel einen Weg ans andere Ufer. Entsprechend eng und vor allem wacklig ist das Ganze.
Auf dem Geländer der Brücke sitzt eine Horde diebischer Affen, die den Fußgängern buchstäblich Wegezoll abverlangt. Jede Tasche wird inspiziert und sobald sie den Verdacht haben, dass etwas Ess- oder Trinkbares für sie abfällt, erfolgt ein blitzartiger Überfall. Gerade hat einer auf diese Art und Weise zwei Saftpackungen erbeutet und trinkt die nun genüsslich leer. Für Nichtbetroffene ein Schauspiel!
Besonders schön ist der Ausblick von der Mitte der Brücke über die Stadt und auf die Ausläufer des Himalaya. Unter uns treiben Raftingboote im Ganges und wir können sogar große Fischschwärme beobachten. Also hier leidet der Ganges definitiv noch nicht unter Wasserverschmutzung.
Wir laufen am anderen Ufer des Ganges entlang, der gegenwärtig Niedrigwasser hat und teilweise den feinen Sand des Flussbettes freigibt. In den Felsen der Uferböschung leben Sadhus, die sich – mehr oder weniger – einem religiösen, teilweise streng asketischen Leben verschrieben haben. Inzwischen ist es ziemlich heiß geworden und wir schwitzen vor uns hin. Das Wasser ist eiskalt und doch baden schon einige darin. Es gibt hier in Rishikesh unter anderem auch eine Menge europäischer Aussteiger und/oder Durchgeknallte, die sich wohl einfach schon etwas zu lange in dieser Meditationshochburg aufhalten, wo längst nicht alle Ashrams seriös sind und quasi jede Form der persönlichen Erleuchtung angeboten wird. Als wir einige Menschen fotografieren, die wir vorher um ihre Erlaubnis gefragt hatten, wird Andrea von einer deutsch sprechenden Aussteigerin blöd angemacht, dass wir mit unseren Kameras ein aggressives Karma verbreiten würden. Diese Tussi ist definitiv schon zu lange hier!
Manju führt uns in ein Cafe, in dem wir erstklassigen Cappuccino bzw. Mocca trinken. Es ist mit Abstand der leckerste Kaffee, den wir bisher in Indien bekommen haben. Dann setzen wir unseren Weg am Ganges entlang fort. Wieder sind die Gassen von vielen kleinen Läden gesäumt. Dazwischen stehen immer wieder kleine Tempel unterschiedlicher Konfessionen.
Wir lernen, dass Hinduismus genau genommen aus verschiedenen Religionen besteht, die sich gegenseitig beeinflussen und teilweise überlagern, aber Unterschiede aufweisen in heiligen Schriften, Glaubenslehren, der Götterwelt und den Ritualen. Bei der Wahl der zu verehrenden Gottheiten – und davon gibt es wahrlich viele – bestehen keine Beschränkungen und so wählt jede Familie die Gottheiten aus, die ihr am meisten zusagen, der Familientradition entsprechen oder lokal verehrt werden. Die verschiedenen Richtungen im Hinduismus bestehen nebeneinander mit großer gegenseitiger Toleranz, da alle Anschauungen über die Möglichkeit, das Heil zu Erlangen, als gleichwertig gelten. Eine Entscheidung für eine bestimmte Richtung bedeutet deshalb nicht gleichzeitig eine Entscheidung gegen die anderen Richtungen.
Wenn wir schon mal Gelegenheit haben, auf das Insiderwissen einer indischen Frau zurückgreifen zu können, dann wollen wir das auch nutzen. So lassen wir uns von Manju in ein Geschäft führen, in dem es – wieder ausschließlich – Schals gibt. Geduldig breitet der Verkäufer im Inneren des Ladens, den wir nur in Socken betreten dürfen, einen Berg von Tüchern vor uns aus. Das Ergebnis ist eine tolle Schalkollektion und wir freuen uns wie die Schneekönige.
Auch in diesem Stadtteil sind überall Kühe, Esel und Affen unterwegs. Von den Affen gibt es sogar zwei verschiedene Arten. Neben den Rhesusmakaken gibt es noch die hübschen Bengalischen Hanuman Languren mit ihrem langen, hochgestellten Schwanz, die von den Einheimischen sogar gefüttert werden.
Manju bittet telefonisch unseren Fahrer, uns wieder die Stative hinterher zu tragen und führt uns inzwischen zu einem Tempel direkt am Ganges. Hier müssen wir wieder die Schuhe bei einem Schuhwächter abgeben, um der abendlichen Zeremonie der Ganga Aarti am Parmarth Niketan Ashram beiwohnen zu können. Während ich die Zeremonie direkt von den untersten Stufen des Ghats verfolge, hat sich Uwe unters Volk gemischt – gleich neben die Akteure der Zeremonie. Manju bewacht inzwischen im Schneidersitz unsere Habseligkeiten, singt und betet mit. Sie scheint der Zeremonie öfter beizuwohnen, denn sie kennt die Lieder alle auswendig. Ich verstehe zwar nicht so recht, was hier abgeht, aber der Singsang ist recht einlullend. Zusätzlich findet heute auch noch eine Hochzeitszeremonie statt. Dann werden – wie auch gestern schon – wieder solche brennenden Kerzenständer geschwenkt und durch die vielen Menschen gereicht. Auch kleine Blumenkörbchen mit Kerzen werden ins Wasser gesetzt. Inzwischen ist es dunkel und alles wirkt wieder sehr mystisch. Uwe macht fleißig Bilder vom Brautpaar, vom Guru, einem zugegeben sehr charismatischen Mann, und seiner singenden Muse, die irgendwie in anderen Sphären zu schweben scheint. Ich raffe es erst ziemlich spät, dass dies gerade eine Zeremonie der Hari Krishna-Sekte ist. Als der Hokuspokus vorbei ist, wird Uwe von der Muse des Obergurus und dem Brautpaar vereinnahmt. Sie möchten alle seine Fotos gleich mal auf ihren Rechner geladen haben und nehmen ihn mit in ihr Office. Er kommt und kommt nicht wieder. Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Ich mache mir zunehmend Sorgen, habe keine Ahnung, wo wir ihn suchen sollen und werde stinksauer über seinen Leichtsinn. Wie kann er nur allein mit solchen Leuten mitgehen? Wo ist er hin? Kommt er dann auch so „entrückt“ wieder? Was machen die mit ihm? Schließlich wissen wir nicht so genau, wen wir hier vor uns haben und was wir davon halten sollen.
Gerade, als ich Manju bitte, mit mir auf die Suche nach Uwe zu gehen, kommt er zurück. Seine neuen Freunde haben ihn mit einer Menge Infomaterial beladen und noch zum Abendessen eingeladen. Ich bin erst einmal erleichtert darüber, dass er nichts konsumiert hat. Natürlich kann Uwe nicht verstehen, weshalb ich mich aufrege oder mir gar Sorgen gemacht habe. Immerhin können wir nun dank Infomaterial seiner neuen Freundin nachlesen, dass wir es mit Guru H. H. Pujya Swami Chidanand Saraswati Maharaj vom Parmarth Niketan höchstpersönlich zu tun hatten, der weltweit bekannt ist, für Frieden betet, zahlreiche karitative Organisationen unterstützt und weltweit an philosophischen Kongressen teil nimmt. Ok, das mit einem neuen Jünger wird dann aber doch nichts und kurze Zeit später können wir auch schon wieder Witze drüber machen.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz müssen wir noch einmal die inzwischen stockdunkle Hängebrücke passieren, auf der man auch jetzt noch vielen Mopeds und Motorräder ausweichen muss. Wenigstens die räuberischen Affen sind aber inzwischen schlafen gegangen.
Wir verabschieden uns von Manju, die ihren Job wirklich sehr gut gemacht und uns wertvolle Einblicke in das indische Leben gewährt hat. Die 10 Kilometer zurück ins Hotel sind für den Fahrer kein reines Vergnügen, denn der ohnehin schon chaotische Verkehr ist im Dunklen noch gefährlicher und fordert seine ganze Aufmerksamkeit. So sind wir erleichtert, als er uns wohlbehalten am Hotel absetzt.
Auch heute essen wir wieder im Hotelrestaurant. Es schmeckt sehr gut und mutig geworden trinken wir sogar eine Lassi. Das könnte echt mein neues Lieblingsgetränk werden.
24.02.2012 Haridwar – Jim Corbett NP („Tiger Camp“ Ramnagar)
Wir haben unseren Fahrer für 7:30 Uhr bestellt, denn heute fahren wir in den Jim Corbett Nationalpark weiter. Für die knapp 200 Kilometer werden 5 Stunden Fahrzeit kalkuliert. Umsichtig hat unser Fahrer bereits Trinkwasser für uns eingekauft und auch mit Obst (Bananen, Mandarinen) deckt er uns noch ein.
Der Straßenverkehr ist wieder sehr abenteuerlich. Wie in einem Film rauscht das teilweise mittelalterlich wirkende Treiben an und auf der Straße an uns vorbei. Teilweise ist die Straße in wirklich sehr schlechtem Zustand. Einen Randstreifen gibt es grundsätzlich nicht, großen Löchern muss ausgewichen werden und der Gegenverkehr kommt uns auf unserer Seite auch noch entgegen. Dazwischen sind Ochsenkarren, Fußgänger, streunende Hunde, Motorräder, Rikschas, Tuk-tuks, Fahrradfahrer und vollkommen überladene LKWs. Das alles hat so viel Ähnlichkeit mit afrikanischen Verhältnissen, dass es uns überhaupt nicht aus der Ruhe bringt. Nur selbst fahren, möchten wir hier wirklich nicht. Außerdem fällt uns immer wieder auf, dass viele der Wegweiser nur in Sanskrit geschrieben sind, einer Schriftart, bei der die Hieroglyphen alle auf einer Wäscheleine zu hängen scheinen. Als Europäer können wir diese Schilder gar nicht lesen.
Unser Fahrer fährt sehr umsichtig, doch auch er mischt fleißig mit beim Dauergebrauch der Hupe. So ganz verstanden haben wir dieses Spiel noch nicht.
Wir benötigen für die Fahrt bis Ramnagar 4 Stunden und kommen mittags im „Tiger Camp“ an. Das Camp ist hübsch, die Zimmer groß und der Garten üppig begrünt. Um die Zeit so sinnvoll wie möglich zu nutzen, organisieren wir uns noch eine Nachmittagssafari. Leider gibt es nur ein Permit für ein Fahrzeug und das ist für unser ganzes Equipment und vier Personen schon arg eng. Wir müssen 24 km bis in den Park fahren. Fahrer und Guide wirken etwas unmotiviert, reden nicht viel und sind auch sonst nicht besonders umsichtig. Aber egal, Hauptsache wir kommen raus. Im Park sind die Wege aus sehr feinem Sand, der unglaublich staubt und sich in alle Ritzen und Poren setzt. So sind unsere Rucksäcke, das Equipment und auch wir in kürzester Zeit total eingedreckt. Außer ein paar Axishirschen, einigen Vögeln und einer leeren Bärenhöhle gibt es auf der Safari nicht viel zu sehen. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Guide dafür den Bäumen. Unter einem Baum mit vielen Wildbienennestern bleiben wir eine gefühlte Ewigkeit stehen. Einziges Highlight der Tour sind ein paar Tiger-Fußabdrücke. Schön ist der Teil des Parks aber trotzdem.
Das Abenddinner im Camp ist als üppiges Freiluftbuffet angerichtet und fast nur für uns, denn die anderen beiden Gäste essen lieber Pommes frites. Lange halten wir es allerdings auch nicht aus, denn es wird merklich frisch. Außerdem wollen wir morgen früh raus.
25.02.2012 Ramnagar – Jim Corbett NP („Dikhala Forest Rest Camp“)
Wir wollen so früh wie möglich los, denn heute kommen wir endlich in die Kernzone des Jim Corbett Nationalparks. In die Kernzone darf jedoch nur, wer dort auch übernachtet. Dafür gibt es ein einziges, eher bescheidenes, staatlich geführtes Camp – das „Dikhala Forest Rest Camp“. Dort werden wir die nächsten zwei Nächte verbringen.
Um 6:15 Uhr sind unser Guide und der Fahrer bereits abfahrbereit, haben unser Gepäck in den offenen Jeep verladen und das Lunchpaket liegt auch schon im Fahrzeug. Bei ca. 6°C ist die morgendliche Fahrt im offenen Fahrzeug kein reines Vergnügen. So sind wir froh, dass wir alles angezogen haben, was der Koffer an wärmenden Schichten zu bieten hatte. Dankbar krame ich auch noch meine Handschuhe aus den Tiefen des Rucksacks. Am Parkeingang müssen wir dann noch etwas warten, bevor wir den Park endlich erkunden dürfen. Dann lernen wir diesen sehr schönen Nationalpark kennen. Das breite Flussbett, das im Moment sehr wenig Wasser führt, durchzieht malerisch die bergige Landschaft. Es gibt mehrere Vegetationszonen und wunderschöne Wälder. Der Park gefällt uns sehr, hat aber eine sehr dichte Vegetation und ist eigentlich eher für die Sichtung von asiatischen Elefanten als von Tigern geeignet.
Unser Guide, der schnell zeigt, dass er genau weiß, was er tut, verspricht uns, einhundert Prozent zu geben und so sind wir zuversichtlich, den seltenen Bengalischen Tiger sehen zu können. An einem schönen Aussichtspunkt halten wir und können über den unter uns liegenden Fluss blicken. Am Ufer liegen große Gangesgaviale (Krokodile) und im Wasser sehen wir riesige Welse. Schade, dass wir nicht näher ans Wasser kommen, denn die Gaviale, die vom Aussterben bedroht sind, hätten wir uns mit ihren merkwürdig lang gezogenen Schnauzen schon gern mal genauer angesehen. Auf der Weiterfahrt sehen wir Axishirsche, Sambarhirsche, viele Pfauen und unzählige Vögel.
Gegen Mittag erreichen wir das „Dikhala Forest Rest Camp“. Es liegt wunderschön am Fluss. Unsere Unterkunft ist dagegen wirklich mehr als „basic“. Da hilft nur Augen zu und durch. Dafür ist das Lunch besser, als erwartet. Zwar hat das Ambiente eher Kantinencharme, doch die Qualität des Essens ist erstaunlich gut; der Masala-Tee sogar köstlich.
Hier im Camp gibt es wieder sehr viele Rhesusmakaken, die alles erbeuten, was essbar ist. Es macht Spaß ihnen dabei zuzusehen, wie sie jeden neu ankommenden Jeep genauestens inspizieren, ob irgendetwas Essbares für sie abfällt. Gut 25 Versuche haben sie, denn etwa so viele Jeeps sind hier unterwegs.
Gleich nach dem Lunch brechen wir wieder zu einer Nachmittagssafari auf. Diesmal haben wir Glück. Die Guides hatten Warnrufe der Axishirsche vernommen. So warten mehrere Fahrzeuge, dass der Tiger sich endlich zeigt. Jedes Fahrzeug sucht sich die vermeintlich beste Position. Als dann endlich eine ziemlich große, wunderschöne Tigerin aus dem Dickicht tritt und die Straße passiert, rasen alle Fahrzeuge gleichzeitig auf die Katze los. Jeder will seinen Gästen eine gute Sicht auf die Katze bieten. Auch unserer Fahrer legt einen Raketenstart hin, doch da verschwindet die Tigerin auch schon wieder auf der anderen Straßenseite im Dickicht. Es reicht nur für zwei viel zu kurze Augenblicke und ein Foto von ihrem Hinterteil. Das ist Steigerungsfähig. Dennoch überglücklich, zu den vergleichsweise wenigen Menschen zu gehören, denen es vergönnt ist, dieses herrliche und leider vom Aussterben bedrohte Tier noch in seiner natürlich Umgebung sehen zu können, genießen wir einfach das Erlebte. Das ist schon ein ganz besonderes Gefühl, einem Tiger so nah sein zu können; ihn überhaupt gesehen zu haben.
Nach diesem aufregenden Erlebnis verbringen wir noch eine schöne Nachmittagssafari. Wir beobachten, wie zwei Mahuts ihre domestizierten Elefanten im Fluss baden und bürsten. Immer wieder zeigt uns unser Guide verschiedene Vögel und erklärt uns, dass es hier im Park mehr als 600 Vogelarten geben soll. Im Flussbett trottet ein einsamer Elefantenbulle, wir sehen wieder Gruppen von Axis- und Sambarhirschen, erleben Languren und Makaken (Affen).
Es ist wunderschön hier im Park und unglaublich friedlich. Man hält es fast nicht für möglich, dass die Inder auch ohne Hupe auskommen können.
Auch heute schmeckt das Dinner in der schlichten Camp—Kantine recht gut, obwohl ziemlich viel los ist, denn jetzt, am Wochenende ist das Camp total ausgebucht. Abends wird es wieder recht kalt. Es steht eine sternenklare Nacht bevor. Fröstelnd beschließen wir den Abend früh, denn die Nacht wird kurz und morgen steht eine neue Safari an.
26.02.2012 Jim Corbett NP (“Dikhala Forest Rest Camp”)
Der Tag fängt ja gut an. Als wir um 5:15 Uhr aufstehen, ist kein Wasser da. Das scheint aber normal zu sein und eine halbe Stunde später haben wir dann auch Wasser. Jetzt wissen wir zumindest, weshalb der volle Wassereimer in der Dusche steht, über den wir gestern noch gelästert haben. Als wir zu unserem Jeep laufen, ist es noch dunkel und bitterkalt. Das Thermometer dürfte maximal 5°C anzeigen. Auf dem Parkplatz stehen – sauber aufgereiht – gut 25 Jeeps und wenn die alle ausreiten, dann ist Rushhour mit jeder Menge Staub.
Wieder sehen wir auf der Safari jede Menge Tier, doch leider keine Tiger. Zwar hört unser Guide jeden Warnruf, aber die Tiger tun uns nicht den Gefallen, sich zu zeigen. Dafür sehen wir im Grasland die seltenen und scheuen Hogdeer (Schweinshirsch). Auch Wildschweine können wir beobachten. Wieso denken wir da alle an saftige Steaks? Sind wir auf Fleischentzug? Mehr als Chicken (Hühnchen) hat es bisher nicht gegeben und das ist auch schon vier Tage her.
Im Jim Corbett NP soll es 242 Tiger geben, da müsste doch auch einer für uns dabei sein. Wir fahren durch den wunderschönen Wald und als die Sonne aufgeht, bricht sich das Licht strahlenartig in den Bäumen. Das sieht aus wie im Märchen. Auch am Fluss ist es traumhaft schön. Wir sehen Schwarzstörche, Reiher, Fischadler, Kingfisher und unzählige andere Vögel – teilweise mit wunderschön buntem Gefieder.
An einem der sehr zugewachsenen Wasserlöcher hören wir Tiger. Sie sind bei der Paarung und es geht handfest zur Sache. Die Beiden sind ganz in der Nähe, aber wir sehen nur die Büsche wackeln. So verbringen wir den Mittag damit, den Tigern bei der Paarung zuzuhören. Das passiert aller 20 Minuten und angeblich etwa 72 mal. Wir erleben im Laufe des Mittags neun dieser lautstarken Gefühlsausbrüche. Dafür knicken wir unseren Lunch. Stattdessen holen uns später Guide und Fahrer des einen Jeeps Wasser und Kekse aus dem Camp. Ein netter Service. Wir warten lange und geduldig. Inzwischen stehen 17 Jeeps hier und es ist natürlich viel zu laut. Die Tiger lassen sich leider nicht blicken. Naja, wenigstens haben wir sie gehört.
Ansonsten sehen wir nur die „übliche“ Palette an Tieren; so wie am Vortag auch.
Während wir bei der Tigerpaarung zugehört haben, hatten Fahrer und Guide im Camp auch gleich noch unser Gepäck umgezogen, denn wir müssen für diese Nacht die Unterkunft innerhalb des Camps wechseln. Diesmal sind wir zusammen in der Offiziersunterkunft untergebracht. Naja, auch recht basic und heruntergekommen. Sehr vorsichtig gehen wir zu Bett, denn die machen nicht wirklich einen vertrauenswürdigen und vor allem stabilen Eindruck.
27.02.2012 Jim Corbett NP (Tiger Camp Ramnagar)
Heute Morgen sind wir um 5:30 Uhr echt froh, aufstehen zu dürfen. Uwe`s Bett hat bei jedem Atemzug geknarrt und damit gedroht, auseinander zu brechen. Es war eine schreckliche Nacht. Dafür haben wir die Axishirsche gehört, die heute Nacht gleich hinter dem Camp ihre Warnrufe abgesetzt haben. Ein Tiger muss ganz in der Nähe des Camps gewesen sein. Seine Spuren sehen wir kurze Zeit später im Sand.
Diesmal besteigen wir einen Elefanten, um eine Tigersafari zu machen. Damit wir auf den grauen Riesen aufsteigen können, gibt es eine Elefantentreppe. Vor der wird unsere Elidame geparkt. Vorn auf dem Kopf des Dickhäuters sitzt der Mahut und dahinter wurde dem Elefanten eine Plattform (wie ein umgedrehter Tisch mit gekürzten Beinen) auf den Rücken gebunden, auf der vier Personen Platz finden. Nachdem wir uns alle vier auf dem Dickhäuter platziert haben, wackelt er los. Das schaukelt ganz schön und es ist lustig, wie man dabei hin und her geschüttelt wird. Während die Elefantendame durch das offene Grasland stapft, steigt leichter Bodennebel aus dem Gras auf. Unzählige Tautropfen funkeln wie Kristalle in der langsam aufgehenden Sonne, die sich über dem Park erhebt. Vögel zwitschern ihr Morgenlied und es ist wahnsinnig idyllisch.
Fast wäre unsere Elefantendame auf ein kleines Axishirsch-Kitz getreten, das sich ängstlich direkt vor ihrem Fuß ins Gras drückt. Die friedliche Ruhe, Weite der Grasebene und dieses einmalige Erlebnis machen uns ganz still. Es ist wunderschön und wir sind froh, diesen Elefantenausritt gemacht zu haben.
Gut zwei Stunden dauert dieser Ausritt, bei dem der Elefant Tiger aufspüren soll. Zuerst durchstreifen wir noch das offene Grasland, dann das Dickicht im Wald. Immer wieder klatschen uns dabei Äste um die Ohren und wir müssen die Köpfe einziehen. Besonders witzig ist es, wenn der Eli pupsen will. Dann vibriert schon vorher sein ganzer Körper. Leider findet der Mahut keinen Tiger, obwohl die Axishirsche immer wieder Warnrufe absetzen. Einer von ihnen muss hier in der Nähe sein. Schade, aber es ist auch so ein großartiges, unvergessliches Erlebnis. Insgesamt gibt es im Moment vier solcher domestizierter Elefanten, die für diese Tigersafaris eingesetzt werden.
Nach dem Elefantenritt gibt es erst einmal Frühstück und dann starten wir zur Vormittagssafari, doch leider sehen wir wieder keine Tiger. So ist das eben mit der Natur.
Nach dem Mittagessen verabschieden wir uns von unserem Guide. Die Fahrer werden uns allein zurück nach Ramnagar bringen. In aller Ruhe treten wir die Rückfahrt an und sehen unterwegs sogar noch ein paar der Gangesgaviale im Fluss. Als wir den Park gerade verlassen haben, versucht ein Elefant die Straße zum Fluss zu überqueren und hat offensichtlich große Angst dabei. Laut trompetend rennt er beim Anblick der Autos wieder zurück in den Wald.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit liefern uns unsere beiden Fahrer wohlbehalten wieder im „Tigers Camp“ in Ramnagar ab. Hier verbringen wir noch eine Nacht, bevor es morgen weiter nach Agra geht.
Am Abend heißt es umpacken, alle Akkus laden, Speicherkarten sichern und den Staub der letzten Tage beseitigen.
28.02.2012 Ramnagar – Agra (Hotel “Jaipee Palace”)
Um 7:30 Uhr holt uns der gleiche Fahrer wieder ab, der uns schon so fürsorglich von Haridwar nach Ramnagar gebracht hatte. Heute geht unsere Tour weiter nach Agra – zweifellos einer der Höhepunkte dieser Reise. Für die 330 Kilometer sind 7-8 Stunden Fahrzeit kalkuliert. Das verspricht eine spannende Fahrt zu werden. Wir kommen durch viele Ortschaften und das rege Treiben ist unglaublich interessant und faszinierend. Fast alles spielt sich direkt an der Straße ab. Vom Auto aus versuchen wir, ein paar der Straßenszenen einzufangen. Das macht riesigen Spaß, doch am Schönsten sind die Bahnübergänge. Dort verkeilt sich der Verkehr regelrecht und wird zu einem bunten Knäuel Drängelnder, die keinen Millimeter vor- oder zurückgehen. Der Gegenverkehr sieht das aber genauso und so stehen sich die Menschenmassen beim Öffnen der Schranken gegenüber und es geht minutenlang gar nichts mehr, bis sich die beiden Ströme endlich wieder irgendwie aneinander vorbeischieben. Da verhaken sich die Ladungen der Karren, Mopeds bleiben aneinander hängen und auch sonst geht es nicht ohne Reibung ab, doch Berührungsängste können sich die Inder bei ihrer Überbevölkerung sowieso nicht leisten. Laut oder aggressiv wird es dabei jedoch sehr selten. Irgendwie haben die schon eine stoische Gelassenheit, doch drängeln scheint so eine Art Volkssport zu sein.
Dafür sind die Menschen unglaublich freundlich und es scheint so, als ob sie hier in den Dörfern nicht oft Europäer zu Gesicht bekommen, denn immer wieder werden wir neugierig beäugt. So ist das Staunen auf beiden Seiten groß und wenn sie merken, dass wir fotografieren, dann stellen sie sich richtig in Pose. So haben wir viel Spaß und die Fahrt ist kurzweilig. Dabei ist die Fülle traumhafter Fotomotive schier unerschöpflich, doch wenn wir die alle mitnehmen wollten, dann kämen wir nie in Agra an. Besonders beeindruckend sind immer wieder die vielen Fahrzeuge – vom Eselskarren über Fahrradrikschas, Mopeds, Tuk-tuks, Motorräder, LKW, Traktoren und Anhänger, die voller beladen nicht sein können. Man glaubt gar nicht, wie voll und hoch man laden kann. Kein Wunder, wenn hin und wieder so ein Gefährt buchstäblich unter seiner Ladung zusammenbricht. Wieder einmal fühlen wir uns auf dieser Fahrt, als ob wir eine Zeitreise in die Vergangenheit machen. Immer wieder kommen mir auch die Geschichten aus Tausendundeine Nacht in den Sinn, die hier buchstäblich lebendig werden. Ich habe sie schon als Kind geliebt.
Auffallend ist jedoch auch die hohe Präsenz von Militär, je weiter wir uns Agra nähern. An jeder Kreuzung, in jedem Ort stehen jede Menge schwer bewaffnete Polizeiposten.
Die Fahrt bis Agra zieht sich wirklich, obwohl wir keine Zeit vertrödeln. Tapfer und lediglich mit einer kurzen Pinkel- und einer Teepause fährt der Fahrer durch. Neun Stunden brauchen wir letztlich für die 330 Kilometer und kommen kurz vor Sonnenuntergang in Agra an. Schon von weitem sehen wir am Fluss Yamuna das Taj Mahal und das Rote Fort, fahren am Mogul Gate vorbei und kämpfen uns durch den städtischen Abendverkehr. Am großen, viel zu vornehmen Hotel „Jaipee Palace“ (dieses Hotel hatten wir uns selbst ausgewählt) wird unser Fahrzeug vor dem Einlass erst noch einer Sicherheitskontrolle unterzogen, indem Spiegel unter das Fahrzeug geschoben werden. Gleich vier oder fünf Angestellte sind uns dann beim Aussteigen behilflich. Unser gesamtes Gepäck einschließlich des gesamten Kameraequipments wird durch eine separate Sicherheitsschleuse gebracht und wie beim Fliegen geröntgt. Nur Zähneknirschend geben wir unser Equipment aus den Händen. Inzwischen müssen wir durch ein Sicherheitstor gehen (auch wie beim Fliegen) und bekommen dann eine lange Blumenkette aus Tagetesblüten um gehangen. Ich hasse Tagetes – die stinken! Auf den Begrüßungstrunk aus giftig rotem Rosenwasser verzichte ich dankend. Schließlich möchte ich morgen das Taj Mahal sehen und nicht den Hotellokus abnutzen. Die anderen Drei sind da nicht so kleinlich und gottseidank ist das Gesöff doch bekömmlicher, als es aussieht.
Das ziemlich große Hotel ist megavornehm, sehr geschmackvoll ausgestattet und irgendwie fühlen wir uns hier deplatziert. Aber das hilft nun alles nichts, da müssen wir durch, auch wenn mich so viel Noblesse etwas auf Krawall bürstet.
Unser Guide für Agra hat auch schon auf uns gewartet und stimmt nun noch mit uns den morgigen Tag ab. Eigentlich haben wir ja Hummeln im Hintern und würden gern jetzt noch zum Taj Mahal gehen, um dort zur Blauen Stunde zu fotografieren, doch unser Guide Santosh hat heute keinen Bock mehr. Kurz überlegen wir noch, ob wir uns ein Taxi rufen, doch dann siegt die Vernunft. Schließlich wissen wir noch nicht so genau, wo wir eigentlich fotografieren wollen und die Zeit ist jetzt auch schon zu weit fortgeschritten.
Nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben, entscheiden wir uns erst einmal dafür, das riesige Hotel zu erkunden. Es gibt hier viele liebevoll dekorierte Details, doch alles ist sehr auf Vornehm getrimmt. Nach dem Basic-Camp im Dikhala Forest Rest Camp ein echtes Kontrastprogramm für uns. In einem der vier Restaurants essen wir zu Abend. Für 20 Euro pro Person wird ein Buffet angeboten. Dass dieser Preis vollkommen überzogen ist, die Atmosphäre der einer Betriebskantine gleicht und der Lautstärkepegel dank mehrerer Busladungen Asiaten so hoch ist, dass wir uns nur anschreien können, erkennen wir leider zu spät. Ein echtes Horrordinner! So schlecht haben wir in diesem Urlaub bisher noch nirgendwo gegessen.
29.02.2012 Agra (Hotel „Jaipee Palace“)
Heute Morgen klingelt der Wecker um 5:15 Uhr, denn wir wollen schließlich bei Sonnenaufgang am Taj Mahal sein. Pünktlich steht unser Fahrer mit Guide vor dem Hotel. Am Ticketschalter muss unser Guide nun aber noch die Tickets kaufen (das hätte er eigentlich gestern noch erledigen können) und wir sitzen wie auf Kohlen. Geht uns hier doch wertvolle Zeit verloren. Schließlich wollen wir vor den großen Menschenmassen da sein. Als er zurück kommt, drückt er uns unsere Eintrittskarte (750 Rs ~13 EUR), eine Flasche Wasser und Überzieher für die Schuhe (für das Betreten des weißen Marmorbodens) in die Hand.
Der letzte Kilometer bis zum Eingang ist für den Verkehr gesperrt und darf nur von Elektroautos befahren werden. Wir steigen in einen kleinen Elektrobus um, der uns für 10 Rs/Person bis zum Westtor bringt. Dort müssen sich Männer und Frauen mal wieder getrennt anstellen. Ungeduldig reihen wir uns in die ständig länger werdende Schlange ein. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis endlich die Tore geöffnet werden. Nun müssen wir erst noch einen Sicherheitscheck über uns ergehen lassen. Wir werden gewissenhaft abgetastet und der Rucksack wird auf alle möglichen verbotenen Gegenstände untersucht. Essen, Kaugummi, Zigaretten, Feuerzeuge, Bücher und auch Stative sind nicht erlaubt. Wir haben nichts von alledem dabei und dürfen passieren.
Noch ein kurzer Spurt über den großen Vorplatz, dann stehen wir endlich vor dem weltberühmten Taj Mahal und sofort hat auch uns das beeindruckende Bauwerk in seinen Bann gezogen. Wir sind total beeindruckt von diesem architektonischen Meisterwerk, das traumhaft schön ist – viel schöner, als es irgendein Bild darstellen könnte. Viel Zeit bleibt uns erst einmal nicht, diesen Anblick hier zu genießen, denn hinter uns strömen schon die Menschenmassen durch das legendäre Tor auf das weitläufige, sehr gepflegte Gelände und wir müssen uns beeilen, noch ein paar Fotos von einem menschenleeren Taj Mahal zu bekommen. Unser Guide hat derweil keine Chance, uns irgendetwas über das Bauwerk zu erzählen, denn schon sind wir in alle Richtungen auf und davon. Ihm bleibt nur, auf uns zu warten.
Das Taj Mahal ist ein riesiges Mausoleum, das der Mogulherrscher Shah Jahan seiner 1631 verstorbenen Lieblingsfrau Mumtaz Mahal zwischen 1631 und 1648 errichten ließ. Die Baumaterialien wurden dazu aus ganz Indien herangeschafft. Weißer Marmor ist das Hauptmaterial. Das Mausoleum selbst steht auf einer erhöhten Marmorplattform nördlich der Ziergärten, mit der Rückseite zum Yamuna-River. Der architektonische Effekt dieser Plattform ist tatsächlich umwerfend, denn durch die Erhöhung sieht man im Hintergrund nur noch den Himmel. Als rein dekorative Elemente schmücken schlanke 40 Meter hohe weiße Minarette jede Ecke der Plattform. Auch sonst ist das Bauwerk von einer beeindruckenden Symmetrie. Gekrönt wird das Mausoleum von vier kleinen Kuppeln, die um die berühmte, 44 Meter hohe „Zwiebelkuppel“ in der Mitte angeordnet sind.
Auch die umgebende 18 Hektar große Gartenanlage ist natürlich Teil dieses Meisterwerkes muslimisch-indischer Architektur. Die Ziergärten im Taj Mahal sind nach dem Vorbild klassischer chabaghs (geometrische persische Gärten im Mogulstil) angelegt – ein Quadrat, das durch Wasserläufe in vier Teile geteilt wird. In der Mitte befindet sich ein reich verzierter Marmorsockel. Auf ihm stehen die berühmten Marmorbänke, auf denen auch schon Prinzessin Diana mit dem Taj Mahal im Hintergrund fotografiert wurde. Während wir uns das fantastische Bauwerk und die ganze Anlage noch immer staunend von diesem Marmorsockel aus betrachten, muss ich schmunzelnd an die Worte meiner Schwiegermutter denken, die mir mit auf den Weg gegeben hatte: „Kind, wenn Du vor dem Taj Mahal stehst, dann denk` mal an Deine Schwiegermutter“. Ok, den Auftrag habe ich hiermit ausgeführt.
Schon drängeln sich die ersten Asiaten auf diesen Bänken und machen alle möglichen Verrenkungen für ein möglichst originelles Bild mit diesem tollen Bauwerk. Rennend nähern wir uns erst einmal der Moschee aus rotem Sandstein im Westen, die ein bedeutender Versammlungsort der Muslime von Agra ist. Von hier aus haben wir das Taj Mahal auch noch menschenleer und inzwischen schiebt sich langsam die aufgehende Sonne über die Kuppeln des Taj Mahal; blitzt durch die Minarette hindurch. Die relative Stille dieser frühen Morgenstunde verbreitet eine ganz besondere, magische Atmosphäre.
Als wir endlich direkt vor dem riesigen weißen Marmorbau stehen, der je nach Lichteinfall seine Farbe verändert, haben wir Zeit, die Details dieses Kunstwerkes näher zu bestaunen. Beeindruckende Bogen sind hier zu sehen, geschmückt mit pietra-dura-Arbeiten und Koranversen – die Kalligraphie wurde mithilfe von Jaspis-Einlagearbeiten ausgeführt. Friese mit eingemeißelten Blumen und Einlegearbeiten aus 28 verschiedenen Arten von Edel- und Halbedelsteinen in wunderschönen Mustern verzieren das Gebäude. Auch hier ist die Symmetrie des gesamten Bauwerkes faszinierend.
Dann, bevor die großen Menschenmassen herbei strömen, besichtigen wir auch das Innere des Mausoleums, in dem leider nicht fotografiert werden darf. Filigran durchbrochene Marmorplatten, durch die dezent das Licht fällt, geben den Blick frei auf eine kunstvoll gearbeitete falsche Gruft. Mumtaz Mahals Sarkophag liegt erhöht neben dem Grab von Shah Jahan. Der Herrscher wurde 1666 ebenfalls im Taj Mahal neben seiner geliebten Frau beigesetzt. Die eigentlichen Gräber von Mumtaz Mahal und Shah Jahan befinden sich jedoch unterirdisch in einem verschlossenen Bereich und können nicht besichtigt werden. Wir umrunden die Gruft und werden schon von den nachfolgenden Menschenmassen wieder ans Tageslicht geschoben. Einfach faszinierend, was hier entstanden ist und wohl die romantischste Liebeserklärung der Welt.
Nachdem wir das Taj Mahal noch ein paar Mal umrundet haben, um es von allen Seiten und aus allen möglichen Perspektiven betrachten und fotografieren zu können, wenden wir uns dem im Osten stehenden Jawab, dem Gästehaus zu. Dieses; ebenfalls in rotem Sandstein erbaute Gebäude im Stil einer Moschee wurde wegen der Symmetrie gebaut. Auch von hier aus hat man eine schöne Sicht auf das Taj Mahal. Schade eigentlich, dass dieses Bauwerk so im Schatten des Taj Mahal steht, denn eigentlich sind auch seine Details recht sehenswert.
Wir haben heute noch nichts gegessen und nur bis 10:30 Uhr bekommen wir im Hotel Frühstück. So sammeln wir rasch noch unseren Guide ein, bevor wir um 10 Uhr schweren Herzens aufbrechen, um uns zum Hotel zurück bringen zu lassen.
Quasi in letzter Minute erreichen wir das Frühstücksbuffet, bevor es hinter uns geschlossen und abgeräumt wird. Gestärkt brechen wir danach um 11 Uhr wieder auf. Schließlich hat Agra noch mehr Sehenswürdigkeiten zu bieten. Zuerst steuern wir das Red Fort (Rote Fort) an, das sich gleich neben dem Taj Mahal befindet. Diese Festung am Westufer des Yamuna umgibt eine hohe Festungsmauer aus rotem Sandstein. Früher diente die Festung rein militärischen Zwecken, doch Shah Jahan ließ sie zum Palast umbauen. Der ausgedehnte Palastkomplex gleicht einer kleinen Palaststadt und umfasst Hallen, Höfe, Galerien, Garten, Türme, Moscheen, Paläste und vieles mehr. Allerdings hat an vielen Bauwerken der Zahn der Zeit erhebliche Spuren hinterlassen und nur innerhalb des Hauptkomplexes wurden Instandsetzungsarbeiten vorgenommen. Nachdem wir das Fort durch das mächtigen Amar Singh-Gate betreten haben, wenden wir uns zuerst dem Jahangiri Mahal-Komplex zu, der am weitesten verfallen ist und von dem nur noch Mauerreste übrig geblieben sind. Dafür gibt es hier noch sehr schöne architektonische Details zu bewundern.
Anschließend bewegen wir uns durch die noch besser erhaltenen und auch teilweise restaurierten Gebäude des Palastkomplexes. Wir besichtigen den Goldenen Pavillons (das Gold ist leider abgeblättert), das Khas Mahal – eine elegante Marmorhalle mit bemalter Decke, die Halle der Privataudienzen (mit Thronsitzen auf einer Terrasse davor) und das Sheesh-Mahal (Spiegelpalast), den winzige eingelegte Spiegel zieren. Fast kann man sich in dem Palastlabyrinth verlaufen und irgendwie sieht man das Palastleben der Mogule mit ihrem Harem in diesen Gemäuern noch buchstäblich vor sich sehen.
Immer wieder haben wir durch die Zinnen der Festungsmauer tolle Ausblicke auf das Taj Mahal. Hier im Red Fort verbrachte auch Shah Jahan eingekerkert seine letzten Lebensjahre, nachdem er die Staatsfinanzen ruiniert und deshalb von seinem Sohn gestürzt worden war. So blieb ihm nur der Blick von hier zum Grabmal seiner Ehefrau.
Wir finden im Red Fort eine Menge Fotomotive und wieder muss unser Guide viel Geduld mit uns aufbringen. So einigen wir uns darauf, dass er uns zuerst etwas erzählt, und wir dann in Ruhe fotografieren können. Sein Job besteht in erster Linie darin, uns zusammenzuhalten. Außerdem können wir das eine oder andere ja auch später in unserem Reiseführer nachlesen. Im Grunde könnte man allein hier im Red Fort einen ganzen Tag verbringen, so viel gibt es zu sehen.
Nachdem wir uns im Red Fort – zumindest aus Sicht von Santosh – genug umgesehen haben, bringt uns der Fahrer zur nächsten Sehenswürdigkeit. Wir möchten uns noch das Itimad-du-Daula ansehen. Dieses 1628 erbaute Mausoleum wird auch kleines Taj Mahal oder Baby Taj genannt und ist von außerordentlicher kunsthistorischer Bedeutung, denn es wurde als erstes Bauwerk der Mogulzeit in Marmor ausgeführt und mit umfangreichen pietra-dura-Arbeiten versehen und so zum Vorbild für das wenig später errichtete Taj Mahal. Das kleine, elegante Gartenmausoleum für Itimad-du-Daula, Schatzkanzler des Mogulreichs, wird als Schmuckkästchen in Marmor bezeichnet.
Am Ostufer der Yamuna, 3 km nördlich des Agra-Forts, erhebt sich dieses prachtvolle Grabmal. Das Baby Taj ist zwar nicht von solcher Schönheit wie das Taj Mahal, aber durch seine besonders grazil gearbeiteten Steingitterfenster (jali) wirkt es sehr feingliedrig. Auch dieses Grabmal liegt inmitten einer − durch geradlinige Wege mit Wasserkanälen − viergeteilten Gartenanlage im persischen Stil (Char-Bagh) und man findet viele Parallelen zum Taj Mahal.
Prachtvolle Einlegearbeiten bedecken den gesamten Bau. Wir entdecken eine unfassbare Flut geometrischer und floraler Muster in gedämpften Rot-, Orange-, Braun- und Grautönen. Elegante Einlegearbeiten mit typisch persischen Motiven wie Weinkrügen, Bäumen und Geißblattranken zieren auch die vier Eingangsbögen. Die Innenwände bedecken Ornamente mit weiteren Gefäßen, Blumen und Zypressen, die jedoch teilweise leider schon recht stark abgeblättert sind. Dennoch ist dieses Mausoleum absolut sehenswert. Hier kommen auch längst nicht so viele Menschen her und jetzt, am Nachmittag sind wir stellenweise fast allein.
Nachdem wir auch hier viel Zeit verbracht und uns ausgiebig umgesehen haben, bringt uns der Fahrer nun an das gegenüberliegende Ufer des Yamuna-Flusses. Von hier aus möchten wir noch einmal das Taj Mahal bei Sonnenuntergang fotografieren. Allerdings ist das nur bedingt möglich, denn die Sonne geht neben dem Taj Mahal unter.
Mit Stativen bewaffnet, wollen wir eigentlich erst in den Mehtab Bagh, den Botanischen Garten, doch Stative dürfen dort nicht mit hinein genommen werden. Außerdem schließt der Botanische Garten zum Sonnenuntergang und ein hoher Stacheldrahtzaun versperrt sowieso die fotografische Sicht. So laufen wir direkt bis zur zweiten Stacheldrahtgrenze, die das Ufer absperrt. Hier stehen mehrere bewaffnete Polizeiposten und bewachen das Ufer gegenüber dem Taj Mahal. Eine freie Platzwahl ist uns so leider nicht möglich.
Wir bauen unsere Stative auf und werden nun natürlich erst einmal interessiert beäugt. Nachdem bis zum Sonnenuntergang noch Zeit ist, bekommt Santosh nun auch die Gelegenheit, sein umfangreiches Wissen preis zu geben. Nun kann er uns endlich die Informationen zum Taj Mahal geben, wozu er heute Morgen keine Gelegenheit bekam.
In kurzer Zeit versammelt sich hinter uns eine Menschenmenge, die ebenfalls den Sonnenuntergang erleben möchte. Mit letztem Licht beleuchtet die untergehende Abendsonne noch einmal den Prachtbau aus weißem Marmor, bevor sie dann im Dunst der Abgase unspektakulär verschwindet.
Auf der Fahrt zurück ins Hotel versuchen wir, einen Geldautomaten zu finden, damit der Bargeldnachschub gesichert ist. Das erweist sich als gar nicht so einfach und braucht drei Versuche, bis wir endlich einen funktionierenden Automaten gefunden haben. Anschließend legen wir noch einen Zwischenstopp im Bottle-Store ein und versorgen uns mit Getränken für den Abend. Wir sind uns einig, dass wir das vollkommen überteuerte Hotelessen heute nicht brauchen. Eine Alternative bietet der neu eröffnete Mc Donalds. Unser Fahrer fährt an den Drive-in-Schalter und wir tätigen unsere Bestellung.
Jetzt müssen wir die vielen kleinen Tüten und den Getränketräger aber noch aufs Hotelzimmer tragen. Erst etwas irritiert, dann schmunzelnd schauen die Angestellten auf unsere Tüten, als wir aus dem Auto aussteigen. Einem Sicherheitscheck müssen unsere Burger aber dann doch nicht unterzogen werden. Kichernd schleppen wir unsere Mc-Beute aufs Zimmer und machen dort eine Mc-Donalds-Room-Party.
01.03.2012 Agra (Hotel „Jaipee Palace“)
Noch einmal stehen wir zeitig auf, um zum Taj Mahal zu fahren. Heute Morgen hat sich der Guide frei genommen und nur der Fahrer steht pünktlich vor dem Hotel, um uns zu chauffieren. Im Laufschritt holen unsere Männer die Tickets am Ticketschalter. Dort stehen schon mehrere Busladungen Touristen. Dennoch gelingt es ihnen, die Tickets vor den Touris zu erbeuten. Zügig bringt uns der Fahrer bis zur Absperrung. Ebenfalls im Laufschritt sprinten wir zum Westeingang. Ich hätte allerdings gut daran getan – trotz oder gerade wegen Dunkelheit – gelegentlich auch mal nach unten zu schauen. Als ich es dann tue, ist es schon zu spät. Ich stehe bereits mitten in einem frischen Kameldunghaufen. Oooch nö, immer ich, geht es mir durch den Kopf und Andrea tröstet mich damit, dass es ja nur der Mist eines Pflanzenfressers ist. So kann man selbst Scheiße etwas Positives abgewinnen. Ich kann es nun auch nicht ändern, denn aus dem ordentlichen Profil meiner Wanderschuhe bekomme ich das Zeug so schnell nicht raus. Da ist es echt von Vorteil, dass man vor dem Betreten des Taj Mahal so Überzieher für die Schuhe bekommt. Die machen bei mir dann heute richtig Sinn.
Am Eingang steht bereits eine längere Schlange als gestern. Buchstäblich Fuß-scharrend warten wir wie auf Kohlen, bis wir beim Security-Check endlich dran sind. Heute nimmt es die Tussi ganz genau und konfisziert erst einmal meinen Buntstift und die Maglight. Nachdem sie sich überlegt hat, dass sie auf jeden Fall den Buntstift haben will, gibt sie mir gnädiger Weise die Taschenlampe wieder, um den Stift endgültig zu beschlagnahmen. Da ich in Eile bin, verzichte ich natürlich auf irgendwelche Diskussionen und überlasse ihr großzügig die Beute, ohne nach dem rechtlichen Grund für diese willkürliche Maßnahme zu fragen. Glaubt die vielleicht, ich will die Verzierungen und Muster am Taj Mahal ausmalen, oder wie?
Immerhin gelingt es uns wieder, vor dem großen Menschenansturm da zu sein. So können wir noch einmal ein paar Fotos des Taj Mahal machen. Inzwischen beleuchtet das erste Morgenlicht dieses Weltwunder und es herrscht heute Morgen eine ganz besondere Stimmung. Das Gebäude ist leicht in Nebelschwaden eingehüllt und in ein sanftes rötliches Licht getaucht. Über dem angrenzenden Fluss herrscht eine friedliche Stille und nur ein Fischer, der mit seinem Boot vorbei rudert, singt leise vor sich hin. Es ist wunderschön.
Nachdem wir uns nun zum zweiten Mal hier aufhalten, bleibt sogar ein wenig Zeit, dieses Monument der großen Liebe zu genießen. Auffallend ist, dass heute überwiegend Inder das Mausoleum besuchen. Touristen sind in der Minderheit und Europäer sowieso.
Um kurz vor 10 Uhr verlassen wir auch heute das Gelände, finden unseren Fahrer genau an der verabredeten Stelle und lassen uns von ihm zurück zum Hotel bringen. Wieder reicht die Zeit gerade so fürs Frühstück, bevor das Buffet geschlossen wird.
Um 12 Uhr werden wir zum Nachmittagsprogramm wieder abgeholt. Inzwischen haben wir gepackt und ausgecheckt, denn heute Abend werden wir mit dem Nachtzug nach Varanasi fahren. Unser Gepäck lassen wir erst einmal im Hotel.
Wir fahren nach Sikandra, um das Tomb of Akbar the Great Mausoleum (Akbar Mausoleum) zu besuchen. Sikandra liegt zehn Kilometer nördlich von Agra an der Straße nach Delhi. Dort befindet sich die letzte Ruhestätte des Mogulkaisers Akbar.
Drei Jahre vor seinem Tod hatte der Mogulkaiser bereits die gewaltige Anlage in Auftrag gegeben. Ihre Fertigstellung lag dann in den Händen seines Sohnes Jahangir (1613). Das kostbare Hauptportal hat Akbar selbst entworfen. Das Mausoleum gilt als eines der berühmtesten seiner Zeit. Den riesigen Innenhof betritt man durch das gigantische Buland Darwaza (Großes Tor), das von vier Minaretten überragt wird und mit Marmor und farbigen Kacheln in geometrischen Mustern verkleidet ist. Die Kacheln tragen die aus dem Koran stammende Inschrift: „Dies ist der Garten Eden, tritt ein und lebe ewiglich“. Dahinter erstrecken sich weitläufige, parkartige Gärten, die von erhöhten Sandsteinstegen in vier gleiche Quadrate geteilt werden, wie es für die charbagh-Gärten der Mogulzeit typisch ist. Auf dem Weg sieht man Languren, und durch das hohe Gras streifen Hirsche.
Das eigentliche Grabmal direkt vor dem Buland Darwaza wird nicht wie sonst von einer Kuppel überwölbt, sondern von einem dreistöckigen, offenen Sandsteinbau, den ein wuchtig wirkender Marmorpavillon krönt. Dieses Durcheinander der Stile ist vermutlich Jahangir zuzuschreiben, der während der Bauzeit Änderungen im Bauplan anordnete. Die Einlegearbeiten am unteren Stockwerk sind zum großen Teil meisterhaft.
Wir bewegen uns staunend durch den sehr gepflegten Mogulgarten, in dem rechts und links Antilopen grasen. Hier ist es wirklich paradiesisch schön. Wir betreten ein großes Marmorportal in der Südfassade und können auf kunstvolles Gitterwerk blicken. Dann stehen wir (wieder in Socken) in einer kleinen Vorhalle, die prächtig mit meerblauen Fresken und Koransprüchen bemalt und wirklich sehr sehenswert ist. Von hier aus geht es noch über eine Rampe in die große, schlicht gehaltene Gruft hinab, die nur durch eine Öffnung in der Decke beleuchtet wird. In ihrer Mitte befindet sich Akbars Grab. Gegen die wundervoll bunt bemalte Vorhalle wirkt die Gruft jedoch sehr schlicht und ist wesentlich weniger fotogen als die farbenprächtige Vorhalle.
Wir bewundern die architektonischen Kunstwerke der Mausoleumsanlage und lernen auch ihre Vorzüge schätzen. Inzwischen ist es recht heiß und die historischen Gemäuer kühlen angenehm. So verbringen wir relativ viel Zeit hier. Außerdem sind kaum Touristen da, so dass es schön ruhig ist.
Nachdem wir die für Agra ausgewählten Sehenswürdigkeiten abgearbeitet haben, schlägt unser Guide noch den Besuch einer Marmormanufaktur vor. Hier werden die kunstvollen pietra-dura-Arbeiten hergestellt. Dieses alte Kunsthandwerk vorgeführt zu bekommen, bei dem 8 Sorten von Edel- und Halbedelsteinen verarbeitet werden, ist schon sehr interessant. Klar, dass wir dann auch noch in den Shop geführt werden, doch was sollen wir mit Marmortischplatten? Auch die kleineren Ziergegenstände finden bei uns keine Verwendung und so sind wir auch nicht zu einem Einkauf zu überreden.
Als Nächstes – wir haben noch Zeit bis zur Abfahrt unseres Zuges und wollen nicht sinnlos im Hotel abhängen – schauen wir uns bei einem Juwelier um. Dort können wir uns die kunstvollen Zardozi-Arbeiten ansehen. Das sind feine Goldstickereien auf Seide mit eingearbeiteten Edelsteinen. Wunderschön anzusehen und auch eine meisterliche Arbeit, doch gebrauchen können wir das nicht. So geraden wir weder hier noch im angrenzenden Schmuckgeschäft in Kaufrausch – sehr zum Bedauern/Verdruss des Ladenbesitzers und unseres Guides, der sicherlich eine ordentliche Provision bekommen würde.
Nun haben wir genug von Verkaufsgesprächen, denn wir haben Hunger. So bitten wir unseren Guide, uns ein Restaurant zu empfehlen, in dem wir schmackhaft und bekömmlich essen können. Der Fahrer hält vor einem unscheinbaren Restaurant. Hier hatte Uwe am Vortag beobachtet, dass ganze Busladungen abgesetzt wurden. Ziemlich skeptisch betreten wir das Restaurant und motivieren uns damit, dass hier offenbar regelmäßig Touristen abgespeist werden. Das Essen ist dann auch genießbar, aber wir haben auch schon besser gegessen. Immerhin ist es bekömmlich und bleibt drin.
Auf dem Weg zurück zum Hotel verabschiedet sich unser Guide von uns. Später wird uns sein Azubi zum Bahnhof bringen. Wir warten im Hotel, bis es Zeit zum Aufbruch ist. Um 21:20 Uhr fährt unser Nachtzug nach Varanasi und wir sind schon ziemlich gespannt, was uns da erwartet.
Als uns der Fahrer am Hotel abholt, muss wieder ein Teil des Gepäcks auf dem Dach verladen werden. Wir sitzen ein wenig wie die Sardinen im Auto, doch irgendwie passt es doch. Noch einmal geht die Fahrt durch den dichten Verkehr Agras, der hier genauso chaotisch ist wie in den Städten vorher.
Am Bahnhof stürzen sich gleich wieder alle Träger auf unser Auto, doch der Fahrer hält sie uns vom Hals. Wir bewältigen das selbst ganz gut. Während wir am Bahnsteig warten, kommt ein „Offizieller“ mit einem Zettel und einem Buch zu uns. Er drückt uns den laminierten Zettel in die Hand und wir werden belehrt, dass wir auf unsere Sachen aufpassen sollen, uns nicht von Fremden ansprechen lassen und alle besonderen Vorkommnisse melden sollen. Dann bittet er darum, dass wir jeder unsere persönlichen Daten in das Buch eintragen. Neben Name und vollständiger Heimatanschrift geht es um das Woher und Wohin. Gut, dass wir uns schon mal „Künstlernamen“ zugedacht haben. So kritzeln wir schmunzelnd und mehr oder weniger lesbar Phantomdaten in sein Buch. Während wir noch auf den Zug warten, beobachten wir die Ratten, die im Gleisbett nach Essbarem suchen. Empfindlich darf man hier nicht sein.
Dann endlich fährt unser Zug ein. Ich hatte es schon geahnt, dass wir in letzter Minute noch die Überführung passieren müssen. Die hat nur Treppen und so heißt es, im Laufschritt die Treppen rauf und dann wieder runter. Während der Fahrer Andrea einen Koffer abnimmt und sie sich dafür unseren Fototrolley greift, läuft unser Ersatz-Azubi-Guide mit leeren Händen vor mir her. Diese Schnarchnase lässt mich tatsächlich den 25-kg schweren Koffer im Laufschritt alle Stufen hochschleppen und erst oben, als der Koffer dann in der Waagerechten von allein rollt, greift er zu und will mir den Koffer über einen 5 cm hohen Absatz helfen. Ich koche inzwischen vor Zorn und schiebe ihm, als es wieder treppab geht, keuchend den Koffer vor die Füße, so dass ihm keine Wahl mehr bleibt, ihn wenigstens treppab zu tragen. Inzwischen wissen wir schließlich, dass die Zugaufenthalte an den einzelnen Stationen meist nur wenige Minuten dauern und nicht so geordnet wie in Deutschland ablaufen. Wir müssen uns sehr beeilen. Unsere Schnarchnase ist total hilflos und so ist wieder Uwe der, der das richtige Abteil findet. Ich steige ein und muss sofort an die Worte von Andrea denken: „Schlimmer geht immer“.
Zuerst müssen sich meine Augen an das sehr bescheidene Licht gewöhnen, dann sehe ich nur dunkle, lange Vorhänge. Irgendwie haben wir uns das hier anders vorgestellt. Wir sind davon ausgegangen, dass wir gemeinsam eine 4er-Kabine mit Tür haben und darin vier mehr oder weniger (eher weniger) bequeme Klappbetten. Das, was ich jetzt hier sehe, sind Abteils, die nur durch Vorhänge voneinander abgetrennt sind. In jedem Abteil gibt es sechs Klapppritschen. In den beiden oberen Betten unseres Abteils schläft bereit jeweils Jemand. Zuerst stehen wir vor der Frage, wohin wir unser Gepäck stellen sollen. Auf der linken Seite des Ganges sind ebenfalls zwei Etagenbetten untergebracht, so dass auch hier kein Platz für Gepäck ist. Der Fußboden des Zuges ist extrem schmutzig und zugemüllt, denn Abfalleimer gibt es nicht. Unter die untersten beiden Pritschen können und wollen wir unser Gepäck nicht schieben. So belegen wir allein zwei der Pritschen mit unserem Gepäck. Um wenigstens aufrecht sitzen zu können, darf die mittlere Pritsche nicht umgeklappt sein. So bleibt uns nur noch eine Pritsche zum Sitzen. Wie die Hühner auf der Stange – dicht bei dicht- sitzen wir nun zu viert auf einer Pritsche. Es dauert eine Weile, bis wir über diese Situation lachen können. Inzwischen hat sich der Schlafnachbar über uns eine neue Bleibe gesucht. Andrea klettert da hoch (schon das ist ein wagemutiges Abenteuer) und hat immerhin Gelegenheit, gut eine Stunde zu schlafen. Dann kommt leider schon wieder ein neuer Bettgenosse, der uns in den kommenden 13 Stunden bis Varanasi ein Konzert schnarcht. Langweilig ist es aber nicht, denn eine Menge nächtliche Unterhaltung bekommen wir durch die Dauertelefonate der mitfahrenden Inder, die die ganze Nacht und beinah ununterbrochen telefonieren. Die Frage, wann Inder eigentlich schlafen, können wir jedenfalls nicht zweifelsfrei klären in dieser Nacht. Dafür können wir von uns behaupten, schon lange nicht mehr so schlecht geschlafen zu haben. Jeder Flieger ist bequemer. Aber wir wollten etwas erleben und das bekommen wir hier reichlich.
02.03.2012 Varanasi (Hotel „Ramada Plaza“)
Die Nacht war echt hardcore. Uns tut alles weh. Unser Hinterteil muss langsam die Farbe eines Pavianpopos haben und so langsam wissen wir nicht mehr, wie wir noch sitzen sollen. Im Verlauf der vergangenen Nacht haben wir versucht, in allen möglichen Positionen ein wenig dahin zu dösen, was mehr schlecht als recht gelang. Nun sind wir froh, wenn der Zug endlich ankommt. Auch die Zugtoiletten sind ein echtes Grauen – noch mehr ihr Geruch – und so sehnen wir uns nach unserem Hotel. Bis dahin gilt die Devise: „wenn man oben nichts rein füllt, muss unten nichts raus“. Der Supergau wäre hier Durchfall, doch davon sind wir bisher glücklicherweise verschont geblieben – dank Hochprozentigem nach jeder Mahlzeit, ein wenig Vorsicht und Vernunft und einer gehörigen Portion Glück.
Endlich in Varanasi, dem früheren Benares, angekommen ist der Ausstieg noch einmal leicht stressig, denn wieder hat der Zug nur einen kurzen Halt. Wir müssen uns sehr beeilen, alle neun Gepäckstücke auszuladen. Diesmal halten wir vergeblich Ausschau nach unserem Guide. Es ist Keiner da, der uns abholt. Noch einmal müssen wir unser Gepäck über eine Überführung tragen, bevor wir uns auf dem Bahnhofsvorplatz auf die Suche machen können, ob hier ein Fahrer auf uns wartet. Erleichtert finden wir endlich ein Fahrzeug mit unserem Namensschild hinter der Windschutzscheibe. Der Fahrer bringt uns zum Hotel „Ramada Plaza“, in dem wir die nächsten beiden Nächte verbringen werden. Unterwegs reicht der Fahrer Uwe sein Handy. Unser Guide für Varanasi möchte mit uns sprechen. Obwohl der Guide deutsch mit ihm spricht, versteht Uwe kein Wort.
Das Hotel „Ramada Plaza“ macht einen sehr guten Eindruck. Als wir in der Empfangshalle des Hotels sehnsüchtig auf unsere Zimmer warten, die noch nicht bezugsfertig sind, kommt unser Guide. Diesmal haben wir einen 72-jährigen Mann, insgesamt recht sonderbar und ziemlich ungepflegt. Er hat noch ganze zwei Zahnstümpfe im Mund, mehrere schwarze Warzen im Gesicht (gut, dafür kann er nichts), eine ziemlich feuchte Aussprache und er betatscht Uwe permanent. Ich weiß, wie sehr mein Mann das liebt und entsprechend „gut“ ist seine Stimmung. Außerdem versucht der alte Herr gerade, uns in gestrenger Oberlehrermanier seine Vorstellungen von den nächsten beiden Tagen zu vermitteln. Dieses Programm passt aber überhaupt nicht zu dem Programm, das vereinbart ist und unsere Einwände „bügelt“ er energisch ab. Obwohl er deutsch spricht, haben wir den Eindruck, dass wir permanent aneinander vorbei reden. Dabei sind wir die, die hier bezahlen und deren Vorstellungen demzufolge verbindlich sind. Er kennt aber weder unser Reiseprogramm noch begreift er, dass wir keine „normale“ Gruppe sind und Fotografen nun mal etwas anders ticken. So kommen wir nicht unter einen Hut. Hier hilft nur ein Telefonat mit unserem Reiseveranstalter Mister Bahadur Singh Rajawat. Der verspricht, sich zu kümmern und uns den besten Guide Varanasis zu schicken. Erleichtert atmen wir auf.
Inzwischen können wir endlich auch unser Hotelzimmer beziehen und uns ein wenig frisch machen. Das tut echt gut! Die Zimmer sind schön und sehr sauber.
Wir schauen ziemlich blöd aus der Wäsche, als am Mittag zur vereinbarten Zeit wieder der gleiche Guide vor uns steht; immerhin jetzt etwas handzahmer und ein wenig kundenorientierter. Von unserem Reiseveranstalter Mister Bahadur Singh Rajawat haben wir aber leider auch nichts wieder gehört.
Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn in seinem Alter ist das Laufen nicht mehr so easy und auch die Blase schon leicht verschlissen. So bewegen wir uns im Verlauf des Nachmittags von Toilette zu Toilette und lassen keine aus. Unsere Bitte, englisch mit uns zu sprechen, lehnt er übrigens kategorisch ab, weil er sein Deutsch vertiefen möchte. Ob wir ihn verstehen oder nicht, spielt dabei offenbar nur eine untergeordnete Rolle.
Zuerst fahren wir mit dem Auto zum Ghat Nr. 1 – dem Asi-Ghat am südlichen Ende der Stadt, das angeblich das Bedeutendste in Varanasi ist. Assi können wir bestätigen, warum es sehenswert sein soll, bleibt uns leider verborgen. „Normale“ Leute sieht man hier nicht – nur Durchgeknallte. So treten wir etwas irritiert von einem Bein auf das andere, denn wir können hier nichts Spannendes finden. Es ist kaum etwas los und schön oder wenigstens interessant ist hier gar nichts.
Nun fahren wir zum Markt. Von dort laufen wir durch irgendwelche merkwürdigen und total verdreckten Gassen, in denen es überhaupt nichts zu sehen, dafür aber umso mehr Unangenehmes zu riechen gibt. Wenigstens kommen wir am Hauptghat heraus. Dort ist schon etwas mehr los und man bekommt einen Eindruck vom Leben am Ganges, dem Puls der Stadt.
Wir möchten heute Abend der Ganga-aarti-Zeremonie beiwohnen. Rasch erkennen wir, dass nur frühes Kommen gute Plätze sichert. Auf unsere Frage, wo gute Plätze sind, zuckt unser Ranjit die Schultern. Eigentlich hätten wir uns gerade hier in Varanasi einen Guide gewünscht, der – ähnlich wie Manju oder Paul – in der Lage ist, uns etwas von der Stadt zu vermitteln und uns schöne, fotogene Plätze zeigt. Außerdem würden wir gern etwas zu der Zeremonie und zu den Hintergründen der vielen religiösen Handlungen hier am Ganges erfahren. Immerhin gibt es insgesamt mehr als 80 Ghats in dieser heiligen Stadt. Von unserem betagten Ranjit erfahren wir nichts von alledem. Langsam stellen wir uns ernsthaft die Frage, wozu wir ihn überhaupt haben. Wenn er der beste Guide von Varanasi sein soll, dann ist das ein ziemliches Armutszeugnis für diese Stadt. Dass Guides aber auch anders können, beobachten wir später bei der Zeremonie, denn einige von ihnen kümmern sich vorbildlich um ihre Gäste.
Schade, dass wir gerade hier an so eine Pflaume geraten sind, denn eigentlich gefällt uns die Stadt recht gut. Sie ist jedenfalls längst nicht so schlimm, wie es in vielen Reiseführern beschrieben wurde und wie wir es uns vorgestellt hatten. Es macht uns Spaß, hier zu beobachten und den Menschen bei ihren zeremoniellen Handlungen zuzusehen. Ein energisches „Nein“ hält uns auch die vielen Händler vom Hals, die den Menschen hier alles Mögliche verkaufen wollen.
Die täglich nach Sonnenuntergang am Dasashwamedh Ghat stattfindende Ganga-aarti-Zeremonie dauert ungefähr 45 Minuten und zieht viele Menschen an. Sieben Priester der Ganga Seva Nidhi – alles junge Männer – veranstalten eine beeindruckende Zeremonie, die von Musik, Glockengebimmel, Weihrauch, Feuer und Rauch begleitet wird.
Auch wenn das Ganze mehr eine Show als echte religiöse Handlung ist, beeindruckt doch die Stimmung. Allein schon die Musik geht unter die Haut. Auch vom Fluss aus verfolgen viele Menschen in unzähligen Booten diese Zeremonie.
Wir haben uns großartige Plätze ergattert und verfolgen alles hautnah. Nach etwa 45 Minuten ist die Zeremonie vorbei. Wir sammeln unseren Ranjit wieder auf und treten den Rückweg zum Parkplatz an. Nun müssen wir uns durch den Abendverkehr kämpfen, der aus unserer Sicht unglaublich chaotisch ist. Zwei große Kreuzungen bzw. Kreisverkehre gilt es zu überwinden, was einem Abenteuer gleich kommt. Wieder scheint alles auf der Straße unterwegs zu sein, was sich irgendwie fortbewegen bzw. mit dem man etwas transportieren kann. Die Gefährte stehen dann so dicht aneinander, dass man als Fußgänger nicht zwischendurch kann und kommt der Verkehr dann ins fließen, wird auch nicht wegen Fußgängern angehalten. Untermalt wird das Ganze von einem ohrenbetäubenden Lärm. Verblüfft schauen wir zu, wie behände unser Ranjit plötzlich durch Rikschas klettern kann und auch sonst schnurstracks die Straße überwindet, ohne sich weiter um uns zu kümmern. Diese Vitalität hatten wir den ganzen Tag noch nicht beobachten können. Wir dagegen zögern kurz und haben damit schon verloren. Während Christian es Ranjit gleich tut und durch Rikschas steigt, bahnt Uwe für uns Mädels den Weg. Er hält kurzerhand die Fahrräder, Mopeds, Rikschas und sonstigen Gefährte an oder schiebt sie einfach ein Stück zurück. So können auch wir dicht gedrängt im Gänsemarsch die Straße überqueren, ohne klettern zu müssen. Uwe ist unser Hero! Dennoch stresst uns dieser Hindernisparkour gerade ziemlich. Das liegt wohl auch daran, dass wir doch geschafft sind. Die schlaflose Nacht im Zug und ein anstrengender Tag fordern ihren Tribut.
Endlich zurück im Hotel essen wir noch rasch im Hotelrestaurant vom reichhaltigen Buffet, bevor wir kurze Zeit später todmüde ins Bett fallen.
03.03.2012 Varanasi (Hotel „Ramada Plaza“)
Für viele Hindus ist Varanasi der heiligste Ort Indiens, den man mindestens einmal in seinem Leben besucht haben sollte und nichts beschreibt die Stadt besser, als die Bilder der im Ganges badenden und betenden Gläubigen vornehmlich in den frühen Morgenstunden. So steht heute Morgen bei Sonnenaufgang eine Bootsfahrt auf dem Ganges an. Um 6:10 Uhr werden wir am Hotel abgeholt. Unser Ranjit sieht heute noch wunderlicher aus als gestern. Er hat sich zum Schutz vor der morgendlichen Kälte den Schal um den Kopf gebunden und sieht ein wenig aus, als ob er Zahnweh hat. (Dabei hat er doch schon gar keine mehr.) Wir fragen uns besorgt, wie man so etwas überhaupt auf Touristen loslassen kann.
Am Bootsanlegesteg herrscht bereits reges Treiben. Wir haben ein Boot für uns vier gebucht. Weit kommen wir allerdings erst einmal nicht, denn gerade das Treiben an den Badeghats ist das, was wir sehen und fotografieren möchten.
Voller Hingabe baden die Menschen im Ganges, denn das soll die Seele reinwaschen und von Sünden befreien. Sie beten, waschen sich, putzen sich die Zähne, trinken ein paar Schlucke des heiligen Gangeswassers, waschen ihre Wäsche im Fluss. Rituale, die wir mit völlig anderen Augen sehen als die Gläubigen. Dennoch sind diese schon sehr voyeuristischen Einblicke in das spirituelle Handeln dieser Menschen wahnsinnig interessant. Wir sind sehr beeindruckt und könnten hier stundenlang zusehen. Die Menschen scheinen sich auch gar nicht daran zu stören, dass sie dabei von unzähligen Touristen fotografiert oder beobachtet werden. Inzwischen beleuchtet die am gegenüberliegenden Flussufer aufgehende Sonne diese Szenerie und lässt alles in einem warmen, goldenen Licht erscheinen. Die nassen Treppenstufen, die zum Fluss führen, glänzen golden. Immer wieder kommen neue Pilger, um ein Bad in dem sicherlich nicht sehr warmen Fluss zu nehmen.
Mit langsamen Zügen rudert uns unser Bootsführer ein Stück den Ganges hinunter. Wir kommen am Verbrennungsghat vorbei, doch heute Morgen gibt es noch keine Arbeit. Große Berge von Holz und Asche sowie die schwarz verrußten Gebäude zeugen jedoch davon, dass hier die öffentlichen Leichenverbrennungen stattfinden. Ein Ritual, das wir uns nur schwer vorstellen können. Gerade wird schubkarrenweise Asche in den Fluss gekarrt. Für Hindus bedeutet eine Verbrennung am Ganges, den Kreislauf der Wiedergeburt durchbrechen zu können und die Seele zu befreien oder zumindest eine Wiedergeburt günstig zu beeinflussen. Das Verbrennungsritual folgt dabei strengen Regeln. Die Asche wird später im Beisein der Angehörigen dem Ganges übergeben.
Wir werden noch ein Stück den Ganges flussabwärts gerudert, dann dreht das Boot. Überrascht stellen wir fest, dass der Fluss längst nicht so schmutzig ist, wie wir es uns vorgestellt hatten. Hin und wieder können wir sogar ein paar Wasservögel beobachten. Nur zweimal sehen wir Tierkadaver im Fluss treiben.
Als wir erneut am Verbrennungsghat vorbei fahren, wird gerade eine Leiche gebracht. Die Angehörigen tragen den in ein Tuch eingehüllten Leichnam zum Fluss. Dort wird die Leiche kurz ins heilige Gangeswasser getaucht, bevor sie danach auf einen aufgestapelten Holzhaufen gelegt und angezündet wird.
Während wir zurück zur Anlegestelle gerudert werden, fordert uns Ranjit auf, dem Bootsführer mindestens 200 Rs Trinkgeld zu geben. Das finden wir zwar für indische Verhältnisse viel zu übertrieben, doch da das umgerechnet gerade mal rund 3 EUR sind, hat keiner von uns Lust auf eine großartige Diskussion. Die Bootsfahrt selbst ist ja Bestandteil unseres Reiseprogramms. Erst später wird uns klar, dass wir hier gerade die ganze Bootsfahrt noch einmal bezahlt haben und uns unser Guide ziemlich übers Ohr gehauen hat.
Nach der Bootsfahrt, die uns ziemlich gut gefallen hat und eigentlich viel zu kurz war, fahren wir zurück zum Hotel und frühstücken erst einmal ausgiebig. Um 11 Uhr holt uns Ranjit wieder ab um zu betonen, dass sein Job eigentlich schon erledigt ist und er uns nur bis Mittag zur Verfügung steht. Wir überhören es einfach und er fährt mit uns noch in einen Tempel (Zutritt wieder nur in Socken erlaubt), in dem die Karte des früheren indischen Reichs als Bodenrelief dargestellt ist. Wir hören nur halb hin, denn so interessant ist das hier nicht. Wir möchten gern noch zu einem richtigen Basar, denn eigentlich wollen wir ein paar Fotos von indischen Gewürzsäcken machen und auch die bunten Farben, mit denen sich die Menschen am Holi-Fest bewerfen, müsste es so langsam geben. Leider zeigt uns Ranjit trotz mehrmaliger Bitte nichts von alledem.
Unserem Ranjit fällt nun nichts mehr ein, was er uns noch zeigen könnte. Schade, aber klar, dass er uns nichts vorschlagen kann, wo er laufen müsste, denn das ist nichts für ihn. Den würden wir glatt aufarbeiten.
Statt dessen möchte er uns eine Seidenweberei zeigen. Logisch, da gibt es im günstigsten Fall Provision für ihn. Aber gut, machen wir halt das, bevor wir sinnlos im Hotel rumsitzen. Außerdem ist es sicherlich interessant, das alte Webverfahren zu sehen und Tücher kann Frau auch nie genug haben. So fahren wir zu einer Weberei, bekommen im Showroom die alten Webstühle vorgeführt und können den vier Webern ein wenig über die Schultern schauen. Schon toll, was da unter ihren Händen entsteht.
Natürlich werden wir nun auch in den Verkaufsraum geführt. Erst zeigt man uns Wandbilder, dann Bettdecken, dann Tischläufer und Kissenbezüge. Sieht gut aus, brauchen wir aber alles nicht. Langsam scheinen sie an uns zu verzweifeln. Als nächstes kommen die Seidenschals. „Gnädig“ entscheiden wir, dass wir ja mal einen Blick drauf werfen können. Kurze Zeit später sitzen wir vor Bergen von Schals in allen Farben. Die Wahl fällt schwer. So verlassen wir dann doch mit größerer Tüte den Laden und Ranjit lässt sich im Büro vom Chef seine Provision auszahlen. Das hat sich für ihn gelohnt. Nun kann er sich von uns verabschieden.
So setzt uns Ranjit mittags im Hotel ab mit der Bemerkung, dass sein Job jetzt erledigt ist. Weder von unserer zweiten gebuchten Bootsfahrt ist die Rede, noch davon, dass wir heute Abend noch einmal die Ganga-aarti-Zeremonie besuchen möchten. Es dauert ziemlich lange, bis wir ihm unmissverständlich klar machen können, dass wir nicht wie von ihm vorgeschlagen, mit der Fahrradrikscha an das Dasashwamedh Ghat fahren werden, auch wenn das aus seiner Sicht easy ist. Wir möchten, dass uns der Fahrer fährt, denn mit der klapprigen Rikscha ist uns der Weg viel zu weit und auch zu gefährlich. Als wir ihm das dann endlich nahe gebracht haben, lässt er sich vom Fahrer nach Hause bringen. Ein Trinkgeld gibt es von uns allerdings nicht für diese schwache Leistung. Das bekommt er höchstens, wenn er seinen Job ordentlich macht und heute Nachmittag noch einmal erscheint.
Wir haben vereinbart, dass uns der Fahrer um 16 Uhr abholt. Als wir um 16 Uhr in die Lobby kommen, steht Ranjit wieder vor uns. Na also, geht doch! Er erzählt uns was davon, dass unser Fahrer von der Polizei verhaftet wurde. Es hört sich sehr abenteuerlich an und ist uns ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Ranjit stellt uns einen neuen Fahrer vor, der ganz umsichtig wirkt. Hauptsache, wir haben Einen, der uns ordentlich von A nach B und zurück bringt.
Überrascht stellen wir fest, dass unser Ranjit jetzt sogar ein vollständiges Gebiss trägt. Wollte er unser Mitleid erregen? Auf dem Weg in die Stadt verabschiedet er sich noch einmal von uns und lässt sich zu Hause absetzen. Diesmal bekommt er auch ein kleines Trinkgeld von uns. Wir atmen erleichtert auf, dass wir ihn endlich los sind. Solche Guides sind echt verzichtbar. Schade für Varanasi und schade für uns, denn es hätte auf jeden Fall mehr gegeben, was wir von dieser Stadt hätten sehen wollen.
Der Fahrer setzt uns in der Nähe der Badeghats ab und wir laufen allein los. Schon jetzt ist der Straßenverkehr ziemlich heftig, aber noch nicht mit dem abendlichen Verkehr vergleichbar. An den Badeghats haben wir noch freie Platzwahl, doch von unserem gestrigen Platz werden wir heute leider vertrieben. Da sollen heute Ehrengäste sitzen. Wir müssen in die zweite Reihe.
Während wir nun auf den Beginn der Zeremonie warten, halten Andrea und ich die Plätze frei. Uwe und Christian gehen „Leute abschießen“. Sie versuchen, ein paar Portraits von den hier sitzenden Pilgern und Bettlern zu bekommen. Natürlich lassen sich die Bettler nicht umsonst fotografieren. So versuchen die Beiden, sich mit einem der interessant aussehenden Männer zu einigen. Das Feilschen macht den Beiden richtig Spaß. Allerdings herrscht bei den Bettlern scheinbar Inflation, Gedächtnisschwund und ziemliche Raffgier, denn die Beiden verhandeln 5 Rs, geben ihm dann 10 Rs und der Typ will 100 Rs.
Während wir die Plätze frei halten, kommt ständig irgendwer und will uns etwas verkaufen. Kleine Mädchen wollen uns farbige Muster auf die Haut stempeln. Beim Nächsten sollen wir Karten kaufen. X-mal werden uns Blumenkörbchen mit einem Docht angeboten, die als Opfergaben in den Fluss gesetzt werden. Das sieht zwar bei Dunkelheit hübsch aus, wenn die kleinen Lichter auf dem Fluss tanzen, doch wir brauchen sie trotzdem nicht. So langsam überlege ich, ob wir uns nicht T-Shirts drucken lassen; vorn mit „NO“ und hinten mit „Don´t touch me“. Dann bräuchten wir diversen Straßenhändlern nur noch zeigen, was wir (nicht) wollen.
Zu allem Überfluss hängen uns nun auch noch Japaner im Genick, bzw. am Rucksack (so weit kommen die nämlich nicht hoch), um zwischen uns durch zu fotografieren. Das ist ziemlich nervig und es dauert eine Weile, bis sie kapieren, dass das so nicht geht.
Die Zeremonie selbst ist heute ebenso beeindruckend wie gestern. Allein die Musik geht ins Ohr. Alles wirkt so fremd, dass wir ganz gebannt sind. Auch heute schaukeln unzählige Boote mit jeder Menge Touristen an Bord auf dem Fluss, um der Zeremonie vom Wasser aus beizuwohnen.
Als die Zeremonie zu Ende ist, treten wir den Rückweg zum Parkplatz an. Noch einmal müssen wir die zwei Hauptstraßen überqueren und wieder übernimmt Uwe es, uns einen Weg zu bahnen. Erleichtert erreichen wir endlich den Parkplatz, auf dem unserer Fahrer bereits auf uns wartet. Schnell und sicher bringt er uns zurück ins Hotel.
Heute essen wir im chinesischen Restaurant des Hotels. Dort sind wir die einzigen Gäste, es ist angenehm ruhig, wir genießen die volle Aufmerksamkeit des Personals und essen vorzüglich.
04.03.2012 Varanasi – Khajuraho (Hotel “Radisson Plaza”)
Heute Morgen können wir ein wenig langsamer machen als sonst, denn erst um 12:15 Uhr fliegen wir mit Jet Airways weiter nach Khajuraho. Der Fahrer holt uns pünktlich vom Hotel ab und 45 Minuten später erreichen wir den neuen Airport von Varanasi. Überrascht stellen wir fest, dass es hier richtig gepflegt ist. In die Abfertigungshalle darf nur rein, wer auch ein Ticket hat. Dann wird erst einmal das Gepäck geröngt. Jedes Teil, das wir aufgeben, bekommt einen Aufkleber – möglichst über das Zahlenschloss des jeweiligen Gepäckstücks. Diese tolle Idee wissen wir dann später echt zu schätzen, als wir die hartnäckigen Kleberückstände des Aufklebers aus dem Zahlenschloss kratzen!
Beim Einchecken erleben wir dann alle erst einmal eine kleine Überraschung. Die Freigepäckgrenze bei den Inlandflügen beträgt nur 20 kg statt 23 kg für die internationalen Flüge. So hat jeder Tourist Übergepäck. Dafür werden wir mit rund 30 Euro zur Kasse gebeten. Da für uns dieser vergleichsweise niedrige Tarif für Übergepäck quasi ein Schnäppchen ist, quittieren wir es mit einem müden Schulterzucken getreu dem Motto: „Was ich nicht ändern kann, muss ich akzeptieren“.
Vor dem Handgepäck-Security-Check erhalten alle anderen Gepäckstücke, die mit in die Kabine genommen werden, einen Adressanhänger, der nach dem Security-Check abgestempelt wird. Nur, wer diesen Anhänger mit Stempel an allen Handgepäckstücken hat, darf auch an Bord. Also achten wir peinlichst genau darauf, dass auch überall ein Stempel drauf kommt.
Der Flieger von Jet Airways startet mit 30 Minuten Verspätung und die knapp eine Stunde Flugzeit vergeht sehr rasch. Schon sehen wir von oben die Tempelanlagen von Khajuraho. Als wir nach der etwas ruppigen Landung aus dem Flugzeug steigen, trifft uns fast der Schlag. Es ist hier sehr viel heißer als in Varanasi. Die Hitze geht ganz schön auf den Kreislauf.
Am Flughafen erwartet uns unser neuer Guide Soni, ein netter junger Mann, der sich als sehr umsichtig und fürsorglich erweist. Eine richtige Wohltat nach unserem Varanasi-Ranjit.
Der Fahrer bringt uns zum Hotel „Radisson Plaza“, einem verhältnismäßig kleinen, aber recht gepflegten Hotel. Im Hotel besprechen wir mit Soni den Verlauf unseres Aufenthaltes. Kurze Zeit später machen wir uns dann mit ihm auf, die westlich gelegenen Tempelanlagen zu besuchen. Hier stehen die meisten und auch schönsten Tempel Khajurahos. Nach einem Security-Check mit Taschenkontrolle, bei dem unsere Bananen und Bifis leider ein Zutrittsverbot erhalten, können wir uns im Westteil der Anlage frei bewegen. Soni nimmt unsere Essensschätze mit ins Auto und lässt uns heute erst einmal in Ruhe fotografieren. Morgen früh wird uns dann ein Guide in aller Ruhe erklären, was es mit den vielen Sex-Szenen an den Tempeln so auf sich hat.
Khajuraho war ab dem 7. Jh. Hauptstadt der Rajputenfamilie Chandella, die von hier aus große Teile Zentralindiens beherrschte. Zwischen 950 und 1080 errichteten die Herrscher der Chandella-Dynastie über 80 Tempel, von denen heute noch etwa 20 erhalten sind.
Die Tempel der Westanlage liegen weit verstreut in einer sehr gepflegten Parkanlage. Alle Tempel stehen auf einer erhöhten Terrasse, der Adisthana; einer Plattform, die Tempel herausheben soll. Die Tempel sind meist in Ost-West-Richtung ausgerichtet, wobei der Eingang fast immer nach Osten, zur aufgehenden Sonne, zeigt. Einige der älteren Tempel sind entweder aus Granit oder aus Granit und Sandstein erbaut. Da man zu jener Zeit noch keinen Mörtel besaß, wurden die Gesteinsblöcke einfach aufeinander gefügt.
Alle Tempel sind mehr oder weniger nach dem gleichen Grundmuster erbaut, das es so auch nur in Khajuraho geben soll. Man betritt den Tempel durch einen Vorbau, eine Art offene Eingangshalle (Ardhamandapa). Dahinter liegt die Vorhalle (Mandapa), die in die Haupthalle (Mahamandapa) führt. Diese wird von Säulen getragen und ist von einem Korridor umgeben. Ein Vestibül (Antarala) führt dann zum eigentlichen Heiligtum (Garbhagriha). In ihm steht ein Abbild des Gottes, dem der Tempel geweiht wurde. Um dieses Heiligtum herum verläuft ein Korridor (Pradakshina). Bei einfacheren Tempelanlagen fehlen die Vorhalle und der Korridor, sind aber sonst genauso aufgebaut wie die anderen Tempel.
Besonders beeindruckend sind jedoch die in Sandstein gearbeiteten ornamentalen und figürlichen Darstellungen an den Außenwänden der Tempel. Sie symbolisieren quasi das ganze Universum, denn es finden sich in Stein gehauene Lotusblätter, Floralmuster, amphibische Tiere und Fabelwesen, Elefanten, Pferde und Löwen, Menschen, gottähnliche Herrscher und Götterdarstellungen. Die Tempel sind von unzähligen Relieffriesen umgeben aber auch mit Einzelskulpturen bestückt, die bis zum Dach bzw. zur Tempelspitze reichen – jedes für sich ein Kunstwerk. Tänzer, Musiker, Bauern, Könige, Götter, Krieger, Elefanten, Kühe und unzählige andere Motive bedecken vollständig die Außenfassaden der Tempel und man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Besonders die Apsaras (halb menschliche und halb göttliche Frauen), die sogenannten Himmelstänzerinnen, sind an jedem Tempel zu sehen und die Detailtreue dieser Steinfiguren ist absolut beeindruckend. Selbst kleinste Details wie Lippen, Nabel, Ketten, Fingernägel oder Haare kann man erkennen und ihre Körper sind wunderschön. Auch wenn einige der Figuren und Reliefs leider nicht mehr vollständig intakt sind, tut das dem Kunstwerk keinen Abbruch. Eine solche Vielfalt und Fülle an filigran gearbeiteten Figuren haben wir noch nie gesehen.
Berühmt und sehr speziell an diesen Tempelanlagen sind jedoch die detailgenauen erotischen Darstellungen. Das lustvolle Über- Unter-, Neben- und Miteinander, bei dem es Tabus nicht zu geben scheint, zeugt von einer erotischen Phantasie, die wohl jede Beschreibung des Kamasutra umsetzt und bei der man auf den Gedanken kommen könnte, dass es sich hier um eine olympische Disziplin handelt. Oft müssen wir deshalb auch ein zweites und drittes Mal hinschauen um herauszufinden, wer da was mit wem tut, denn auch Masturbation, Sodomie und Homosexualität sind nicht tabu. Die Freude an dieser Form der Freizeitbeschäftigung ist den Figuren dann auch buchstäblich ins Gesicht gemeißelt. Staunend betrachten wir dieses erotische Zeugnis aus einer weit zurückliegenden Epoche des Hinduismus und stellen uns vor, wie man da gelebt haben muss.
Wir besichtigen im Verlauf des Nachmittags alle Tempel der Westanlage. An das „Spiel“ des Schuhe Ausziehens, wenn man den Tempel betritt, haben wir uns inzwischen so langsam gewöhnt. Da ist man gut beraten, wenn die Schuhe nicht zum Binden sind.
Ein Tempel ist schöner als der andere und wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Wir sehen Himmelstänzerinnen, die Blumen, Wasser, Ornamente, Spiegel oder andere Opfergaben tragen oder sich mit Dingen des täglichen Lebens beschäftigen, wie dem Waschen der Haare, dem Schminken der Augen, einen Dorn aus dem Fuß entfernen, sich gegenseitig zu streicheln, mit Hunden oder Babys zu spielen, Briefe zu schreiben, Musikinstrumente zu spielen oder sich einfach in aufreizenden Posen darzustellen. Immer wieder sind wir fasziniert, wie es den Steinmetzen damals gelungen ist, diese Szenen so kunstvoll aus Stein zu erschaffen. Auch die Tiere; etwa Elefanten, Hunde, Pferde, Löwen sind in einer solchen Präzision gearbeitet, dass selbst kleinste Details erkennbar sind.
Den ganzen Nachmittag verbringen wir in der Tempelanlage. Obwohl wir immer wieder den Schatten suchen und auch eine Kopfbedeckung tragen, macht uns die Hitze ganz schön zu schaffen. Unbarmherzig lacht die Sonne und wir sind richtig froh, als sie endlich untergeht. Inzwischen liegen auch die meisten der Tempel schon im Schatten. Die fotografieren wir dann besser im Morgenlicht.
Wir verlassen gegen 18 Uhr die Tempelanlage und lassen uns vom Fahrer zurück zum Hotel bringen. Auf Abendessen hat schon Keiner mehr so richtig Hunger und dann setzt es zuerst Christian und in der Nacht auch noch Uwe mit Durchfall und Erbrechen so richtig außer Gefecht. Keine Ahnung, was die Beiden so geschafft hat, denn schließlich haben wir immer das Gleiche gegessen. Es kann eigentlich nur ein Sonnenstich sein.
05.03.2012 Khajuraho (Hotel “Radisson Plaza”)
Uwe pendelt bis in die Morgenstunden zwischen Toilette und Bett und entsprechend kaputt sind wir dann Beide. So gehen Andrea und Christian allein zur verabredeten morgendlichen Tempelbesichtigung und vor allem Tempelerklärung. Der Guide wartet schließlich. Bei Uwe geht momentan gar nichts mehr. Er pfeift auf schönes Morgenlicht und Wissenszuwachs und umarmt stattdessen lieber die Kloschüssel.
Nachdem die Beiden zurück sind, frühstücken wir zu Dritt, um dann mit dem Guide noch zur Ostgruppe der Tempelanlage zu fahren. Zur Ostgruppe gehören einige Jain-Tempel, die von einer hohen Mauer umgeben sind. Diese Tempelanlage ist zwar wesentlich kleiner und auch nicht so spektakulär wie die Tempel der Westgruppe, aber dennoch sehenswert. Besonders der Parsvanath-Tempel ist bemerkenswert, denn auch er besitzt sehr schöne Skulpturen, wie beispielsweise die einer Frau, die sich einen Dorn aus dem Fuß entfernt, und einer sich schminkenden Frau. Die Skulpturenbänder rings um den Tempel zeigen die üblichen Darstellungen von himmlischen Tänzerinnen in den bekannten Posen.
Nachdem wir uns diese Tempel angesehen haben, zeigt uns unser Guide noch einen Tempel der südlichen Gruppe. Der einzeln stehende Duladeo-Tempel hat aber längst nicht den Skulpturenreichtum aufzuweisen, wie die anderen Tempel. Dennoch werden auch hier wieder einige erotische Szenen dargestellt – quasi das Kamasutra als Bilderbuch. Es ist schon erstaunlich, wie „heiß“ es vor gut 1.000 Jahren bei den Hindus zuging. Angeblich erst die Moslems haben diesem ausschweifenden Leben einen Riegel vorgeschoben.
Apropos heiß: inzwischen gibt die Sonne wieder alles und schafft uns ganz schön. Es müssen gefühlte 40°C sein. So sind wir froh, nach der Besichtigung dieses Tempels zurück ins Hotel gefahren zu werden. Schade für den netten, deutschsprachigen Guide, der sich viel Mühe gegeben hat, uns das alles zu erklären.
Im Hotel angekommen verziehen wir uns in den Schatten am Pool. Dort liegt auch Uwe schon rum – noch etwas blass um die Nase und schwach auf den Beinen, aber immerhin stabil im Magen-Darm. Wenigstens weht ein kleines Lüftchen, das die Hitze im Schatten erträglich macht. Inzwischen erfährt unser Badezimmer einen Großputz.
Wir verbringen den Nachmittag am Pool mit Nichtstun. Gegen Abend erscheint unser Guide Soni, um mit uns die morgige Weiterfahrt in den Bandhavgarh NP abzustimmen. Sein Erscheinen trifft sich gut, denn wir hatten ohnehin gerade überlegt, ob wir in den Ort zum Essen gehen sollen. Im Reiseführer ist das Restaurant „Mediterrano“ als Empfehlung aufgeführt und eine leckere italienische Pizza können wir – bis auf Uwe – alle gut vertragen.
Soni lässt uns ein Fahrzeug mit Fahrer kommen, der uns in den Ort fährt und am Restaurant absetzt. Auf einer Dachterrasse unter Sternenhimmel essen wir in Indien eine wirklich sehr gut schmeckende italienische Pizza. Schade für Uwe, der auf eine Diät besteht.
Für den kurzen Weg zurück zum Hotel nehmen wir ein Tuk-tuk. Das ist zwar witzig, aber nicht wirklich bequem. Wir sitzen zu dritt auf der Rückbank und Christian kuschelt quasi mit dem Fahrer. Längere Strecken und dann noch dichten Verkehr würden wir so nicht über uns ergehen lassen.
Zurück im Hotel gehen wir im Interesse der Rekonvaleszenz heute zeitig schlafen und hoffen, dass morgen wieder alle fit sind.
06.03.2012 Khajuraho – Bandhavgarh NP (“Treehouse Hideaway”)
Heute Morgen sieht die Welt für Uwe wieder besser aus. Das Frühstück schmeckt ihm und bleibt auch da, wo es hingehört. Um 7:30 Uhr starten wir in den Bandhavgarh National Park. Vier bis fünf Stunden Fahrzeit sind für die 250 km kalkuliert.
Die Gegend ist von Landwirtschaft geprägt und wir fahren durch viel Natur. Es ist schön hier. 10 Kilometer von Khajuraho entfernt befindet sich das Panna Tiger Reserve, in dem 5 Tiger leben sollen. Ein schöner Park in bergiger Landschaft.
Die Straße ist weniger schlecht als wir erwartet haben. Der Fahrer tritt mächtig aufs Gas, so dass wir ganz gut voran kommen. Wieder beäugen wir neugierig das Leben in den kleinen Siedlungen an der Straße. Hier scheint die Uhr stehen geblieben zu sein und wieder einmal fühlen wir uns in eine andere Welt versetzt. Frauen in bunten Saris holen in großen Messingkrügen Wasser vom Fluss, tragen riesige Bündel Feuerholz auf dem Kopf oder schleppen Einkäufe nach Hause. Der Weizen auf den Feldern wird teilweise noch mit der Sichel geerntet, während dann im nächsten Ort eine moderne Erntemaschine steht. Was für Extreme! Immer wieder muss der Fahrer Wasserbüffeln ausweichen, die auf der Straße stehen und Hunden, die mitten auf der Straße schlafen. Wir kämpfen uns durch Rinder- und Ziegenherden, die die ganze Straßenbreite für sich beanspruchen. Ochsengespanne, hoch beladen mit Zuckerrohr, Grünzeug, Holz u. ä. kommen uns entgegen und mittendrin immer wieder Frauen in ihren farbenprächtigen Saris, in denen sie selbst Feldarbeit verrichten und beim Hausbau helfen. Besonders turbulent geht es an den Wasserpumpen zu. Da spielen Kinder, Männer waschen sich dort und Frauen waschen ihre Wäsche, die sie dann an den angrenzenden Gartenzäunen, Häusermauern, Dächern oder einfach auf der Straße zum Trocknen ausbreiten. Indien ist ein Fest für die Augen!
Das letzte Stück des Weges, das bereits zum Bandhavgarh NP gehört, ist recht beschwerlich. Die ursprünglich geteerte Straße befindet sich in einem traurigen Zustand und rechts und links davon gibt es noch eine unbefestigte, holprige rote Sandpiste. Hier wird sozusagen eine natürliche Geschwindigkeitsbegrenzung praktiziert, denn im angrenzenden Wald sehen wir bereits erste Axis- und Sambarhirsche.
Am Mittag erreichen wir unser nächstes Hotel, auf das wir uns schon seit langem freuen. Im „Treehouse Hideaway“ sind die fünf Unterkünfte auf Stelzen stehend in große Bäume gebaut. So wohnt man mit den Vögeln quasi auf einer Augenhöhe und blickt von oben über die weitläufige Anlage. Sichtschutz bieten riesige Bambussträucher. So wähnt man sich quasi allein in der Natur. Es ist wunderschön und so friedlich hier. Unsere Unterkunft gefällt uns richtig gut. Erwin, der Manager der Lodge erklärt uns dann, dass wir einfach bei ihm anrufen sollen, wenn sich eine Schlange oder ein anderes Tier in unserem Baumhaus befindet. Das hört sich ja spannend an.
Rasch tauschen wir noch die langen gegen die kurzen Hosen und ich schlüpfe in die geliebten Flipflops. Gewissenhaft schließen wir Fenster und Terrassentür, bevor wir zum Lunch gehen. Erwin ist Holländer, hat aber lange in Südafrika gearbeitet und so wundert es gar nicht, dass hier vieles in der Lodge sehr afrikanisch ist. Die offene Lapa, in der das Lunch serviert wird, könnte genauso gut in einem Camp in Afrika stehen. Wir fühlen uns sofort heimisch.
Nach dem Lunch erkunden wir erst einmal das Lodgegelände. Am hauseigenen Wasserloch scheuchen wir eine Rotte Wildschweine auf. Im Wasserloch ist momentan nicht sehr viel Wasser, doch ein paar Vögel können wir dennoch beobachten. Die lila Wasserlilien in der Mitte des Sees sind schön, wenn auch viel zu weit weg, um sie als Blüten fotografieren zu können.
Der Bandhavgarh NP gilt als einer der besten Plätze, an denen man Tiger beobachten kann. Wir sind sehr gespannt, ob wir Glück haben. Voller Erwartung rüsten wir uns zum Nachmittagsdrive.
Von der Lodge bekommt jedes Paar einen Jeep mit Fahrer zugeteilt. Unser Fahrer heißt Chobeij. Er wird uns die nächsten Tage durch den Park kutschieren und versuchen, für uns Tiger zu finden. Chobeij ist sehr erfahren und kennt sich gut im Park aus. Mit dem offenen Gypsy-Jeep fahren wir zum Parkeingang Tala. Dort wird uns noch ein Guide der Parkverwaltung zugeteilt, ohne den man in den Park nicht eingelassen wird. Die lange Schlange wartender Jeeps am Eingang des Parks erschreckt uns ja schon ein wenig aber uns war natürlich klar, dass wir hier nicht allein sind. Chobeij erzählt uns, dass er auf der Morgentour 5 Tiger gesehen hat. Na das hört sich ja schon mal gut an. So fährt er dann auch gleich an die Stelle, an der morgens ein Tiger gesichtet wurde. Natürlich praktizieren die anderen Gypsy-Fahrer das auch so und schon wartet eine lange Schlange von Fahrzeugen am Wasserloch auf das Erscheinen eines Tigers. Zuerst ertönen Warnrufe der Axishirsche, dann kommt tatsächlich ein Tiger aus dem Dickicht und läuft, gänzlich unbeeindruckt von den vielen Fahrzeugen, parallel zur Straße durch den Wald, der hier glücklicherweise wesentlich weniger dicht ist als im Jim Corbett NP. Von überall her kommen weitere Fahrzeuge angebraust. Inzwischen stehen die Autos in zwei und drei Reihen nebeneinander. Plötzlich kommt zwischen den ganzen Fahrzeugen hindurch ein Parkangestellter gefahren – auf einem Fahrrad. Uns fällt fast die Kinnlade herunter. Der Mann radelt quasi neben dem Tiger her und hat noch nicht einmal ein Gewehr bei sich. Wir sind total perplex.
Bei den Guides und Fahrern scheint das Erscheinen eines Tigers große Mengen von Adrenalin auszuschütten. Wir haben den Eindruck, da legt sich im Kopf ein Schalter um. Es beginnt das große Chaos, denn Jeder will seinen Gästen den Tiger möglichst aus der besten Position präsentieren. Alle Fahrzeuge setzen sich gleichzeitig in Bewegung. Manche Jeeps werden total eingekeilt, Blech kracht und die Fahrer schreien sich gegenseitig an, Platz zu machen. Wir stehen im Jeep, sind völlig verblüfft und erleben das befremdliche Treiben mit Entsetzen, denn gerade das ist es, was wir so hassen. Es beginnt eine regelrechte Hetzjagd auf den Tiger, den das aber zum Glück absolut kalt lässt. Was muss der schon alles erlebt haben? Meist sind die Jeeps mit 2 bis 4 Gästen, Fahrer und Park-Guide belegt. Da wird laut geredet und jeder sucht für sein Auto die beste Position. Als der Tiger die Straße quert, rasen die Autos weiter vor, verkeilen sich wieder, werden aufgearbeitet. Ein Stück Plastik einer Stoßstange springt davon. Es ist unglaublich. Längst ist alles in eine dichte Staubwolke gehüllt und der Staub ist so fein, dass er in alle Poren einzudringen scheint.
Im Gegenlicht und bei diesem dichten Staub ist fotografieren nicht möglich, also nochmals Position wechseln. Man, das ist Stress hier! Gerade wünschen wir uns nach Afrika, an ein stilles einsames Wasserloch. Aber gut, wir wollten Tiger – nun haben wir einen. Davon, dass wir den exklusiv bekommen, war keine Rede.
Inzwischen hat sich der Tiger auf einen Hügel ins Gras gelegt. Er gähnt und scheint sich dieses Treiben hier zu betrachten. Ich zähle im Moment 39 Jeeps doch ständig kommen weitere Autos angerast, obwohl Funk hier im Park nicht zuglässig ist. Im Zeitalter von Handys und SMS ist das allerdings nicht wirklich ein Hindernis.
Wir stellen fest, dass in auffällig vielen Fahrzeugen Fotografen mit verhältnismäßig großen Optiken sitzen. Teilweise wurden dafür sogar zusätzliche Fahrzeugaufbauten angefertigt, damit die großen Rohre besser aufgelegt werden können. Keine schlechte Idee!
Wir haben mit Chobeij das große Los gezogen. Er ist total lieb, hat ein wahnsinnig gutes Auge und einen siebten Sinn. So weiß er immer schon, wo der Tiger als Nächstes hingehen wird. Wir versuchen uns also wieder strategisch günstig ein Stück weiter vorn zu platzieren. Dann endlich kommt der Tiger aus dem Bambusdickicht. Er läuft ein langes Stück über eine ebene, freie Fläche. Endlich können wir ihn in Ruhe bewundern und dieses Erlebnis auf uns wirken lassen. Wir sehen einen vom Aussterben bedrohten Bengalischen Tiger in freier Wildbahn. Dieses Privileg haben nicht so viele Menschen und wir sind sehr glücklich und dankbar, dass wir das erleben dürfen. Wer weiß, wie lange es diese prächtigen Katzen noch geben wird, denn leider wird der Lebensraum dieser Tiere immer weiter eingeschränkt. Es ist kein Platz mehr für sie auf dieser Welt. Was für ein furchtbarer Gedanke beim Anblick dieses wunderschönen Tieres! Wir genießen diesen tollen Augenblick. Der Tiger läuft stolz und vollkommen unbeeindruckt in aller Ruhe über die Grasebene. Dann setzt er plötzlich zum Sprint an und alle denken, er will jetzt jagen. Der wahre Grund für seine rasche Flucht hat dagegen nur zwei Beine und kommt hinter der Mauer hervor. Es ist ein Parkmitarbeiter, der in diesem Teil des Parks gearbeitet hat. Was für eine absurde Situation! Wir können es kaum fassen, welche Angst der Tiger vor dem Menschen hat, der vollkommen ungeschützt ist und weder ein Gewehr noch einen Stock bei sich hat. So viel zum Mythos vom menschenfressenden Tiger.
Viel haben wir bisher von dem Park nicht gesehen, denn länger als einen Kilometer war der Weg nicht, auf dem wir hin und her gefahren sind. Schon fürchten wir, den Park gar nicht näher kennen zu lernen, wenn das jetzt bei jeder Safari so weitergeht.
Wir warten quasi bis zur letzten Minute vor dem Waldstück, in das der Tiger geflohen ist, doch leider zeigt er sich nicht noch einmal. Da alle Fahrzeuge um 17:30 Uhr den Park verlassen haben müssen, ist Chobeij nun knapp dran. Um das Unterholz kurz zu halten, werden im Park an verschiedenen Stellen immer wieder kontrollierte Feuer gelegt. So auch an dem Weg, den wir noch passieren müssen. Gerade hat man vor uns rechts und links das Gras entzündet. Ich merke, das Chobeij etwas unruhig wird und vor der großen Kurve noch einmal richtig Gas gibt. Dann fährt er mit uns ziemlich zügig durch die brennende Schneise, an der rechts und links das trockene Gras brennt. In dem Moment ist mir auch klar, weshalb Chobeij so angespannt ist. Als wir vorbei sind, atmet er merklich erleichtert auf und entschuldigt sich, dass er so schnell fahren musste. Wir haben Benzin im Tank! Buh, genau das hatte ich befürchtet.
Wenn die Sonne untergegangen ist, kühlt es rasch ab. Auch die Dunkelheit bricht schnell herein. Im letzten Licht entdeckt Chobeij noch eine wunderschöne Jungle Cat – eine Rohrkatze, die uns neugierig durch den Zaun hindurch ansieht. Was für ein schöner Abschluss einer erfolgreichen Safari. So kann es die nächsten Tage weitergehen.
Als wir das Camp erreichen, leuchtet schon der Vollmond an einem sternenklaren Himmel, der fast so schön ist wie in Afrika. Lediglich die Milchstraße fehlt hier.
Im Camp angekommen werden wir mit feuchten Tüchern und einem Getränk empfangen. Das feuchte Tuch ersetzt natürlich nicht das Hände waschen, doch dazu müssen wir erst einmal unsere Seife wiederfinden. Sie ist spurlos verschwunden, das Seifenschälchen blitzsauber. Dabei weiß ich genau, dass ich sie im Badezimmer in das Seifenschälchen gelegt hatte. Merkwürdig, aber zum Glück haben wir ja noch ein neues Stück.
Überrascht stelle ich dann beim Anziehen fest, dass meine neuen Hightec-Tech-Trecking-Socken, die ich mittags in die Schuhe gesteckt hatte, fünf gleichmäßig große Löcher haben. Es dauert eine Weile, bis ich realisiere, woher die stammen. Offensichtlich haben wir in unserem Baumhaus einen nagenden Mitbewohner mit ziemlich spitzen Zähnen, der auf Seife und Stinkesocken steht.
Kurze Zeit später sitzen wir gemütlich am Lagerfeuer, bevor das Dinner serviert wird. Die Angestellten geben sich unglaublich viel Mühe, alles zur Zufriedenheit der Gäste zu erledigen. Es ist sehr wohltuend, wie wir hier umsorgt werden.
Mit Müh und Not schaffen wir es heute Abend noch, unsere Ausrüstung vom gröbsten Staub zu befreien und die Bilder auf den Laptop zu laden, bevor wir ziemlich geschafft ins Bett fallen.
07.03.2012 Bandhavgarh NP („Treehouse Hideaway“)
Unser Seifendieb hat schon wieder zugeschlagen, denn am Morgen ist das nächste Stück Seife verschwunden. Wieder ist der Seifenteller blitzsauber aufgeschleckt. Welches perverse Vieh frisst so etwas? Die Kötel auf dem Waschtisch liefern einen ersten Anhaltspunkt über den Dieb.
Als Uwe seine Wanderschuhe anziehen will, stellt er fest, dass auch hier das Seifenmonster am Werk war. Die Lederschlaufen sind sauber abgenagt und der Schnürsenkel zerrissen. Mistvieh, so langsam wird es teuer! Dem Manager Erwin ist das schrecklich peinlich und er will die Schuhe ersetzen, doch so schlimm ist es ja nicht. Noch ist ihre Funktionalität nicht eingeschränkt. Das Vieh hat einfach nur den ganzen Leder-Schnickschnack drum herum abgeknabbert. Auf jeden Fall will Erwin heute Abend eine Lebendfalle bei uns aufstellen.
Um 5:30 Uhr starten wir heute Morgen in den Park. Chobeij hat auf unseren Wunsch hin für Uwe auch so einen Zusatzaufbau auf den Jeep gebaut, damit er das große Teleobjektiv besser auflegen kann. Am Parkeingang stehen bereits die ersten Jeeps an. Wieder bekommen wir einen Parkranger und eine feste Tour zugewiesen. Chobeij gibt sich alle Mühe, uns auch heute Morgen einen Tiger aufzuspüren, doch die bleiben heute unsichtbar. Ein paar Tigerspuren im Sand – mehr ist nicht zu machen.
Dafür sehen wir u. a. einen Hasen, mehrere verschiedene Eulen, Adler, Axis- und Sambarhirsche, Eisvogel, Blauracke, Languren, Rhesusmakaken und zwei der sehr seltenen Hornvögel. Außerdem haben wir heute Morgen auch Gelegenheit, uns den Park näher anzusehen. Der ist nämlich viel zu schön, als nur auf die Tiger reduziert zu werden. Unterwegs treffen wir zwei Mahut (Elefantenführer) mit ihren Elefanten, wobei der kleinere Eli noch in der Ausbildung ist.
Insgesamt haben wir heute eine wesentlich entspanntere Safari als gestern, nur eben leider ohne Tigersichtung. Aber so ist das nun mal in der Natur – mal hat man Glück und mal eben nicht.
Um 11 Uhr muss der Park verlassen werden. Chobeij bringt uns zurück zur Lodge und entschuldigt sich, dass er uns keinen Tiger zeigen konnte. Wir sind peinlich berührt. Der Arme kann ja nun wirklich nichts dafür.
Zurück im Camp gibt es erst einmal Frühstück und danach haben wir ein wenig Zeit zum ausruhen, denn mittwochs nachmittags sind alle indischen Nationalparks geschlossen. Auf der tollen Terrasse unseres Baumhauses ist Ausruhen nicht schwer umzusetzen und dabei vergeht die Zeit wie im Flug. Um 16 Uhr sind wir mit Chobeij zu einem Natural walk verabredet. Er zeigt uns die hiesige Flora, erklärt uns, welche Pflanzen hier wachsen und wozu sie verwendet werden und macht mit uns einen Spaziergang durch das Dorf. Es ist interessant und bewegt werden wir so auch noch.
Als wir am Abend gemütlich am Lagerfeuer sitzen, kümmert sich das Personal um unser Seifenmonster. Kaum hatten sie die Lebendfalle aufgestellt, ist der Dieb ihnen auch schon in die Falle gegangen. Der Keks war einfach zu verführerisch. Nun bringen sie die Falle mit einer süßen Baummaus darin. (Ich behaupte zwar, es ist eine Ratte, aber Maus hört sich einfach besser an.)
Das Tier wird aus dem Camp gebracht und irgendwo draußen – hoffentlich weit genug von uns entfernt – ausgesetzt. Hauptsache sie findet den Rückweg nicht. Erwin vermutet, dass unsere Maus noch einen Kumpel hat und so laden sie die Falle vorsichtshalber noch einmal nach und stellen sie unter unser Bett.
Gemütlich essen wir zu Abend, bevor wir uns ins Bett verabschieden. Schon hören wir aus dem benachbarten Dorf die beginnenden Feierlichkeiten für das Holi-Fest. Die ganze Nacht wird getrommelt, gesunden und gejohlt. Schade, dass wir davon gar nichts mitbekommen; aber wir haben es ja so gewollt.
Gegen 23 Uhr beginnt es zu knarzen und zu knattern. In unserer Falle sitzt schon wieder eine Maus und die dreht nun buchstäblich am Rad. Das nervt total und so wird sie von uns samt Falle auf die Terrasse deportiert.
Mitten in der Nacht hören wir es schon wieder heftig rascheln und rattern. Diesmal kommen die Geräusche jedoch von der Terrasse. Durch die Glastür – es ist ja gerade Vollmond – sehen wir, dass die Maus potentielle Jäger angelockt hat. Eine Art Ginsterkatze mit langem buschigem Schwanz sitzt vor unserer Tür und will an die Maus im Käfig. Uwe verjagt sie. Kurze Zeit später stehen die nächsten Interessenten vor der Tür und knurren vor Begierde. Diesmal sind es zwei Palm Civetcats – ebenfalls eine Katzenart, die größer als Marder aber ein wenig kleiner als Hauskatzen sind. Auch die schicken wir mit leerem Magen zurück in die Nacht. Wer besucht uns denn diese Nacht noch alles? Kaum legt man sich eine Maus vor die Tür, schon steht die indische Tierwelt bei uns an. Eigentlich toll!
Viel Schlaf bekommen wir zwar nicht in dieser Nacht, aber diese Erlebnisse sind es schließlich wert, unsere Maus zu bewachen.
08.03.2012 Bandhavgarh NP („Treehouse Hideaway“)
Die ganze Nacht haben die Dorfbewohner das Holi-Fest gefeiert. Dieses indische Frühlingsfest – auch „Fest der Farben“, ist für die Inder eines der wichtigsten Feste im Jahr. Dann wird ausgiebig gefeiert und alles andere dem untergeordnet. So hatte Erwin auch erst vor ein paar Tagen erfahren, dass der 08.03. zu einem Feiertag erklärt wurde. Nun ist der Park geschlossen und deshalb müssen leider unsere beiden gebuchten Safaris ausfallen. Das finden wir natürlich nicht so toll – ist aber nicht zu ändern.
So haben wir heute einen freien Tag und es ist ausschlafen angesagt. Was für ein Luxus!
Als wir die Terrasse betreten, schaut uns unsere Maus mit großen, unschuldigen Knopfaugen aus ihrem Käfig an und fast kann sie einem leidtun. Als ich allerdings meine geliebten Flipflops ansehe, ist es mit dem Mitleid vorbei. Dieses Monster hat nicht nur das nächste Stück Seife verspeist, sondern sich heute Nacht erst noch meine Flipflops vorgenommen, bevor sie in die Falle ging. Die scheint auf Fußgeruch zu stehen, das perverse Vieh. Rundherum sind die Nähte meiner Flipflops aufgekaut. Naja, wer Natur will, muss sie auch aushalten können! Dann habe ich halt einen Grund, mir mal Neue zu kaufen. Außerdem – wer hat schon dieses besondere Mäusedesign?
Nach einem gemütlichen Frühstück, bei dem das Personal heute ein wenig verplant scheint, gehen wir noch etwas chillen (ein tolles Wort für gar nichts machen). So ein Ruhetag tut uns allen gut, bei dem straffen Reiseprogramm, das wir uns auferlegt haben.
Ich schlendere ein wenig durch das Gelände der Lodge und entdecke sogar die kleine Eule, die Chobeij uns gestern zeigen wollte. Wir genießen die Ruhe und können auch ein wenig unsere Wehwehchen pflegen, denn die ständigen Temperaturschwankungen, die Zugluft und der kalte Fahrtwind haben uns allen ein wenig zugesetzt. Noch nie war die Reiseapotheke so aufgebraucht. Tempotaschentücher stehen hoch im Kurs.
Als am Nachmittag wieder die Seife fehlt ist klar, dass unsere Maus entweder den Rückweg gefunden hat oder einer Großfamilie angehört. Am Abend geht die nächste Maus in die Falle und eine andere flitzt unter die Sitzgruppe, als wir den Raum betreten. Hier wohnt also eine größere Sippe. Das verspricht erneut eine interessante Nacht zu werden. Vorsichtshalber bringen wir unser Eigentum in Sicherheit; packen die Schuhe in die große Holztruhe.
Als wir um 18 Uhr an der Lapa vorbei gehen, beschmieren sich die Angestellten gerade unter lautem Hallo mit Farbe. Ich sehe noch, wie Erwin einem der Angestellten rosa Farbe in die Hand drückt und auf uns deutet. Schon nehme ich die Füße in die Hand und bleibe so verschont, denn rosa Haare wären nicht so ganz nach meiner Vorstellung und alte Kleidung haben wir auch nicht an.
Schon kurze Zeit später, als das Dinner serviert wird, sind alle wieder rein gewaschen und nur ein paar Flecken verraten noch die Holi-Farbschmierereien. (Touristinnen mit rosa Haaren sehen wir allerdings die kommenden Tage noch mehrfach im Park.)
09.03.2012 Bandhavgarh NP („Treehouse Hideaway“)
Unsere amtierende Maus war schlauer, als ihre Kumpels zuvor. Sie hat heute Nacht nur den Käfig zur Seite geschoben, um an den Keks zu kommen. Dabei ist die Falle zugeschnappt, aber die Maus konnte entkommen.
Heute Morgen geht es endlich wieder auf Safari. Als wir um 5:30 Uhr antreten, ist es noch dunkel und wieder ziemlich frisch. Erwin hat aber dafür gesorgt, dass Jeder eine Decke bekommt und auch eine Wärmflasche. Angezogen haben wir auch ein paar Schichten, so dass der kalte Fahrtwind ganz gut auszuhalten ist.
Heute fahren unsere Jeeps nicht die gleiche Tour. Mal sehen, wer mehr Jagdglück hat. Andrea und Christian haben Zone 2 zugeteilt bekommen, wo im Moment die meisten Tiger sind und wir haben Zone 1 mit der gleichen Tour wie gestern Morgen. Da hatten wir ja gestern schon nichts gesehen – also keine so guten Aussichten.
Als wir durch den Park fahren, sehen wir einen Schakal, Axis- und Sambarhirsche, Mangusten, die gleichen Adler und Eulen wie gestern und einen Baum voller Geier. Auf einem Baum über uns turnen Affen. Zum Glück hat Uwe die Mütze auf, denn plötzlich fällt ihm etwas auf den Kopf. Ein Affe hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes angesch…. und eine feste Wurst landet in unserem Auto. Was für ein Glück, dass der Affe keinen Durchfall hatte. Die Wurst ist wenigstens schnell wieder entsorgt.
Von Tigern ist weit und breit nichts zu sehen. Allerdings gleicht die Suche nach ihnen auch einer Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. Schließlich erstreckt sich der Park über 437 km2. Chobeij und der Guide besorgen sich ihre Informationen über mögliche Tigersichtungen von ihren Kollegen im Park. So haben sie schnell in Erfahrung gebracht, dass heute Morgen eine Tigerin mit drei Jungen von einem Elefanten aufgespürt worden war. Dort fahren wir nun hin.
Als wir an die Stelle kommen, wo die Elefanten-Tiger-Show stattfindet, warten dort schon einige Jeeps. Gerade kommt ein Elefant aus dem Gelände zurück. Neben dem Mahut sitzen vier Gäste auf seinem Rücken. Interessant ist es mit anzusehen, wie die Leute vom Eli ab und neue Gäste aufsteigen. Es sind zwei Elefanten im Einsatz, die zwischen den Tigern und den Fahrzeugen pendeln und Schaulustige hin und her transportieren, damit sie ein paar Blicke auf die Tigerin mit ihren drei Jungen werfen können.
Dann endlich ist unser Fahrzeug an der Reihe. Für 600 RS/Person (~ 10 EUR) dürfen wir auf den Elefanten umsteigen. Der Elefant dreht sich mit der Seite an unser Auto und über die Trägerholme klettern wir auf. Das geht easy. Chobeij und der Guide reichen uns die Kameras hoch. Dann steigen noch zwei Leute aus dem Nachbarfahrzeug auf, die auf der rechten Seite und uns im Rücken sitzen. Chobeij instruiert den Mahut, dass wir Fotografen sind und gute Bilder brauchen. Mehr kann er für uns wirklich nicht tun.
Nun ist das Ganze schon von Haus aus eine recht wacklige Angelegenheit, doch zu allem Überfluss geht es auch noch bergab und die Elefantenbeine versinken im weichen Sand. Der Mahut haut mir ständig in die Rippen, weil er den Elefanten mit ziemlichem Körpereinsatz zur Fortbewegung überreden muss. Wir versuchen, die Kameras festzuhalten und uns auch noch irgendwie auf dem Sitz zu verkeilen. Gut, dass es wenigstens eine Sicherungsstange gibt, die zwar nicht viel hält, aber immerhin vorhanden ist. Der Elefant rennt beinah den Hang hinunter, trottet durch den Busch, und legt wieder einen kurzen Sprint ein. Dann bockt er. Unbarmherzig bekommt er eins mit dem Eisen hinter die Ohren, dass es einem schon vom Zusehen weh tut. Dann endlich stehen wir vor den Tigern. Ja, wo sind sie denn, geht es mir zuerst durch den Kopf? Ich sehe erst einmal gar nichts, denn es dauert eine Weile, bis das Auge die perfekte Tarnung dieser herrlichen Katzen auf dem laubbedeckten Waldboden erkennt. Dann sehen wir sie, die Tigerin mit ihren drei Jungen, die ca. 4 bis 5 Monate alt sind. Wir stehen direkt vor ihnen. Die Kleinen sind total süß und quirlig. Eigentlich möchte ich ihnen nur zusehen und ihren Anblick genießen. Schon fordert mich der Mahut auf: „take pictures“. Würde ich ja gerne, wenn Du den dicken Ast wegnimmst, der mir ins Bild baumelt, denke ich.
Der Elefant tritt von einem Bein auf das andere und wir werden hin und her geschüttelt. Wie soll man denn da verwacklungsfreie Fotos machen? Der Mahut hat den Elefanten seitlich zu den Tigern gedreht, so dass wir buchstäblich den Logenplatz haben – wenn auch einen etwas wackligen. Er bemüht sich tatsächlich sehr, dass wir brauchbare Bilder bekommen. Ich darf ihn sogar als Stütze nehmen, was die Sache durchaus etwas erleichtert. Die Tigermama liegt ein wenig abseits von ihren Jungen und leckt sich. Erst später auf den Fotos sehen wir, dass ihr linkes Auge verletzt und blutunterlaufen ist und sie vermutlich auf diesem Auge blind ist. Nur einen kurzen Blick wirft die Mutter zu uns herüber, dann ist sie vollkommen relaxt. Die Kleinen spielen und schauen immer mal neugierig zu uns herüber. Es scheint aber auch für sie vollkommen normal zu sein, dass so komische „Vögel“ mit einem Elefanten auf ihrer Spielwiese stehen. Obwohl der Elefant ja doch recht groß ist, haben sie erstaunlicherweise keine Angst vor ihm.
Einer der Kleinen ist besonders verschmust. Immer wieder rennt er zwischen seiner Mutter und den Geschwistern hin und her und holt sich regelmäßig bei Mama Streicheleinheiten ab. Es ist unheimlich schön, ihnen zuzusehen und wir können unser Glück kaum fassen, dass wir diese Gelegenheit bekommen. So fällt es uns auch sehr schwer, uns von ihnen los zu reißen. Viel zu schnell, für unseren Geschmack, tritt der Mahut den Rückzug an. Wieder geht es im Laufschritt die Senke hinab und dann wieder hinauf. Gut geschüttelt aber total happy bringt uns der Eli zurück zum Jeep. Inzwischen steht hier eine lange Schlange wartender Fahrzeuge, deren Insassen alle die Tigerjungen sehen möchten. Eigentlich wird uns angeboten, noch einmal zu den Tigern zu gehen, doch es warten noch so viele Autos hinter uns, dass wir es nicht in Ordnung finden, ein zweites Mal zu gehen. Wir haben die Tigerin mit ihren drei süßen Babys sehen dürfen und das muss reichen. Hier werden die Fotos ohnehin zur Nebensache.
Total glücklich, dass er uns das zeigen konnte, hilft uns Chobeij beim Abstieg. Der Eli hält uns noch einmal seinen Rüssel hin und dann sind die nächsten dran aufzusteigen. Natürlich bekommt der Mahut von uns noch ein ordentliches Trinkgeld für seine besondere Leistung.
Nach diesem tollen Erlebnis, das kaum noch zu toppen ist, verlassen wir den Park. Das Frühstück im Camp schmeckt uns heute besonders gut.
Die Zeit bis zum Nachmittagsdrive vergeht schnell. Um 14:30 Uhr „reiten“ wir wieder aus. Auf unserer letzten Safari in diesem Park möchte uns Chobeij unbedingt noch einmal Tiger zeigen. Leider bleibt es aber bei seinem guten Willen, obwohl er sich wirklich alle Mühe gibt. Wir sehen zwar im Verlauf des Nachmittags einige andere Tiere, aber keine Tiger. Immerhin können wir im letzten Tageslicht noch eine der seltenen Nilgauantilopen beobachten. Ganz genickt ist Chobeij, als wir den Park verlassen und wieder entschuldigt er sich dafür, dass die Tiger sich nicht blicken ließen – als ob das seine Schuld wäre!
Am Abend in der Lodge sind wir die einzigen Gäste. Deshalb hat sich das Personal eine Überraschung für uns ausgedacht. Wir haben ein Candlelight-Dinner im Busch mit Lagerfeuer bei Vollmond. Über uns der gigantische Sternenhimmel und vor uns ein liebevoll gedeckter Tisch. Fünf Angestellte wuseln um uns herum. Wir haben ein ganz schlechtes Gewissen, wenn wir uns überlegen, wie weit die Jungs das Essen heranschleppen müssen. Schade nur, dass der Abend verhältnismäßig kalt ist. So halten wir es leider nicht sehr lange aus. Aber eine tolle Idee und etwas Besonderes ist dieses Dinner auf jeden Fall.
In der kommenden Nacht können wir einen weiteren Jagderfolg erzielen. Wieder ging ein „Seifenmonster“ in die Lebendfalle. Nun haben wir schon 4 Mäuse obdachlos gemacht.
10.03.2012 Bandhavgarh NP – Kanha NP (“Flame of the Forest Lodge”)
Nachdem wir aufgrund des Feiertages zum Holi-Fest auf zwei Gamedrives verzichten mussten und heute nur die Fahrt von 260 Kilometern in den Kanha NP ansteht, organisiert Erwin uns noch einen Vormittagsdrive, bevor wir den Bandhavgarh NP endgültig verlassen.
Chobeij ist total happy, noch einmal mit uns los düsen zu können. Heute haben wir sogar die Poolposition am Gate, so beeilt er sich. Wieder sucht er bei der Fahrt in den Park aufmerksam den Boden nach frischen Tigerspuren ab, findet auch welche, aber deren Besitzer leider nicht. So sehr sich Guide und Fahrer auch Mühe geben, wir sehen keinen Tiger. An dem Wasserloch, an dem wir schon unsere erste Tigersichtung hier im Park hatten, waren Warnrufe der Axishirsche vernommen worden. Es muss sich also in der Nähe ein Raubtier aufhalten. Wir warten quasi bis zur letzten Minute, doch leider vergebens. Plötzlich tritt eine Jungle Cat – eine Rohrkatze aus dem Wald, dreht sich einmal im Sand des Weges, bevor sie auf der anderen Seite im Dickicht verschwindet. So haben wir wenigstens einen Mini-Tiger zum Abschied gesehen, denn nun müssen wir schleunigst den Park verlassen, damit Guide und Fahrer nicht wegen Verspätung drakonisch bestraft werden.
Als wir zurück in die Lodge kommen, ist bereits der Fahrer da, der uns in den Kanha NP fahren wird. Dort werden wir die letzten Tage unseres Urlaubs verbringen. Für die 260 Kilometer sind 4 bis 5 Stunden Fahrzeit kalkuliert.
Nach dem Lunch starten wir. Unser Fahrer stellt sich schon beim Verladen des vielen Gepäcks ziemlich unbeholfen an. Zu allem Überfluss belegt er den wenigen Kofferraum auch noch mit einer großen Lautsprecherbox. Das geht ja mal gar nicht. Irgendwie bekommen wir das Gepäck dann aber doch unter, denn so langsam haben wir Routine.
Unterwegs zeigt uns der Fahrer dann mal, was indischer Fahrstil ist. Er legt eine Kamikaze-Fahrt hin, bei der uns hören und sehen vergeht. Ständig werden wir hin und her geschüttelt und gedenken dabei der Fahrer, die uns bisher immer sehr umsichtig und behutsam chauffiert haben. Dafür erreichen wir den Kanha NP sehr schnell. Allerdings hat der gute Mann keinen Plan, wo sich die Lodge befindet. Nach einem Telefonat bekommt er es aber dann doch hin. Vorbei am kleinen Dorf Mocha steuert er auf die „Flame of the Forest-Lodge“ zu. Hier wartet man bereits auf uns und schon von Weitem winkt uns das Personal freundlich zu. Herzlich begrüßen uns Karan – der Manager der Lodge – seine Frau Isa und einige Angestellte. Schon vom ersten Eindruck hier sind wir total begeistert. Die Lodge liegt direkt an einem Fluss, hat nur 4 Chalets und eine große, offene Lapa. Es ist unglaublich friedlich hier und wir sind von viel Natur umgeben. Alles ist äußerst geschmackvoll und mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet. Dabei wurde großer Wert auf möglichst natürliche Baustoffe, Naturmaterialien und traditionelle Bauweise gelegt. Unser Chalet ist wunderschön, hat eine große Terrasse mit Sonnensegel, eine tolle Außendusche in Form eines Wasserfalls, eine große raffinierte Innendusche und ganz viel Platz. Das massive Doppelbett in der Mitte des Raumes wird von einem Baldachin überspannt, der abends gleichzeitig als Moskitoschutz dient. Vor dem Chalet steht ein weiteres Bett mit Baldachin, in dem man tagsüber ausruhen kann. Jedes Detail in der Lodge ist mit viel Liebe und Geschmack ausgewählt. Die Wände des Chalets sind – wie hier üblich – mit Kuhmist verputzt und mit großen, dekorativen Mustern und Ranken versehen. Wir fühlen uns hier sofort wohl und sind total glücklich, dass wir diese Lodge quasi am Ende unseres Urlaubs genießen dürfen. Hier kann man es gut eine Weile aushalten.
Bevor das Abendessen serviert wird, versammeln sich alle am Lagerfeuer. Es werden die Erlebnisse des Tages ausgetauscht und kleine Snacks und eine schmackhafte Suppe verkürzen die Wartezeit auf das Abendessen. Schon gibt ein toller Sternenhimmel wieder alles und wir sind von einer wunderbaren Ruhe mitten in der Natur umgeben.
An einer großen Tafel wird einige Zeit später für alle Gäste ein köstliches Abendessen serviert. Isa und Karan sind nicht nur hervorragende Gastgeber, sondern sie verstehen es auch, uns viel Interessantes über Land und Leute zu vermitteln. Allein ihre Erzählungen über die Entstehung der Lodge, die sie 2009 gemeinsam aufgebaut haben, sind schon hochinteressant und ringen uns größten Respekt für ihre Leistung ab.
Karan stellt uns noch Dhansingh, unseren Fahrer für die bevorstehenden Safaris im Park vor. Dhansingh ist ein sympathischer ruhiger junger Inder mit wachen Augen, der die Lodge gemeinsam mit Isa und Karan erbaut hat und ebenfalls mit zum Management gehört.
Viel zu schnell vergeht die Zeit und so verabschieden wir uns bald ins Bett, denn auch die kommenden Nächte werden kurz sein.
11.03.2012 Kanha NP (“Flame of the Forest Lodge”)
Wie schon in den anderen Parks beginnt der Tag sehr früh. Um 5:30 Uhr stehen wir, in mehrere wärmende Schichten gehüllt, abfahrtbereit in der Lapa. Ein heißer Kaffee, Tee oder etwas Suppe hilft beim Aufwachen. Frühstück gibt es dann unterwegs im Park.
Die Gypsy-Jeeps stehen bereit und auch wärmende Decken liegen im Jeep, denn es ist wieder ein ziemlich kalter Morgen. Als wir starten, ist es noch stockdunkel. 7 Kilometer staubige Holperpiste trennen die Lodge vom Parkeingang. Am Kahtia-Gate angekommen, stehen bereits eine Menge Fahrzeuge an. Uwe zählt mehr als 40 Jeeps; ein Ende der Schlange ist nicht in Sicht und ständig kommen weitere Fahrzeuge. Auch wir müssen uns noch eine Weile in Geduld fassen, bis endlich die Schranke geöffnet wird und wir in den Park dürfen. Vorher bekommen wir wieder einen Nationalpark-Guide zugeteilt.
Während der Fahrt in den Park erkennen wir, dass Dhansingh ein Mister Adlerauge ist, denn er sieht unglaublich viel und das, obwohl er nebenbei noch fahren muss. Kaum sind wir im Park, haben Fahrer und Guide die ersten Tigerspuren gesichtet. Die verfolgen sie nun. Aus einem Waldstück dringen Warnrufe der Axishirsche und kurze Zeit später tritt tatsächlich aus dem Dickicht eine Tigerin. Sie schaut sich nicht einmal nach uns um, sondern läuft stolz und entschlossen ein Stück auf dem Weg entlang, bevor sie auf der anderen Seite des Waldes wieder im dichten Bambus verschwindet. Was für ein guter Start in den Tag. So kann es weitergehen. Der Nächste bitte!
Doch weit gefehlt. Auf diesem Drive sehen wir leider keine weiteren Tiger. Dafür bekommen wir u. a. Axis- und Sambarhirsche, Barasingahs (12-Ender-Hirsche, die nur hier im offenen Grasland leben), Barking deer (auch Muntjac – die kleinste Antilope), Gaur (indischer Bisons), eine Menge Vögel, einige Eulenarten und jede Menge Languren und Makaken (Affen) zu sehen.
Wir lernen die Schönheit des Parks kennen und auf einem Rastplatz macht Dhansingh Frühstückspause. Dazu breitet er ein Tischtuch über die Motorhaube aus; es gibt Kaffee, Tomatensandwichs, Eierkuchen mit Kartoffelfüllung, Obst, Saft und Muffins.
Um 11 Uhr müssen auch hier alle Besucher den Park verlassen. Zurück in der Lodge reicht die Zeit gerade für eine kurze Verschnaufpause, dann gibt es Mittagessen. Das schmeckt sehr lecker und verlangt eigentlich nach einem kleinen Mittagsschläfchen, doch dafür ist keine Zeit, denn der Nachmittagsdrive wartet. Also wieder aufs „Pferd“ Gypsy gestiegen und zurück in den Park „geritten“. Der Guide, den wir diesmal zugeteilt bekommen, ist eine Oberschlafmütze, so dass Dhansingh für zwei arbeiten muss – Fahren und Spähen. Dank seiner guten Augen sichten wir einen Slothbear – einen Lippenbären, der vor uns die Straße wechselt. Davon gibt es weniger als 60 Tiere im ganzen Park. Es war also wirklich riesiges Glück, dass wir den Bären gesehen haben. Dafür bleiben uns Tiger auf dieser Safari verborgen.
Wieder treffen wir uns abends in der Lodge am gemütlichen Lagerfeuer, um die Erlebnisse des Tages auszutauschen, bevor uns ein leckeres Dinner serviert wird. Karan und Isa leisten uns auch heute beim Abendessen Gesellschaft. Die Tatsache, dass Isa als geborene Schweizerin ein Leben zwischen zwei Kulturen lebt, macht es uns leichter, Themen zu diskutieren und Fragen zu stellen, die uns im Verlauf unserer Reise beschäftigt haben. So gibt es viel Spannendes zu erzählen und wir lernen das Land und seine Bräuche noch ein wenig besser zu verstehen.
12.03.2012 Kanha NP (“Flame of the Forest Lodge”)
Die Prozedur von gestern Morgen wiederholt sich auch für die heutige Morgensafari. Schon das frühe Aufstehen wäre es aus unserer Sicht eigentlich wert, mit einer Tigersichtung prämiert zu werden. Wie verrückt muss man eigentlich sein, in seinem Urlaub täglich und freiwillig um kurz vor 5 Uhr aufzustehen? Inzwischen hat uns Dhansingh auf unsere Bitte hin auch so einen Aufbau auf den Jeep gemacht, dass die großen Objektive besser aufgelegt werden können. Dazu werden rechts und links zwei Latten über die Querholme gebunden. Ansonsten gibt es im Jeep nämlich nicht viel, wo man die Objektive auflegen kann. Nun brauchen wir nur noch die Tiger vor der Linse.
Leider sehen wir keine Tiger und außer ein paar süßen neugeborenen Affenbabys gibt es nicht viel zu sehen. Das ist schon frustrierend!
Wieder reicht die Zeit am Mittag nicht für ein Mittagsschläfchen. Das rächt sich dann am Nachmittag, denn bei dem monotonen Geruckel auf der Piste müssen wir ganz schön gegen die Müdigkeit ankämpfen. Überhaupt ist Safari ganz schön anstrengend und macht unglaublich müde. Aber wir können schließlich nicht auf der Safari schlafen. Am Ende verpassen wir noch etwas!
Keinen Tiger, aber immerhin eine Jungle Cat – eine Rohrkatze sichtet unser Guide am Nachmittag. Diese hübsche Mieze ist eigentlich dämmerungsaktiv und so freuen wir uns, sie im Tageslicht beobachten zu können. Immerhin haben wir während der Fahrten kreuz und quer durch den Park ausgiebig Gelegenheit, den sehr schönen Park kennen zu lernen. Überall an den Bäumen sprießt gerade das frische zarte Grün und manche Bäume haben sogar rote Blätter. Gegen den strahlend blauen Himmel sieht das wirklich toll aus.
Befremdlich wirken auf uns immer wieder die Fahrradfahrer und Fußgänger, die wir unterwegs im Park treffen. Waldarbeiter und Parkangestellte sind zu Fuß unterwegs. Dabei sind sie unbewaffnet und im Wissen, jederzeit einem Tiger gegenüber stehen zu können. Schon krass, aber angeblich ist noch nie etwas passiert im Park. Nur Farmer, die ihr Vieh vor den Tigern verteidigen wollten, seinen bisher gelegentlich getötet worden.
Beim abendlichen Lagerfeuer im Camp erfahren wir, dass wir einen Tiger nur ganz knapp verpasst haben. Keine 5 Minuten von uns entfernt hat Karan mit seinen Gästen einen Tiger gesehen. So ein Pech!
Dafür ist das Abendessen heute besonders romantisch. Im Vergleich zu den letzten Abenden ist es wärmer und so wurde eine große Tafel unter einem Baum am Fluss festlich gedeckt. Im Kerzenschein genießen alle Gäste der Lodge zusammen mit Isa und Karan dieses besondere Dinner. Auch heute schmeckt das Essen wieder köstlich. Unzählige Glühwürmchen leuchten mit den Sternen um die Wette.
13.03.2012 Kanha NP (“Flame of the Forest Lodge”)
Um 4 Uhr morgens beginnt es zu regnen. Zum Glück ist es aber nur ein kurzer Schauer. Bereits um 5:05 Uhr starten wir zum Morgendrive. Es wird jeden Tag früher und dennoch belegen wir am Gate nur den 3. Platz in unserer Reihe. Dabei gibt es drei Ansteh-Reihen und in denen warten bereits überall Fahrzeuge auf Einlass in den Park. Als eines der ersten Fahrzeuge in den Park fahren zu dürfen ist begehrt, denn nur dann können Guide und Fahrer die Fußspuren im weichen Sand lesen. Bis 6 Uhr müssen wir warten, dann dürfen wir in den Park. Zwar sehen Guide und Fahrer heute Morgen eine Menge Fußspuren und hören auch Warnrufe der Axishirsche, doch Tiger sehen wir wieder keine. Es frustriert so langsam, dass diese herrlichen Großkatzen sich so penetrant wehren, von uns abgelichtet zu werden. Selbst Elefanten, die das Gebiet absuchen, in dem Tiger vermutet werden, finden keinen Tiger. Die Palette unserer Tiersichtungen ähnelt der der Vortage.
Zurück in der Lodge genießen wir das delikate Mittagessen und Isa gibt uns einen kleinen Einblick in die Vielseitigkeit der indischen Küche. Das ist sehr interessant. Überhaupt sind wir bei jeder Mahlzeit aufs Neue überrascht, welch köstliche Speisen uns aufgetischt werden. Es ist verständlich, dass die Beiden ihren Koch hüten wie einen kleinen Schatz, denn das Essen hier toppt alles bisher dagewesene; ist abwechslungs- und einfallsreich und dabei äußerst schmackhaft.
Kaum haben wir das Mittagessen beendet, wartet schon die Nachmittagssafari auf uns. Diesmal sehen wir eine noch größere Gruppe Gaur, die sogar ein kleines Albino dabei haben. Wir treffen einen Schakal, einige Wildschweine, sichten wieder eine Rohrkatze und fotografieren zum x-ten Mal die kleinen niedlichen Eulen, die in dem Feigenbaum am Ausgang wohnen. Auf dem Weg zurück in die Lodge treffen wir sogar noch einen Fuchs, der aber leider schleunigst verschwindet, als er uns bemerkt. Die Tiger scheinen sich allerdings gegen uns verschworen zu haben. So langsam verlieren wir die Lust. Inzwischen sind wir sogar richtig froh, dass morgen Nachmittag der Park geschlossen ist und wir etwas anderes unternehmen können. Theoretisch könnten wir ja mal eine Safari aussetzen, aber wir sind uns sicher, dass genau dann ein Tiger gesichtet wird. Das geht also gar nicht. Wir würden uns in den Hintern beißen!
Um uns ein wenig aufzumuntern, haben Isa und Karan auch heute Abend eine Überraschung für uns vorbereitet. Wieder haben sie für das Dinner eine lange Tafel am Fluss liebevoll decken lassen; beleuchtet von vielen Kerzen und einem gigantischem Sternenhimmel. Wir genießen das leckere und total romantische Abendessen.
14.03.2012 Kanha NP (“Flame of the Forest Lodge”)
Auch heute Morgen stehen wir zu einer schier unmenschlichen Zeit auf, um möglichst mit zu den Ersten zu gehören, die in den Park fahren dürfen. Heute haben wir mit dem vom Nationalpark zugeordneten Guide besonderes Pech. Diese Schnarchnase findet noch nicht einmal das richtige Fahrzeug, dabei haben alle Autos auf der Kühlerhaube eine große gelbe Nummer. So blind, wie er bei der Autosuche ist, so blind ist er auch im Park. Er sieht die Python am Straßenrand nicht, zu der uns ein anderer Guide geschickt hat, er übersieht die Rohrkatze, die in aller Ruhe durch das Gras neben dem Fahrzeug streift und er findet natürlich auch keinen Tiger. Zum Glück entdeckt Dhansingh dann die Python aber doch noch, so dass sie und die Rohrkatze heute die Highlights der Morgensafari sind. Auch wenn wir kein Tigerglück haben, genießen wir doch die Schönheit des Parks. Immerhin lernen wir den Park auf unseren Streifzügen ganz gut kennen.
Dhansingh geht es auch langsam an die Nieren, dass er uns keinen Tiger präsentieren kann. Ganz geknickt ist er, dass es einfach nicht mit einer Sichtung klappen will. Aber auch Andrea und Christian haben kein Glück mit den Tigern, denn obwohl sie andere Wege durch den Park fahren, haben auch sie die letzten Tage keine Tiger gesehen.
Als wir am Mittag den Park verlassen, finden wir es gar nicht mehr so schlimm, dass er heute Nachmittag geschlossen ist. Stattdessen freuen wir uns darauf, mit Isa am Nachmittag auf den regionalen Wochenmarkt gehen zu dürfen. Auf der Fahrt zurück in die Lodge treffen wir bereits die ersten Händler mit ihren Waren.
Um 15:30 Uhr fahren wir in zwei Jeeps zusammen mit den anderen Gästen der Lodge sowie Isa und Karan in das kleine Dorf Mocha, wo immer am Mittwochnachmittag der regionale Wochenmarkt stattfindet. Hier haben wir endlich den Markt, nach dem wir die ganze Zeit unserer Reise vergeblich gesucht hatten. Fast wissen wir nicht, wohin wir zuerst schauen sollen, so gewaltig sind die Eindrücke und wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, wie archaisch es hier zugeht. Wir tauchen ein in eine für uns völlig fremde Welt. Unzählige kleine Händler sitzen auf dem Boden, vor sich ihre Waren ausgebreitet. Es wird gehandelt und gefeilscht. Verkauft werden hier in erster Linie landwirtschaftliche Erzeugnisse aus eigenem Anbau aber auch Haushaltsgegenstände, Stoffe, Kleidung, Schmuck. Staunend betrachten wir die vielen verschiedenen Reis- und Linsensorten, die einen Hauptbestandteil der indischen Nahrung darstellen. Ich zähle allein 7 Sorten Linsen.
Isa erklärt uns einige Gemüsesorten sowie deren Verwendung und Zubereitung, macht uns mit den vielen verschiedenen Gewürzen vertraut, hilft bei den Preisverhandlungen zum Erwerb von Saris, erklärt uns die verschiedenen Schmuckstücke und den Einsatz einiger Haushaltgegenstände. Es ist wahnsinnig interessant, denn so vieles ist für uns vollkommen neu und wir sind ihr sehr dankbar, dass sie uns ein wenig Einblick gewährt in das indische Leben. Allein die Fülle und Farbenvielfalt der Sari-Stoffe ist schon eine Augenweide. Fasziniert betrachten wir das vielfältige Gemüseangebot, von dem wir viele Gemüsesorten noch nie gesehen haben. Hier hätte wohl jeder Foodhunter seine wahre Freude. Staunend stehen wir vor rotem Spinat, Bergen von Peperoni, Rambutan, Bockshornklee und allerlei uns Unbekanntem. Immerhin wird offenkundig, dass Indien zu einem hohen Prozentsatz von der Landwirtschaft lebt. Inzwischen herrscht auf dem Markt ein reges Treiben und wir sind mit unseren Kameras mittendrin. Die meisten Menschen fühlen sich auch richtig geehrt, dass wir sie fotografieren möchten. Das ist in dem ganzen Gewimmel aber gar nicht so einfach.
Besonders fesseln uns auch die „Fischtheke“ und der Geflügelverkauf. Die Männer verkaufen – in einer Reihe nebeneinander auf dem Fußboden sitzend – ihre Fische und Meeresfrüchte. Ist gerade kein Kunde da, wird der Fisch derweil schon mal geschuppt oder zerlegt. Das ist jetzt nicht besonders lecker, aber immerhin bekommen wir so gleich noch einen Einblick, was die umliegenden Gewässer so hergeben.
Beim Geflügelhändler geht es noch etwas unkonventioneller zu. In einem großen Käfig hocken die zu verkaufenden lebendigen Hühner. In der Ecke steht ein großer Brühbehälter, auf dem Tisch liegen einzelne Hühnerteile. Angepasst an die Nachfrage nach dem Hühnerfleisch wird für Nachschub gesorgt. Huhn köpfen, kopfüber im Brühbehälter brühen, rupfen und zerlegen passiert in Windeseile. Wenige Minuten später liegt das Huhn bereits zerlegt auf der Verkaufstheke, denn die Nachfrage ist groß. Gleich neben dem Geflügelstand hat sich ein mobiler Friseur aufgebaut, bei dem die Kundschaft Schlange steht.
Fast überfordert uns diese Fülle an Eindrücken und wir saugen sie buchstäblich in uns auf. Die vielen Fotos, die wir machen, helfen uns später auch, das Erlebte zu verarbeiten und noch weitere Details dieses bunten Treibens wahr zu nehmen.
Isa und Karan haben alle Mühe, uns wieder einzusammeln, denn es fällt uns schwer, zu gehen. Immer wieder entdecken wir weitere Fotomotive, die hier quasi unerschöpflich zu sein scheinen. Allein die Frauen mit ihren bunten Saris, die ihre Einkäufe auf dem Kopf nach Hause tragen, sind schon sehenswert. Mit vollen Speicherkarten und einer Fülle an Eindrücken bringen uns Isa und Dhansingh zurück zur Lodge. Die beiden haben gleich noch das Gemüse für unser morgiges Mittagessen eingekauft.
Zum Sonnenuntergang sind wir zurück in der Lodge. Kurze Zeit später sitzen wir bereits gemütlich am Lagerfeuer, genießen die leckeren, selbstgemachten Snacks des Kochs und plaudern über das Erlebte, bevor uns wieder ein köstliches Dinner serviert wird. Leider ist das heute unser letzter Abend am Lagerfeuer, denn die Zeit vergeht einfach viel zu schnell und morgen, nach der Vormittagssafari müssen wir dieses Paradies hier leider schon wieder verlassen.
15.03.2012 Kanha NP – Nagpur (Hotel “The Pride”)
Quasi im Laufschritt springen wir heute Morgen ins Auto und fast schafft es Dhansingh am Gate auf die Poolposition. Nur ein Fahrzeug steht jeweils vor uns. Wieder warten wir vor Kälte schlotternd, dass wir um 6 Uhr in den Park eingelassen werden. Obwohl ich Leggins unter den Jeans, 4 Jacken übereinander und Handschuhe anhabe, ist es a-kalt.
Diesmal fahren wir in die Kanha-Section. Diese Zone des Parks ist die Premium-Zone und kostet extra. Dafür ist es hier auch besonders schön. Es gibt mehrere Seen, viel offenes Grasland und freie Flächen, die teilweise kurz abgegrast sind. Als Dhansingh gerade in die Landschaft hört, ertönt der Ruf eines Tigers, der ganz in der Nähe sein muss. Wenig später sehen wir eine Tigerin aus dem Dickicht treten. Stolz schreitet sie über die Straße, um dann in aller Ruhe über das offene Grasland zu gehen. Wir können sie eine ganze Weile mit der Kamera verfolgen, bevor sie wieder im Busch verschwindet. Wow, was für ein Glück – und das auf unserer letzten Safari. Die hatte wohl Mitleid mit uns und meint, dass Tapferkeit belohnt werden muss. Nur die Insassen von gerade mal drei Fahrzeugen hatten das Glück, die Tigerin zu sehen.
Kurze Zeit später hat es sich jedoch herumgesprochen, dass hier eine Tigerin gesichtet wurde. Nun stehen mehr als 20 Fahrzeuge hier an und warten in der Hoffnung, dass die Tigerin sich noch einmal zeigt. Schon kommen auch zwei Elefanten mit Mahut, um die Tigerin aufzuspüren. Leider erfolglos. Vorsorglich hatte uns Dhansingh heute Morgen schon mal für die Tiger-Show angemeldet, damit wir im Fall einer Sichtung auf einen Elefanten umsteigen können.
So langsam löst sich auch das Gewirr von Fahrzeugen wieder auf und Jeder macht sich wieder auf die Suche. Kaum ist der Trubel vorbei, tritt gemütlich ein Schakal vor unser Auto und hat es gar nicht eilig, zu verschwinden. Ob er etwas riecht, dass er sich in der Nähe der Tigerin herumtreibt?
Zwar hält Dhansingh nun noch nach einem Leoparden Ausschau, doch das wäre wirklich zu viel Glück für eine Safari. Wir sind auch so happy und verlassen um 11 Uhr glücklich und zufrieden den Park.
Ein letztes Mal genießen wir die Köstlichkeiten der Küche. Die Muffins zum Frühstück, die Vielfalt an Snacks, selbstgemachten Kartoffelchips, frisch gerösteten Erdnüsse, selbstgebackenen Makronen und Kekse werden wir vermissen. Heute wird uns u. a. ein schmackhafter Sprossensalat und Bockshornklee serviert, der wie Spinat zubereitet wurde – einfach lecker. Wir durften in den Tagen unseres Aufenthaltes hier in der Lodge eine Fülle von neuen Geschmackserlebnissen genießen. Dazu war alles hervorragend gewürzt und auch nicht zu scharf. Wir werden es sehr vermissen!
Schweren Herzens verabschieden wir uns von Isa und Karan, die hier ein kleines Paradies geschaffen haben und hoffentlich auch weiterhin ihren Traum leben. Sehr gern würden wir bald an diesen wunderschönen Ort zurück kehren.
Draußen vor der Tür stehen auch Dhansingh, der Natural Guide und der Koch zu unserer Verabschiedung. Den Koch sehen wir das erste Mal und sind vollkommen verblüfft, dass dieser kleine, schmächtige, unscheinbare junge Mann, der weder schreiben noch lesen kann, so köstliche und vielseitige Gerichte zaubern kann. Er genießt unsere Hochachtung.
Der Fahrer, der schon auf uns gewartet hatte, wird uns nun nach Nagpur bringen, wo wir noch einmal übernachten, bevor wir morgen früh nach Delhi zurück fliegen werden.
Unterwegs ist die Straßenbeschaffenheit auf dem ersten Teil der Strecke teilweise wirklich abenteuerlich und der Verkehr sowieso. Ständig kommen uns auf unserer Straßenseite große LKW entgegen. Oft wird dabei erst in scheinbar letzter Minute entschieden, wer nun die Straße freigibt und wer abbremsen muss. Das passiert aber nicht etwa aggressiv wie in Deutschland, sondern völlig entspannt. Immer, wenn überholt wird (und nicht nur dann), wird auch gehupt, was so viel heißt wie „Achtung, hier bin ich“. Für uns Europäer ist diese Form des Verkehrs ziemlich ungewohnt und wäre unglaublich anstrengend, wenn wir selbst fahren müssten. Wir müssen aber nicht und so schauen wir uns derweil entspannt die Landschaft an. Immer wieder begeistern uns die Frauen in ihren leuchtend bunten Saris. Es ist beeindruckend, wie schick sie aussehen und welchen Stolz sie ausstrahlen. Überhaupt sind Inderinnen unglaublich hübsche Frauen.
Unterwegs passieren wir den Pench National Park, der nur ca. zwei Fahrstunden vom Kanha NP entfernt ist und in dem es auch ein paar Tiger gibt. Der Park umfasst ein sehr schönes Waldgebiet.
Etwa 40 Kilometer vor Nagpur wird die Straße wesentlich besser. Ein richtig neuer Highway führt in diese Industriestadt, deren Luft so schmutzig ist, dass man meint, Brocken atmen zu müssen.
In einem Vorort fahren wir gerade an einer Hochzeitszeremonie vorbei. Wir können den Bräutigam bewundern, der aussieht wie ein kleiner Prinz aus dem Märchenbuch. Noch immer werden in Indien die meisten Hochzeiten von der Familie arrangiert und ohne den Segen der Familie gibt es keine Hochzeit.
Es ist bereits dunkel, als wir Nagpur erreichen. Der Verkehr in der Innenstadt ist heftig und erinnert an einen aufgescheuchten Ameisenhaufen. Fassungslos sehen wir mitten auf einer großen Kreuzung Kühe liegen, die dort in aller Ruhe schlafen und jeder Verkehrsteilnehmer fährt brav und wie selbstverständlich um die Tiere herum. Man glaubt es nicht, dass das funktioniert und doch verhältnismäßig wenig passiert.
Im Hotel „The Pride“ angekommen bummeln wir nicht lange herum, sondern stillen im Hotelrestaurant unseren Hunger. Das Essen schmeckt, wenn es auch nicht mit dem der letzten Tage konkurrieren kann. Müde fallen wir kurze Zeit später ins Bett. Trotz Klimaanlage ist es noch sehr warm.
16.03.2012 Nagpur – Delhi (The Heritage Village Manesar)
Nach einem schnellen Frühstück im Hotel, bei dem die Inder von „schnell“ natürlich eine gänzlich andere Vorstellung haben als wir, bringt uns der Hotel-Shuttle zum Airport. Das hätten wir eigentlich fast zu Fuß bewältigen können, denn der Airport ist nur einen Steinwurf vom Hotel entfernt.
Wieder dürfen das Flughafengebäude nur diejenigen betreten, die ein gültiges Ticket haben. Dann folgt gleich erst einmal der Security-Check des Gepäcks. Diesmal fliegen wir mit Air India und heute interessiert keinen Menschen, wie schwer unser Gepäck ist. Dabei haben wir uns solche Mühe gegeben, es abzuspecken. Das soll mal Einer verstehen!
Ansonsten kennen wir das Prozedere ja bereits vom ersten Inlandflug. Auch hier sind die Stempel auf den Anhängern des Handgepäcks äußerst wichtig, um an Bord zu dürfen.
Um kurz vor 11 Uhr landen wir etwas ruppig in Delhi. Ein Fahrer erwartet uns bereits und bringt uns in unser letztes Hotel auf dieser Reise. Diesmal sind wir im „The Heritage Village“ in Manesar, einem Vorort von Delhi untergebracht. Manesar liegt 24 Kilometer von Delhi entfernt, befindet sich aber unmittelbar an der Schnellstraße zum Flughafen. Im Grunde hätte es zwar auch ein Hotel unmittelbar in Flughafennähe getan, denn für uns ist um 1 Uhr die Nacht ohnehin vorbei, doch so haben wenigstens Andrea und Christian noch etwas vom heutigen Nachmittag und können den Pool und die wunderschöne Gartenanlage des Hotels nutzen. Während die Zwei ein letztes Sonnenbad am Pool nehmen, gehen wir schon mal etwas vorschlafen, denn um 4 Uhr morgen Früh startet unser Flieger.
Da sich unser Schlafkonto ohnehin gerade im defizitären Bereich bewegt, ist das mit dem Vorschlafen überhaupt kein Problem. Gut erholt treffen wir uns am Abend noch einmal in der Lobby des Hotels auf einen letzten Drink, bevor wir uns von unseren Reisegefährten verabschieden. Sie fliegen morgen Vormittag zurück nach München und können etwas länger schlafen.
Nachdem unser Fahrer total „confused“ war, als wir ihn zu unterschiedlichen Zeiten zum Abholen ins Hotel beordert haben, meldet sich abends die Agentur noch einmal bei uns. So können wir sicher stellen, dass jedes Paar zur richtigen Zeit abgeholt wird. Für uns war es interessant festzustellen, dass im Hintergrund durch die Agentur sehr genau geschaut wurde, dass mit uns und der Reise alles in Ordnung geht.
Ein paar Stündchen Schlaf bekommen wir noch, bevor um 24 Uhr der Wecker klingelt. Schon eine halbe Stunde früher als vereinbart wartet der Fahrer auf uns. Rasch bekommen wir noch ein paar Kekse, Bananen und einen Kaffee, dann stecken wir im Nachtverkehr zum Flughafen. Nun wird uns auch klar, wieso der Fahrer so früh da war. Es ist unfassbar, wie viel Verkehr zu dieser Uhrzeit auf dem Highway herrscht. LKW an LKW befahren diese jeweils 3-spurige Schnellstraße. Überholt wird rechts und links und auch noch in letzter Minute – aber das kennen wir ja schon.
Rechtzeitig und wohlbehalten liefert uns der Fahrer am International Airport „Indira Ghandi“ in Delhi ab und auch das Einchecken klappt reibungslos.
Planmäßig startet der Flieger von Etihad Airways. Diesmal sind viele Araber an Bord und rasch stellt sich heraus, dass dies ein recht schwieriges Klientel ist. Die Stewardessen werden ziemlich an ihre Grenzen geführt.
Unser Zwischenaufenthalt in Abu Dhabi vergeht rasch. Wir nutzen auf dem Weiterflug den Komfort einer Steckdose unter jedem Sitz. So können wir inzwischen auf dem Laptop unsere fotografische Ausbeute der Reise sichten und aussortieren. Dabei vergeht die Zeit rasend schnell und wir schwelgen schon mal in der Erinnerung an diese tolle Reise, die uns buchstäblich in eine andere Welt geführt hat.
Nachdem wir mehrere Zeitzonen überflogen und die Uhr 4,5 Stunden zurück gestellt haben, landen wir morgens bei Sonnenschein in Frankfurt. Offenbar haben wir gleich noch den Frühling mitgebracht. So geht eine wunderschöne Reise mit vielen tollen Erlebnissen leider schon wieder zu Ende. Wir haben ein neues Land kennen und lieben gelernt und für uns steht fest, dass wir recht bald mehr davon sehen möchten. Die neue Planung haben wir schon im Kopf.
Fazit dieser Reise
Land und Leute
Indien ist ein Land, das uns unglaublich gefesselt hat, weil es so vieles gibt, was wir noch nie zuvor gesehen haben. Es hat etwas märchenhaftes, das mich oft an die geliebten Märchen meiner Kindheit erinnert hat, deren Kulisse hier plötzlich lebendig wurde. Indiens Kulturschätze sind einzigartig. Jede der besuchten Sehenswürdigkeiten ist für sich ein Meisterwerk, das zu sehen für uns eine große Bereicherung bedeutete. Die Flora und Fauna des Landes ist viel reicher und vielfältiger, als wir es erwartet hatten und wir haben sehr schöne Landschaften gesehen, die sicherlich nach der Monsunzeit noch beeindruckender sind.
Vom täglichen Leben ähnelt Indien sehr dem afrikanischen Lebensstil. Es liegt etwas mehr Müll herum und es gibt viel mehr Menschen, doch ansonsten können wir keine großen Unterschiede feststellen. Die Menschen haben uns stets viel Respekt entgegen gebracht. Sie sind freundlich und aufgeschlossen und lächeln zurück, wenn man sie anlächelt. Selbst Straßenhändler akzeptieren ein „Nein“. Wir haben uns zu keiner Zeit unwohl gefühlt (sieht man mal von einigen Straßenüberquerungen ab). Es hat einfach Spaß gemacht, durch das Land zu reisen. Besonders fasziniert hat uns das pulsierende Leben, das uns oft sehr archaisch anmutete und uns damit das Gefühl gab, in einer anderen Zeit; in einer anderen Welt zu sein. Unser „echtes“ Leben war oft sehr weit weg.
Man muss bereit sein, sich auf Indien einzulassen und es muss einem klar sein, dass dieses Land nicht mit europäischen Maßstäben zu messen ist. Wem das aber gelingt, der wird ein Land erleben, das unvergessliche Erlebnisse beschert. Für uns war diese Reise eine große Bereicherung und wir sind sehr dankbar, dass wir diesen Traum in die Tat umsetzen konnten.
Wetter
Wir waren im indischen Frühling unterwegs. Die Tagestemperaturen übersteigen zu dieser Zeit bereits locker die 30°C-Marke, aber die Nächte sind noch sehr kühl. Es empfiehlt sich daher auf jeden Fall der Zwiebellook und ich war auch sehr glücklich über meine Leggins, die gut unter Hosen zu ziehen sind. Handschuhe, eine Mütze und natürlich eine dicke Jacke sind bei den morgendlichen Jeepsafaris unbedingt empfehlenswert. Sobald die Sonne dann an Kraft gewonnen hat, braucht es tagsüber dann aber unbedingt Sonnenschutz und einen Sonnenhut. Eine heiße Wärmflasche im Rücken haben wir morgens als besonderen Luxus empfunden.
Safaris und Tigerfotografie
Wir haben in drei unterschiedlichen Nationalparks, die für gute Chancen auf Tigersichtungen bekannt sind, insgesamt 18 Safaris unternommen. Nur fünf Mal hatten wir dabei das Glück, einen Tiger zu sehen. Es ist mühsam, erfordert viel Geduld aber noch mehr Glück, überhaupt einen Tiger vor die Linse zu bekommen. Wer Tierfotografie aus dem südlichen Afrika kennt – möglichst noch als Selbstfahrer, der wird in Indien erst einmal umdenken und sich an das fremdbestimmte Handeln gewöhnen müssen. Obwohl wir in den Parks sehr gute Fahrer hatten, hätte Uwe manchmal am liebsten selbst das Steuer in die Hand genommen und Christian ging es wohl ähnlich. Auch der Ansturm auf so ein Tier ist sehr gewöhnungsbedürftig, wenn auch verständlich, denn Jeder möchte natürlich den Tiger sehen.
Die Pisten in den Parks sind sandig und auf dem offenen Jeep ist man dem sehr feinen Staub vollkommen ausgeliefert. In kürzester Zeit ist das gesamte Equipment (einschließlich der Taschen) total eingestaubt. Hier empfiehlt es sich, einen möglichst staubdichten Sack oder zumindest ein großes Tuch oder eine Decke zu haben, die das Equipment zumindest vor dem gröbsten Staub schützt. Oft haben wir – vor allem wenn im Konvoi gefahren werden musste – die beneidet, die einen Mundschutz dabei hatten. Der hält sicherlich einigen Staub ab, den man schon mal nicht einatmen muss.
Gesundheit
Obwohl wir uns sehr diszipliniert an die Regel gehalten haben: kein Leitungswasser trinken, keine Eiswürfel im Getränk, nicht mit Leitungswasser die Zähne putzen, keine Speisen mit Leitungswasser abwaschen u. s. w. haben wir unsere Reiseapotheke ziemlich stark beanspruchen müssen. Dies aber weniger wegen Magen- und Darmerkrankungen, sondern in erster Linie wegen Erkältungskrankheiten. Die starken Temperaturschwankungen, die Klimaanlagen und Zugluft haben uns der Reihe nach schwächeln lassen. Für diese Fälle sollte die Reiseapotheke entsprechend ausgerüstet sein. Ergänzend kann man auch vor Ort notwendige Medikamente einkaufen. Uwe war mit Dhansingh sogar im kleinen Dorf Mocha in einer „Apotheke“, um für mich Hustenpastillen zu kaufen. Die werden dann nach Stück verkauft, helfen aber und kosten nur ein paar Euro.
Die Verdauung und innere Desinfektion haben wir mit jeweils einem Schluck Whisky nach jeder Mahlzeit unterstützt und zumindest ich kann für mich behaupten, einen indiengeeigneten Magen-Darm zu besitzen. Neben entsprechenden Medikamenten gegen Durchfall ist es notwendig, auch ein magenberuhigendes Mittel dabei zu haben. Hier waren wir zu gegebener Zeit sehr dankbar, dass Andrea ein Stück weiter gedacht hatte und aushelfen konnte.
Mit Moskitos hatten wir gar keine Probleme. Die mitgeführte Standby-Malaria-Medikation (Malarone) hätten wir zu dieser Jahreszeit nicht gebraucht.
Reiseplanung und Hotels
Bei der Auswahl der Reiseagentur haben wir riskiert, keinen Sicherungsschein zu haben und nicht auf das deutsche Reiserecht bauen zu können. Dieses Risiko hat sich jedoch gelohnt, denn sehr schnell stellte sich im Verlauf unserer Reise heraus, dass wir mit der indischen Agentur Forts & Palaces Tour Ltd. Jaipur (www.rajasthan-indien-reise.de) eine sehr gute Wahl getroffen haben. Alles hat hervorragend geklappt. Wir wurden stets gut umsorgt und die Reise entsprach dem, was wir vorher vereinbart hatten. Dabei war es sicherlich nicht einfach, alle unsere Wünsche und Vorstellungen in ein Reiseprogramm umzusetzen. Jeder unserer Fahrer war immer pünktlich – eher überpünktlich. Die Flug- und Zugbuchungen waren zuverlässig und die Tatsache, dass der Nachtzug nicht unseren Vorstellungen entsprach, ist nicht das Verschulden der Agentur. Bei der Auswahl der Hotels konnten wir uns darauf verlassen, dass auch die Hotelküche qualitativ gut war. Die gebuchten Aktivitäten wurde alle, bis auf die Bootsfahrt in Varanasi – durchgeführt und entsprachen genau unseren Vorstellungen. Es gab jedoch große Unterschiede in der Qualität der lokalen Guides, die aus dem Engagement, der Mentalität und dem Selbstverständnis der einzelnen Persönlichkeiten resultieren.
Es war für uns sehr beruhigend, dass wir uns während der Reise um nichts kümmern mussten und alles bereits fertig durchorganisiert war. Als sehr hilfreich haben wir die lokalen Guides empfunden, die uns jeweils – mal besser und mal schlechter – ihre Stadt nahe gebracht haben („Blindgänger“ gibt es halt überall!). Es hätte uns sehr viel mehr Zeit und Nerven gekostet, auf eigene Faust loszuziehen. Selbst fahren zu wollen sollte man sich in Indien gründlich aus dem Kopf schlagen. Diesem Stress und dieser Gefahr muss man sich nicht aussetzen.
Uns hat die Mischung der Reise (Kultur und Nationalparks) im Nachhinein sehr gut gefallen und eigentlich hätten wir zwischen dem Bandhavgarh und dem Kanha National Park noch ein bis zwei Tage Kultur einfließen lassen sollen, um etwas Abwechslung nach dem Aufenthalt im Nationalpark zu haben. Aber wer hätte vor der Reise gedacht, dass wir uns nach Kultur sehnen werden? Auf jeden Fall hat uns allen gerade diese Mischung von Kultur und Tigersafaris sehr gut gefallen.
Wir sind insgesamt überaus zufrieden mit der Agentur Forts & Palaces Tour Ltd., deren Mitarbeiter einen wirklich guten Job gemacht haben. Für uns steht fest, dass wir unsere nächste Reise wieder über diese Agentur buchen werden.
Hotelbewertung – unsere ganz persönliche Einschätzung der besuchten Hotels.
Delhi – Hotel „The Amber“
Kleines, ruhiges aber schickes Hotel. Das Abendessen wurde auf der romantischen Dachterrasse serviert und war sehr gut.
Amritsar – Hotel „Ritz Plaza”
Das Hotel ist sehr abgewohnt, Garten und Pool werden gerade saniert und sind z. Zt. eine große Baustelle. Auch das Restaurant ist schon in die Jahre gekommen; aber das Essen war sehr gut.
Haridwar – Hotel „Country Inn & Suites“
Sehr schöne Zimmer, auch das Essen im Hotelrestaurant war sehr gut.
Jim Corbett NP – Tiger Camp in Ramnagar
Sehr schöne Unterkunft. Die Anlage ist üppig begrünt. Im hinteren Teil des Camps wird gerade gebaut. Davon bekommt der Gast im vorderen Teil der Anlage jedoch nichts mit. Das Essen wird als Buffet angeboten und war gut.
Jim Corbett NP – “Dikhala Forest Rest Camp” in der Kernzone des Parks)
Das staatlich geführte Camp ist sehr verwahrlost. Am schönsten sind noch die rustikalen Unterkünfte (Annexe) mit Blick auf den Fluss. Bett und Bettwäsche sind in grauenvollem Zustand. Das Restaurant des Camps hat das Ambiente einer Betriebskantine, doch das Essen war sehr gut.
Agra – Hotel “Jaipee Palace”
Die Zimmer dieses riesigen Nobelhotels sind schön. Das Restaurant ist viel zu groß, zu laut und zu unpersönlich. Der Preis für das Dinner ist mit 20 EUR stark überteuert und entspricht nicht der Qualität des Essens; Massenabfertigung.
Varanasi – Hotel „Ramada Plaza“
Schönes, nicht zu großes Hotel, die Zimmer sind gut. Im Hotel kann man zwischen dem etwas unpersönlichen Restaurant mit Buffet und einem gemütlichen chinesischen Restaurant wählen. Wir haben beides ausprobiert und können das chinesische Restaurant sehr empfehlen.
Khajuraho – Hotel “Radisson Plaza”
Kleines, ruhiges Hotel mit schöner gepflegter Gartenanlage. Das Dinner im Restaurant haben wir nicht ausprobiert. Das Frühstücksbuffet war ok.
Bandhavgarh NP – “Treehouse Hideaway”
Kleine, sehr engagiert geführte Lodge mit 5 idyllischen Baumhäusern. Die schmackhaften Mahlzeiten werden serviert. Sehr familiäre Atmosphäre mit hohem Wohlfühlfaktor.
Kanha NP – “Flame of the Forest Lodge”
Unser absoluter Favorit. Die kleine, sehr engagiert geführte Lodge verfügt über vier liebevoll gestaltete Chalets. Es wird eine köstliche Küche serviert. Sehr familiäre Atmosphäre mit hohem Wohlfühlfaktor.
Nagpur – Hotel “The Pride”
Hotel in unmittelbarer Nähe zum Flughafen. Schöne, allerdings sehr kleine Zimmer mit vollverglastem Sanitärbereich. Das Essen im Hotelrestaurant aus der Karte ist ok.
Delhi – Hotel „The Heritage Village Manesar“
Die Hotelanlage befindet sich 24 km außerhalb von Delhi an einer Schnellstraße, die direkt zum Flughafen führt. Sehr schöne gepflegte Gartenanlage; gut zum Relaxen. Im Hotelrestaurant wird Buffet angeboten, was wir allerdings nicht probiert haben. Die Unterkünfte sind gut.