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Spitzbergen 2011
Auf den Spuren der Eisbären – Polar Bear Special in der Arktis
23. Juni – 03. Juli 2011
Irgendwo in den Weiten des Webs fanden wir dieses Bild und stellten uns im Vorfeld der Reise immer wieder die Frage: Ist diese Karikatur eine Vorwarnung, eine Voraussage oder nur eine lächerlich überspitzte Darstellung, die der vollständigen Verunsicherung solcher seeunerfahrenen Landeier dient, wie wir es sind? Auf jeden Fall haben wir schon ein wenig die Hosen voll vor unserem nächsten Abenteuer, bei dem wir unweigerlich auf ein Schiff angewiesen sind
Wir werden sicherlich in den 7 Tagen, die wir uns an Bord der „Antarctic Dream“ – einem Expeditionsschiff und Eisbrecher der Stufe 1 aufhalten werden, herausfinden, wie es um unsere Seetüchtigkeit steht. Vorsichtshalber gewappnet mit den nötigen Medikamenten für alle Leidensstufen der Seekrankheit stürzen wir uns diesmal zu viert ins weiße Abenteuer Arktis. Mit Andrea und Christian (www.fotofeeling.com), die uns längst liebe Freunde geworden sind, werden wir auf eine Spitzbergen1-Kreuzfahrt gehen. So packen wir mitten im deutschen Hochsommer für 9 Tage Skiunterwäsche, Thermohosen, Handschuhe, Wollsocken und Sturmhauben zusammen, um Richtung Nordpol zu reisen. Im Interesse der Gepäckoptimierung machen wir uns bei hochsommerlichen Temperaturen in Gummistiefeln mit Felleinsatz auf den Weg. Immerhin spart uns das wertvolle 4 kg Gepäckgewicht, die wir dringend für unser Equipment brauchen.
23.06.2011 Frankfurt – Oslo (Hotel Clarion Royal Christiani)
Am Lufthansa-Drop-off-Schalter in Frankfurt ist die Hölle los. Eine schier nicht endende Schlange Reiselustiger windet sich durch das ganze Flughafengebäude und erfordert mindestens 2 Stunden anstehen. Wir entdecken an der Seite noch drei weitere Schalter, auf die der Ansturm nicht ganz so groß ist. 30 Minuten später sind wir eingecheckt und warten auf unseren Flug. Zur planmäßigen Abflugzeit ist unser Flieger gerade erst gelandet, so dass sich unser Abflug um gut eine Stunde verspätet.
Im Flugzeug gibt es eine Krabbensemmel in lustigem Strandbag. Eine gute Idee, nur fühlt sich die eine Krabbe in der großen Semmel ein wenig einsam. Macht nichts, wir werden in der nächsten Woche an Bord noch genug Fisch zu essen bekommen – denken wir.
Oslo empfängt uns mit Gummistiefelwetter – wie nett! Es regnet heftig. Wir haben eigentlich vor, die Stadt kennen zu lernen, wenn wir schon in norwegens Hauptstadt Zwischenstation machen. Andrea und Christian sind schon ein paar Stunden eher angekommen und bereits ins Hotel gefahren. Beim Warten auf unser Gepäck fällt uns auf, dass alle Ankommenden zuerst in den Duty Free rennen und sich dort bis zum Limit mit Alkohol bevorraten. Vorsichtshalber tun wir es ihnen gleich, denn unser Wiedersehen und den Beginn unseres gemeinsamen Urlaubs wollen wir heute Abend schon begießen. Mit der Stadtbahn fahren wir die rund 50 km in die Innenstadt und sind froh, dass sich das Hotel Clarion Royal Christiani direkt gegenüber vom Bahnhof befindet. Viel weiter hätten wir das Gepäck nicht schleppen wollen.
Wir checken im Hotel ein und können wenige Minuten später Andrea und Christian in die Arme schließen, die inzwischen die Zeit schon mal für einen ersten Erkundungsgang genutzt haben. So bekommen wir gleich eine Stadtführung zu den lohnenden Fotomotiven der Stadt. Leider gibt es davon aber im Moment sehr wenig; es sei denn, man steht auf Baukräne. Oslo ist eine einzige große Baustelle. Enttäuscht müssen wir gemeinsam feststellen, dass kaum ein Bild ohne Baukräne oder/und eingerüstete Häuser möglich ist. Macht aber nichts, wir haben auch so unseren Spaß. Zuerst umrunden wir die Oper – einen modernen Bau direkt am Hafen -, der einem treibenden Eisberg nachempfunden ist und 2008 eröffnet wurde. Die Fassade besteht zu 90 Prozent aus weißem italienischem Carrara-Marmor und zehn Prozent aus norwegischem Granit und blendet unglaublich, denn inzwischen scheint wieder die Sonne, doch unsere Sonnenbrillen liegen natürlich im Hotel. So kneifen wir die Augen zusammen oder schauen gleich durch den Sucher der Kamera.
Dann bummeln wir gemütlich durch die Fußgängerzone, vorbei am Stortinget – dem Parlamentsgebäude von Norwegen.
Kurze Zeit später stehen wir vor dem dreiflügeligen, klassizistischen königlichen Schloss, das dem norwegischen König als Residenz dient. Es liegt am Ende der Karl Johans Gate und ist von einem 22 Hektar großen Park umgeben. Vielleicht sind Kronprinz Haakon und Kronprinzessin Mette-Marit oder die königlichen Herrschaften sogar zu Hause; jedenfalls ist auf dem Haus die Flagge gehisst. Wir kichern über die armen Jungs der Palastwache, denen ständig ihr Helmpüschel im Gesicht hängt und die dabei natürlich keine Miene verziehen.
Auf der anderen Straßenseite der Karl Johans Gate laufen wir zurück. Hier reihen sich Restaurants und Pub`s nahtlos aneinander und alle sind rappelvoll. Klar, dass sich da auch unser Hunger sofort meldet. So bleiben wir im American Pub hängen, denn die Burger sehen einfach zu lecker aus. Die Portionen sind reichlich, wenn auch teuer. Nicht umsonst gilt Oslo als die teuerste Stadt der Welt. Aber es schmeckt uns dennoch gut, zumal das ständige Umrechnen ohnehin anstrengend ist.
Später im Hotel lassen wir gemütlich bei einer Flasche leckerem Rotwein den Tag ausklingen, bevor wir geschafft ins Bett fallen.
24.06.2011 Oslo – Longyearbyen/Spitzbergen (Spitzbergen Guesthouse)
Unser Anschlussflug nach Longyearbyen auf Spitzbergen, dem Ausgangspunkt unserer Expeditionsreise, startet erst am Abend. Wir haben also noch den ganzen Tag Zeit für Oslo, das insgesamt recht überschaubar ist. Draußen herrscht schon wieder Gummistiefelwetter. Es regnet heftig. So essen wir uns erst einmal durch das extrem reichhaltige und leckere Frühstücksbuffet, bis beim besten Willen nichts mehr rein passt. Dafür hört es endlich auf zu regnen. Wir laufen noch einmal durch die Stadt, schauen in ein paar Geschäfte und Passagen und stellen fest, dass Gummistiefel in Oslo fester Bestandteil der Garderobe sind. Die werden dann mit ärmellosem Trägertop und Minirock kombiniert. Sogar richtig schicke Regenmäntel kann man hier kaufen. Man ahnt, was hier für Wetter vorherrscht.
Am Nachmittag fahren wir mit dem Zug zurück zum Flughafen (110 NKr bzw. ca. 13,75 EUR). Es herrscht Berufsverkehr und die Bahn ist richtig voll. Als wir endlich in einem Abteil unser vieles Gepäck verstaut und Platz genommen haben, dauert es nicht lange, und wir werden wortlos aber energisch und mit unmissverständlicher Geste von einem Herrn aufgefordert, unsere Klappe zu halten. Böse zeigt er auf ein norwegisches Hinweis-/Verbotsschild, das uns zum Schweigen verdonnert. Wir haben ein „Schweige-Abteil“ erwischt, in dem nicht gesprochen werden darf. Auf der weiteren Zugffahrt platzen wir zwar bald vor Lachen über diese Maßregelung, halten aber selbstverständlich unseren Mund. Den Herrn hatte wohl mehr gestört, dass unser Gepäck zwei Sitze blockiert hat, aber dafür gab es eben kein Schild, auf das er hätte zeigen können (einen anderen Platz für unser Gepäck gab es auch nicht).
Froh, das ungastliche Abteil am Flughafen wieder verlassen zu können, stellen wir uns kurz darauf mit gemischten Gefühlen am Checkin-Schalter von SAS an. Wird unser viel zu schweres Handgepäck auch hier Gnade finden? Glücklicherweise interessiert sich niemand dafür. Erleichtert können wir uns nun um unser Abendessen kümmern, denn im Flieger nach Spitzbergen bekommen wir nur gegen Bezahlung etwas zu Essen. Die vielen Imbissstände und Restaurants machen es uns leicht, etwas passendes zu finden. Üppig belegte Pizza für Uwe und ein Toast mit Krebsfleisch (ca. 10 EUR) für mich sehen nicht nur sehr lecker aus, sondern sind es auch. Dazu ein richtig gutes Bier (0,5 Lt. ca. 10 EUR) – wir sind rundherum zufrieden. Die stolzen Preise blenden wir einfach aus, schließlich können wir ja nicht auf der Kredtikarte herum beißen.
Um 20:40 Uhr startet der Flieger nach Spitzbergen. Das Flugzeug ist wider erwarten nicht ausgebucht. Dafür wird im Flugzeug ein Film gedreht. Tonmann, Kameramann, Fotograf, Reporter und natürlich der Hauptprotagonist – das volle Programm. Ein paar Passagiere müssen zur Seite rücken oder liegen unter dem Kameramann. Immerhin bietet das etwas Unterhaltung für uns.
Nach 3 Stunden Flug erreichen wir um 23:30 Uhr Longyearbyen. Es ist taghell, wir haben blauen Himmel, die Sonne scheint. Kein Mensch käme aud die Idee, dass jetzt gerade Mitternacht ist. Wir werfen einen ersten Blick auf die schneebedeckten – meist spitzen – Berge und sind begeistert. Es sieht aus wie eine Märchenlandschaft.
Da Spitzbergen zu Norwegen gehört, müssen wir noch nicht einmal durch die Passkontrolle. So stehen wir wenige Minuten nach der Landung in gleißendem Sonnenschein, um uns herum schneebedeckte Berge und vor uns das Meer.
Mit dem bereits wartenden Linienbus fahren wir für 50 NKr. (ca. 6,25 EUR) bis zum Spitzbergen Guesthouse. Spitzbergen war früher eine florierende Bergbaugegend. Aus dieser Zeit ist der Brauch übrig geblieben, dass die Minenarbeiter ihre dreckigen Schuhe am Eingang der Häuser auszogen. So wird von Besuchern bis heute erwartet, dass im Eingangsbereich eines Hauses die Schuhe ausgezogen und die Häuser mit Hausschuhen oder in Socken betreten werden. Das gilt auch für Museen, Hotels und Schulhäuser (ausgenommen Einkaufszentren).
Deshalb gehen auch wir in Socken zum Einchecken. Das Guesthouse ist ziemlich „basic“ und hat den Charme einer Jugendherberge. Die Zimmer sind sehr klein aber sauber; Bettwäsche müssen wir uns erst noch besorgen, um die Betten beziehen zu können. Es gibt Gemeinschaftsduschen und –toiletten. Mit unserem Gepäck bestückt, wirkt das Zimmer noch kleiner, doch wir wollen hier ja auch nur schlafen. Zum gemütlichen Sitzen gibt es einen Aufenthaltsraum.
So taghell und sonnig, wie es jetzt noch ist, können wir noch nicht schlafen gehen. Außerdem haben die Männer schon wieder Hunger. So machen wir noch gemeinsam eine erste Erkundungstour durch Longyearbyen. Der Ort hat 2.000 Einwohner und liegt am nordöstlichen Ausgang des Adventdalen, einem Seitental des Isfjorden – Spitzbergens größtem Fjord. Die kleine Stadt auf dem 78. Breitengrad (78° 14′ N) ist eine der nördlichsten Städte der Welt. Das Guesthouse befindet sich am Ortsende; vor uns liegt das Meer (Fjord). Eingerahmt wird der Ort von Bergen, dessen Gipfel noch schneebedeckt sind. Die bunten Holzhäuser des kleinen Bergbauortes Longyearbyen, die alle auf Stelzen gebaut sind, wirken auf uns fremd und ungewohnt. Überall auf den Wiesen stehen Schneemobile; bereit für den nächsten Schnee. Der ganze Ort wirkt sehr spartanisch, einfach und zweckmäßig.
Völlig verblüfft und total aufgedreht laufen wir bei strahlendem Sonnenschein und herrlichem Fotolicht nachts bis 2:30 Uhr durch die Gegend. Inzwischen haben die Männer richtigen Kohldampf, doch um diese Uhrzeit hier am Ende der Welt etwas zu Essen zu bekommen, ist natürlich vollkommen abwegig. Christian schaut in seiner Verzweiflung auch mal im hiesigen Pub vorbei und ist beeindruckt, von der dort herrschenden Dunkelheit. Den nebenan durchgängig geöffneten Imbissstand übersehen wir dabei vor lauter Gegacker (glücklicherweise). Kurz nach 2:30 Uhr fallen wir dann doch mit leichtem Sauerstoffschock ins Bett.
25.06.2011 Longyearbyen (Spitzbergen Guesthouse)
Um 7 Uhr haben wir ausgeschlafen. Die Sonne scheint, der Himmel strahlt in herrlichem Tiefblau. So lieben wir es! Naja, wenn 4 Engel auf Reisen gehen …!
Nach einem etwas spartanischen Frühstück machen wir uns auf den Weg in den Ort. Wir werfen ein paar Blicke in die Tax free-Shops, inspizieren schon mal das Getränkeangebot, besorgen uns aus dem Supermarkt ein paar Buletten mit Kartoffelbrei als Mittagessen und laufen dann zum Hafen. Hier liegt ein Expeditionsschiff am Pier.
Verzweifelt suchen wir in Longyearbyen das berühmte Eisbären-Warnschild. Bisher haben wir es nirgends entdecken können. Auch am Hafen und Ortseingang von Longyearbyen können wir es nicht finden. Dabei m u s s dieses Fotomotiv einfach sein. Dafür entdecken wir am Hafen einen auf Kufen umgebauten Bus. Hier ist alles auf Schnee ausgerichtet.
Auf dem Rückweg vom Hafen machen wir einen Abstecher in die Tourist-Info. Auch hier heißt es, Schuhe ausziehen, doch wir erfahren, wo wir unser so begehrtes Schild finden. Naja, es konnte ja auch nur noch in dieser Richtung sein.
Warnschilder vor Eisbären dienen auch in Longyearbyen nicht dekorativen Zwecken. Sicherlich nicht ohne Grund geht hier kein Wanderer ohne Gewehr in die Berge, denn mit einer Eisbärenbegegnung muss man auf Spitzbergen wohl immer und überall rechnen. Eisbären haben kein festes Revier und legen auf der Suche nach Futter sehr weite Strecken zurück.
Das Straßennetz von Longyearbyen soll nur etwa 40 Kilometer lang sein. Eine Verbindung zu einem der anderen Orte auf Spitzbergen gibt es nicht. Schneemobile und Boote sind daher die Hauptfortbewegungsmittel und zumindest Schneemobile gibt es reichlich. Man ahnt, wie es hier im Winter zugeht. Auf uns wirkt es etwas befremdlich, dass überall die Schlüssel stecken und die Gefährte sogar betankt sind. Diese Vorkehrung dient wohl in erster Linie zur Sicherheit. Wann immer einem ein Eisbär begegnet, bleibt dann die Flucht mit dem nächstbesten Schneemobil – vorausgesetzt man kann das Ding bedienen.
Nach einer kurzen Verschnaufpause im Guesthouse machen wir uns wieder auf den Weg. Am Ufer des Fjords brüten überall arktische Küstenseeschwalben (Sterna paradisaea – arctiv tern) und die verstehen keinen Spass, wenn man ihrem Brutplatz scheinbar zu nahe kommt. Mutig greifen sie mit lautem Gezeter alles an, was ihrem Gelege gefährlich werden könnte. An diesen Kampfflügen, bei denen sie immer den höchsten Punkt angreifen, beteiligen sich aber nicht nur die jeweiligen Brutpartner, sondern auch sympatisierende Seeschwalben, die selbst gar kein Gelege bebrüten. Wir haben viel Spass mit diesen Piepmätzen und versuchen, ein paar Flugaufnahmen von ihnen zu machen.
Als wir aus dem Ort laufen, entdecken wir zwischen zwei großen Schlittenhundstationen eine Kolonie brütende Eiderenten (Somateria mollissima- common eider). Clever sind die Tiere ja schon, denn hier, wo rechts und links Schlittenhunde in ihren Käfigen kläffen, traut sich kein Fuchs hin, um ihnen die Eier oder Küken zu stehlen. Die Eiderenten sitzen dicht an dicht gedrängt und wir müssen aufpassen, dass wir nicht auf sie treten. Eiderenten liefern die begehrten Eiderenten-Daunen, die eine hohe Wärmespeicherkapazität besitzen. Deshalb galten Eiderdaunen über lange Zeit als das beste Material, das für die Füllung von Bettdecken verwendet werden konnte. An einem verlassenen Nest können wir auch mal fühlen, wie sich die begehrten Eiderenten-Daunen anfassen. Interessant ist jedenfalls, dass die Tiere überhaupt keine Scheu vor dem Menschen zeigen.
Ein Stück weiter finden wir dann endlich an einem noch weitgehend zugefrorenen Trinkwassersee das begehrte Eisbärenschild. Es ist wunderschön hier und wir können uns kaum losreißen. Schade, dass wir nicht noch ein Stück weiter kommen. Zu gern wüssten wir, wie es hinter dem See aussieht. Dazu bräuchten wir aber dann Auto und/oder Waffe incl. Waffenschein.
Auf dem Rückweg kommt uns ein Auto entgegen, das von Schlittenhunden gezogen wird. Auch eine Art, Sprit zu sparen. Die Hunde ziehen es gern; für sie ist es Auslauf und Training; wir schauen etwas verdutzt. (Dass diese Form der Fortbewegung tägliches Training für die Hunde ist, zeigt sich auch nächsten Tag, als Uwe und Christian wieder so einem ungewöhnlichen Gespann begegnen.)
Bevor wir zurück ins Guesthouse gehen, kaufen wir im großen Supermarkt noch etwas ein und entdecken dann auf dem Heimweg mitten in der Wohnsiedlung ein friedlich grasendes Rentier. Das kann nur Rentier Rudolf sein. Es gelingen dank vorsichtigem Anpirschens sogar ein paar formatfüllende Aufnahmen. Viel lustiger ist es aber, den beiden Männern dabei zuzusehen, wie sie dem Rentier immer weiter in Trappermanier den Berg hinauf folgen. Das geht ungefähr so: leicht gebückt anpirschen, niederknien (egal ob gute Hose, Matsch oder Schnee), anlegen, Fotos schießen, im Display kontrollieren und erneut gebückt hinter Rudolf her rennen. Manchmal kommt Rudolf ihnen sogar ein paar Schritte entgegen. Wahrscheinlich will er diese beiden lästigen Paparazzi so schnell wie möglich wieder los werden. Wir jedenfalls haben Spaß beim Zuschauen.
Im Guesthouse wollen wir eigentlich alle nur für ein paar Minuten ausruhen, schlafen aber sofort ein. Blöd, denn um 18 Uhr schließen die Geschäfte und wir wollten uns noch etwas zu Essen besorgen. Nun treibt uns der Hunger noch einmal in den Ort. Heute finden wir den Imbiss, den wir letzte Nacht übersehen haben und es gibt Döner und Pizza.
Wir stellen fest, dass einen die permanente Helligkeit jedes Gefühl für Zeit verlieren lässt. Man kommt völlig aus dem Takt. Nach einem gemütlichen Absacker gehen wir heute mal etwas früher schlafen.
26.06.2011 Longeyearbyen – Einschiffung (Schiff Tag 1)
GPS Position um 20:30 Uhr: 78°03.3’N, 013°12.0’E
Wetter um 20:20 Uhr: 6°C, sonnig
Wir packen unsere Sachen, denn heute Nachmittag um 16 Uhr ist Boarding auf dem Expeditionsschiff „Antarctic Dream“. Um unser ganzes Gepäck nicht unbeaufsichtigt zu lassen, bekommt jedes Paar zwei Stunden „Freigang“. Wir laufen ein Stück in Richtung Berge. Gut, dass wir die Gummistiefel anhaben, denn überall von den Hängen läuft das Wasser in Sturzbächen herunter. Wir machen um das Guesthouse herum noch ein paar Aufnahmen, bevor wir Andrea und Chris bei der Stallwache ablösen.
Christian will noch einmal zu den Küstenseeschwalben; Andrea nicht. So geht Uwe mit zu den Piepmätzen. Ich bin erst einmal eine Weile damit beschäftigt, meine Jacke wieder zu säubern, die ziemlich übel aussieht, nachdem ich mich für ein paar Fotos bäuchlings in den Morast gelegt habe.
Als die beiden Männer wieder zurückkehren, haben wir einen weiteren Speicherchip voll Flugbilder und Uwe ist total geschafft von seiner Doppelschicht. Im Ort haben die Männer uns dann gleich noch ein Großraumtaxi geordert, das uns um 15 Uhr vom Guesthouse abholt und zum Hafen bringt. Das Taxi ist überpünktlich, aber von unserem Schiff ist nichts zu sehen. Nur das russische Expeditionsschiff „Quest“ ankert am Pier. Im Hafen-Office erfahren wir, dass unser Schiff aus der Antarktis kommt und sich aufgrund rauher See verspätet hat. Wir sollen um 17 Uhr ins Hotel Radisson Blue gehen, dort erwartet man uns zum Abendessen. Zumindest das mit dem Essen hört sich gut an, aber wohin mit unserem ganzen Gepäck? Im Hafen-Office ist gerade mal Platz für unser Kameraequipment. Taschen und Koffer sollen wir draußen vor die Tür stellen.
Wir laufen noch einmal zur Eiderentenkolonie und kommen dabei natürlich auch wieder an den Küstenseeschwalben vorbei. Langsam müssten die uns schon kennen.
Überrascht stellen wir bei den Eiderenten fest, dass bereits eine Menge Küken geschlüpft sind. Die kleinen Flauschkugeln sind zum knuddeln süß.
Um 17 Uhr finden wir uns (in Gummistiefeln) im 4-Sterne Hotel Radisson Blue ein. Wieder heißt es Schuhe ausziehen und so marschien wir in Socken in einen großen Raum, in dem schon ~ 80 Leute an langen Tafeln sitzen. Das Restaurant hat einen schönen Ausblick auf das Meer. Mit einem äußerst leckeren 3-Gänge-Menü und passenden Weinen werden wir bei Laune gehalten. Ein zufriedenes Raunen geht durch den Saal, als endlich unser Schiff im Fjord gesichtet wird. Nach dem excellenten Menü laufen wir zurück zum Hafen. Auf dem Weg dorthin lernen wir schon mal Silke und Jan kennen, die unseren „deutschen Tisch“ dann auch fabelhaft ergänzen werden.
Am Hafen angekommen, sind unsere Taschen weg. Hoffentlich hat man die nicht auf das russische Expeditionsschiff „Quest“ geladen, das inzwischen ausgelaufen ist. Wir holen unsere Rucksäcke mit dem Fotoequipment wieder ab, machen noch ein paar Fotos vom Schiff und gehen an Bord der „Antarctic Dream“.
Hier beginnt unsere Expeditionsfahrt zu den Eisbären Nord-Spitzbergens mit der „Antarctic Dream“, einem Expeditionsschiff und Eisbrecher der Stufe 1.
Polar Bear Special – North Spitsbergen
Die „Antarctic Dream“ wurde im Jahr 1961 in Holland für die Chilenische Marine gebaut und sechs Jahre später für die Polarregionen umgebaut. Das Schiff kann 84 Passagiere aufnehmen, hat 5 Expeditionsleiter, 13 Servicekräfte und 20 Besatzungsmitglieder. Es ist 81 Meter lang, 12 Meter breit und hat einen Tiefgang von 4,6 Metern. Kapitän ist Ernesto Barria Vargas und die Besatzung stammt aus Chile, Panama und den Philippinen.
Inzwischen ist es ca. 20 Uhr. Unsere Kabine im Heck des Schiffes befindet sich direkt unter dem Speisesaal und hat ein schönes großes Fenster. Erleichtert stellen wir fest, dass alle unsere Gepäckstücke an Bord sind. Rasch packe ich unsere Sachen aus, während Uwe schon mal einen Erkundungsgang durch das Schiff macht. Zur anschließenden offiziellen Begrüßung an Bord werden uns Gemma, die Hotelmanagerin, Kapitän Barria, Expeditionsleiter Philipp Schaudy, alle Guides, Doktor Jans und die gesamte Crew vorgestellt. Der wichtigste Rat des Kapitäns lautet dann auch, die Kamera während der gesamten Reise immer griffbereit zu haben.
Kaum haben wir den Hafen von Longyearbyen hinter uns gelassen, folgt die SOLAS (Safety Of Life At Sea) – die Seenotrettungsübung. Wir müssen in den quietsch orangen Schwimmwesten antreten und bekommen die beiden Rettungskapseln gezeigt. Sicher hübsch gemütlich, wenn da mehr als 40 Leute drin hocken.
Inzwischen verlassen wir den Isfjord, passieren Alkhornet mit seiner schneebedeckten Kuppe und fahren in das arktische Eismeer Richtung Norden. Ein Buckelwal (humpback whale) taucht neben uns im Wasser auf und scheint uns eine gute Reise zu wünschen. Unser Abenteuer Arktis kann beginnen.
27.06.2011 Krossfjorden – Fjortende Julibukta; Kongsfjorden – Blomstrandhalvøya (Schiff Tag 2)
GPS Position: 79°07.6’N, 011°49.5’E
Wetter um 7:00 Uhr: 7°C, leicht bewölkt, windstill
Auch heute Morgen ist das Meer ruhig. Das Schiff hat den Krossfjord („Kreuzbucht“) angesteuert und ankert nun in der Fjortende Julibukta. Die Landschaft hier ist geprägt von steilen Klippen und schneebedeckten Bergen.
Um 10 Uhr findet die erste Zodiac-Tour statt. Dazu werden alle acht vorhandenen Zodiacs (Schlauchboote) zu Wasser gelassen. Inzwischen bekommen wir von unserem Expeditionsleiter Philipp Schaudy noch Instruktionen, wie wir uns bei den Anlandungen und beim Ein- und Aussteigen aus den Zodiacs zu verhalten haben. Das ist besonders bei Nassanlandungen wichtig, bei denen der erste Schritt an Land immer ins Wasser geht (deshalb auch Gummistiefel und Regenhosen). Dann geht es an die „Verkleidung“. Dick eingepackt in Skiunterwäsche, Snowboardhose, wasserdichte Regenüberhose, Fleecepullover, wind- und regendichte zweilagige Outdoorjacke, Gummistiefel, Mütze, Schal und zwei Paar Handschuhe sowie mit der (kleinen) Schwimmweste stehen wir dann pünktlich an der Landungsbrücke. So gehören wir zu den Ersten, die in die Zodiacs steigen. Noch sind wir etwas unsicher, ob das, was wir angezogen haben, auch ausreichend sein wird. Zuerst fahren die Zodiacs an Felsen vorbei, in denen unzählige Vögel brüten. Wir sehen, nordatlantische Eissturmvögel (Fulmarus glacialis – northern fulmars), Eismöwen (Larus hyperboreus – glaucous gulls), Dreizehenmöwen (Rissa tridactyla – black-legged kittiwakes), Gryllteiste und Dickschnabellummen (Cepphus grylle und Uria lomvia – black and Brünnich’s guillemots) und sogar eine Gruppe Papageientaucher (Fratercula arctica – puffins). Zum ersten Mal erkennen wir, dass es eine echte Kunst ist, vom Zodiac aus zu fotografieren, denn kaum hat man Maß genommen und das Bild im Sucher richtig platziert, kommt schon wieder eine Welle und der Vogel hat keinen Kopf mehr oder fällt unten aus dem Bild. 5 Schuss – 1 Treffer lautet so in etwa die Devise, um einigermaßen erfolgreich zu sein. (Das bringt natürlich beim späteren Aussortieren der Fotos richtig viel „Spaß“!)
Wir fahren dann mit dem Zodiac am Gletscher „14. Juli“ vorbei. Immerhin ist das unser erster Gletscher und damit geht ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Diese gewaltigen Eismassen sind sehr beeindruckend. In vielen Blautönen schimmert das Gletschereis und es ist kaum zu fassen, wie alt diese Eismassen sein müssen. Auch im Wasser schwimmen einige kleinere Eisstücke. Ganz klein und unbedeutend fühlen wir uns vor dieser gewaltigen Gletscherwand.
Nachdem die Crew aufmerksam den Strand nach Eisbären abgesucht hat, landen die Zodiacs am Ufer an. (Jeder Guide führt für den Fall einer unerwarteten Begegnung mit einem Eisbären immer auch eine Waffe mit). Das Aussteigen aus dem Schlauchboot ist viel einfacher, als ich es mir vorgestellt habe – zumindest wenn man lange Beine hat und einigermaßen gelenkig ist. Nach dem Ablegen der Schwimmwesten am Strand ist eine kleine Wanderung angesagt. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Reisenden gerecht zu werden, kann zwischen drei Gruppen gewählt werden. Die eine (mittlere) Gruppe läuft noch einmal in Richtung Vogelfelsen und hofft auf die Sichtung von Polarfüchsen, die andere (langsame) Gruppe bleibt in der Nähe des Strandes, und die dritte (schnelle) Gruppe erklimmt den Rand und höchsten Punkt der Gletschermoräne. Natürlich lassen wir es uns nicht entgehen, den Gletscher von oben zu sehen, auch wenn uns das Tempo eigentlich viel zu schnell ist. Schließlich wollen wir ja zwischendurch immer wieder fotografieren. So wechseln sich zurückbleiben, fotografieren, rennen und wieder zurückbleiben ständig ab, bis wir schwitzend von einer Anhöhe auf den Gletscher und die Bucht schauen können. Es bietet sich uns ein gigantischer Anblick, der sich so auf kein Foto bannen lässt, aber in unserem Herzen bleibt. Unser rotes Schiff liegt malerisch in der blauen Bucht, die von hohen, schneebedeckten Bergen eingerahmt wird. Vor uns das Gletschereis und in der Ferne die grün schimmernden Vogelfelsen und die arktische Tundra. Der Anblick ist fast kitschig aber wunderschön.
Für so eine Wanderung sind wir natürlich viel zu warm angezogen und so dampfen wir buchstäblich vor uns hin. Auch auf dem anschließenden Rückweg können wir uns kaum von dem Anblick des azurblauen Gletschers und der malerischen Bucht losreißen. Wieder einmal sind wir die letzten der Gruppe. Jordi, der Guide, der die Gruppe beschließt, wartet geduldig auf uns, bis wir endlich die Anlandungsstelle wieder erreicht haben.
Um 12:30 Uhr kehren wir mit den Zodiacs zum Schiff zurück. Kaum haben wir uns aus- bzw. umgezogen, wartet schon ein Lunch auf uns. Hier hat man ja richtig Stress! Inzwischen setzt das Schiff seine Reise fort. Wir verlassen die Bucht und steuern den Kongsfjord an, der auf 79°N an der Westküste Spitzbergens liegt. Unser nächstes Ziel ist Blomstrandhalvøya im inneren Kongsfjord. Wer nun glaubt, eine gepflegte Mittagsruhe machen zu können, der irrt. Kaum haben wir das Lunch beendet, steht schon die zweite Zodiactour an. Es heißt also, wieder ein paar Schichten anziehen und sich am Landungssteg einfinden. Mit den Zodiacs werden wir auf die Insel Blomstrandhalvøya übergesetzt und landen am Strand von Ny-London an. Hier wartet bereits ein Boot mit 2 Männern der Küstenpatrouille, die offenbar die Lage gecheckt haben.
Ny-London ist eine aufgegebene Bergbausiedlung. Die Marmorvorkommen auf Blomstrandhalvøya, eine damals als Halbinsel erscheinende Insel im Kongsfjord, die sich nach dem Rückzug eines Gletschers inzwischen als Insel herausgestellt hat, ließ zwischen 1910 und 1920 den Aufbau einer Marmorgrube als gewinnversprechendes Projekt erscheinen.
Der englische Geschäftsmann Ernest Manfield hatte mit seiner Northern Exploration Company Ltd. 1911 die Mittel dafür zusammengebracht und ließ alle notwendigen Geräte und sonstigen Einrichtungen wie Dampfmaschinen, Kräne und Eisenbahnmaterial nach Svalbard schaffen. Es wurden Wohnhäuser für bis zu siebzig Personen errichtet. Der abgebaute Marmor erwies sich allerdings als unbrauchbar; so soll die erste nach Europa verschiffte Marmorladung beim Entladen zerbröselt sein. Das Unternehmen scheiterte somit schnell. Maschinen, Transport- und Verladevorrichtungen wurden stehen gelassen, wo sie waren. Heute bildet Ny-London mit seinen Ruinen und rostenden Maschinen als Geistersiedlung ein Zeugnis von der Goldgräberstimmung auf Svalbard im frühen 20. Jahrhundert und alle Gegenstände aus dieser Zeit stehen unter Naturschutz.
Wir besichtigen die verrostenden Maschinen und Hinterlassenschaften, die in der Landschaft verstreut sind. Besonders skurril ist der alte Herd und das darauf stehende Geschirr. Zwischen dem ganzen Schrott grasen in aller Ruhe Rentiere.
Plötzlich sehen wir, wie Falkenraubmöwen (Stercorarius longicaudus – long tailed skuas) die Rentiere angreifen. Die Vögel brüten auf der Wiese und die Rentiere sind offenbar ihrem Gelege zu nahe gekommen. Entschlossen fliegen sie im Sturzflug auf die Rentiere, hacken ihnen in`s Hinterteil und jagen die viel größeren Tiere in die Flucht. Erst meinen wir, dass einer der Vögel dann noch ein Rentierhaar am Schnabel hängen hat, denn er (oder sie) sieht aus, als ob er einen Schnurrbart hat. Erst zu Hause auf dem Monitor sehen wir, dass dieser Vogel einen kleinen Sender am rechten Fuß trägt und das vermeintliche Schnurrbarthaar eine kleine Antenne aus mehreren weißen Drähten ist. Alles im Dienste der Wissenschaft!
Auf einer kleinen Wanderung über die Insel können wir die alten Dampfkessel besichtigen, lernen die Vegetation der Tundra kennen, die bereits zu blühen beginnt, sehen einige arktische Vögel und haben einen schönen Ausblick von der Kuppe der Berge auf die Insel und die Bucht. Ganz in der Ferne sehen wir einen Gletscher blau im Sonnenlicht schimmern. Wir entdecken Steinkreise und erfahren, dass diese Bodenerhebungen vom Permanentfrost stammen. Die großen Steinkugeln, die überall herum liegen, sollen Gletscher in der letzten Eiszeit hier her transportiert haben.
Nach diesem dreistündigen Ausflug bringen uns die Zodiacs zurück zum Schiff. Kaum wieder an Bord, bleibt gerade Zeit zum Umziehen, bis Philipp uns im Schulungsraum das morgige Programm vorstellt. Dann gibt es Dinner. Hungrig genug sind wir, denn die frische Luft macht Appetit. Nach dem Abendessen hält Louis – einer der Guides – noch einen Vortrag zur Polar-Region, doch den schwänzen wir. Der Schulungsraum befindet sich im Inneren des Schiffes, ist dunkel, stickig und stinkt nach Bohnerwachs. Hier wird ganz schnell die Luft knapp und nach wenigen Minuten ist man saumüde. Außerdem müssen wir auch mal unsere Fotos auf den Laptop ziehen und an unserem Reisebericht sollte ich schließlich auch schreiben. Sorry Louis.
Das Schiff fährt die ganze Nacht mit Volldampf. Das schaukelt zwar dann doch ein wenig, ist aber so monoton, dass wir prima schlafen. Es erinnert eher an Eisenbahn fahren, als an Wellengang und macht uns nichts aus.
28.06.2011 Liefdefjorden – Andyøane; Woodfjorden – Ice; 80° North – Moffen Island (Schiff Tag 3)
GPS Position: 79°40.9’N, 013°26.7’E
Wetter um 7:00 Uhr: 4°C, ein wenig Regen, bedeckt
Am frühen Morgen hat unser Schiff den Eingang zum Liefdefjord und Woodfjord erreicht. Der Kapitän wartet mit der Einfahrt in den Fjord, bis alle aufgestanden sind, damit wir die herrliche Gegend auch sehen können. Es ist bewölkt und die Sonne hat sich versteckt. Vom Frühstückstisch aus genießen wir die Fahrt in den Fjord. Hin und wieder schickt die Sonne einen Spot auf die schneebedeckten Berge oder auf einen der Gletscher.
Kaum sind wir mit dem Frühstück fertig, wird endlich die erste Eisbärensichtung gemeldet. Einen schöneren Start in den Tag kann es nicht geben. Alles stürmt an Deck. Natürlich fotografieren wir alle wie die Verrückten. Schließlich ist das unser erster Eisbär in freier Wildbahn und wer weiß, ob ihm weitere folgen werden. Zwar ist er noch verdammt weit weg, aber unser erster Eisbär eben!
Heute Vormittag steht wieder eine Zodiac-Tour auf dem Programm. Die Guides wollen mit den Schlauchbooten die Küste der Insel Andyøane abfahren und nach Eisbären suchen. Im Vergleich zu den letzten Tagen ist es hier an der Packeisgrenze schon merklich kühler. Wir werden also für die Zodiac-Tour noch ein paar Schichten mehr anziehen, denn auf dem Schlauchboot bläst der Wind sowieso etwas frischer. Zwischen Skiunterwäsche und Snowboardhose kommt also noch die Jogginghose; über den Fleecepulli und zwischen die winddichte Jacke noch die Softshelljacke und unter die Mütze noch die Sturmhaube. Michelinmännchengleich bewegen wir uns zum Landungssteg.
Um 9:30 fahren wir mit den Zodiacs zwischen der Insel von Andøyane in den Liefdefjord. Es gibt hier Eisenten (Clangula hyemalis – long-tailed duck), einige Eiderenten (Somateria mollissima – common eiders), einige große Raubmöwen (Skuas) und auch einige Schmarotzerraubmöwen (Stercorarius parasiticus – Arctic skuas). Auch ein Paar Königseiderenten (king eider)können wir sehen. Wir erfahren, dass die Farbe des roten Schnees (Blutschnee) von mikroskopisch kleinen einzelligen Algen mit rot gefärbten Zellen (probably Chlamydomonas nivalis) stammt. Die färben nicht nur den Schnee rot, sondern auch die Berge an der Ostseite des Woodfjords.
Die Zodiaks cruisen in dem Fjord und direkt vor unserem Boot taucht dann plötzlich ein Zwergwal (northern minke whale) auf. Ein paar Mal sehen wir ihn auftauchen, dann ist er auch schon wieder verschwunden. Obwohl alle die Eisgrenze und das Ufer aufmerksam absuchen, sichten wir leider keinen Eisbären. Dafür kennen wir die Vögel jetzt alle persönlich.
Nach gut 2 Stunden Zodiac-Tour sind die Finger und Füße ziemlich klamm und der Poppes ist im wahrsten Sinne des Wortes a-kalt. Gegen 12 Uhr kehren wir zum Schiff zurück und essen eine Kleinigkeit zu Mittag. Inzwischen fährt das Schiff tiefer in den Woodfjord und 9 Ferngläser auf der Brücke suchen fieberhaft die Gegend ab. Als wir das Packeis erreichen, und das Schiff stoppt, wissen wir, dass wir in die warmen Sachen springen sollten. Noch ist Eisbär Nr. 2 nur ein gelblicher Fleck im ewigen Eis, doch er ist weniger scheu als Bär Nr. 1 (oder hungriger) und kommt tollpatschig und neugierig langsam auf uns zu gelaufen. Rasch rennen wir an Deck und beobachten den näher kommenden Bären. Immer wieder nimmt er unsere Witterung auf. Dann läuft er wieder ein Stück auf uns zu, prüft das Eis, patscht ins Wasser, springt auf eine Eisscholle und landet dabei auch mal auf der Nase. Es ist witzig anzusehen.
Ganz behutsam steuert der Kapitän das Schiff so an die Eisgrenze, dass der Bär überhaupt keine Scheu zeigt und sogar auf dem Eis um den Bug unsereres Schiffes herum läuft.
Was für ein großartiger Augenblick, einen Eisbären in freier Natur so nah erleben zu können. Da sind auch die inzwischen eiskalten Finger nicht so wichtig. Auf dem Schiff ist es mucksmäuschenstill. Jeder genießt diesen Moment. Nur das Maschinenfeuer der unzähligen Kameras ist zu hören. Erstaunlicherweise hält sich sogar das Gedrängel an Deck einigermaßen in Grenzen. Ok, ein paar Idioten gibt es immer; aber im Großen und Ganzen geht es recht rücksichtsvoll zu. Jeder kommt zu seinem Foto. In aller Ruhe zieht der Eisbär davon, und hinterlässt einen tiefen Eindruck – und das nicht nur in Form seiner großen Tatzenabrücke im Eis. Noch sehr lange können wir ihn mit dem Fernglas verfolgen und noch viel länger hallt diese beeindruckende Begegnung in uns nach.
Als das Schiff wieder Fahrt aufnimmt, kommen wir an einer Robbe vorbei, die entspannt auf einer Eisscholle liegt. Rasch lässt sie sich ins Wasser gleiten, als wir an ihr vorbei fahren.
Wir beeilen uns, die Speicherkarten wieder frei zu räumen und alle Bilder auf den Laptop zu sichern. Schließlich weiss man nie, was in der nächsten Stunde passiert bzw. gesichtet wird.
Später bemühen sich die Guides noch, uns mit allerlei Informationen zu versorgen. Jørn hält im Schulungsraum einen Vortrag über Eisbären, Philipp stellt uns das Programm für den nächsten Tag vor und Jordi erklärt noch kurz die Besonderheiten der heute gesehenen Zwerg- und Buckelwale (minke und humpback whale). Dann haben wir gegen 21:30 Uhr auch schon den 80. Breitengrad erreicht. Das wird mit Wodka gefeiert. Alle versammeln sich an Deck und stoßen auf die Überquerung des 80. Breitengrades an. Auch wenn das Gesöff so gar nicht nach unserem Geschmack ist, passt es doch sehr gut hierher.
Wie immer ist es taghell, der Horizont scheint zu verschwimmen und wir fahren durch eine mystisch wirkende Landschaft. Von unserem Tisch in der Lounge aus haben wir dank Panoramaverglasung einen schönen Blick auf das Meer und die tolle Eislandschaft.
Bei einer Flasche Rotwein sind wir gerade angeregt am Plaudern, als Uwe mir so heftig gegen die Schulter haut, dass ich fast durchs Fenster fliege. Alle schauen erschrocken und er schreit „Walross“. Ja wie, so fett bin ich ja nun auch nicht! Aber tatsächlich schaut uns nur wenige Meter vom Schiff entfernt aus dem Wasser ein großes Walross an. Toll, wir sehen unser erstes Walross in freier Natur! Alle Passagiere kleben nun bei uns an der Scheibe, wir lachen uns fast schlapp und Uwe ist stolz wie Oskar, es als erster entdeckt zu haben.
Die Hoffnung der Crew, dass wir auf dem kleinen Inselchen Moffen Island Walrosse sehen können, geht dagegen leider nicht in Erfüllung. Dafür ist es noch zu früh im Jahr; die Walrosse sind noch nicht hier angekommen.
Erst kurz vor 24 Uhr stellen wir erschrocken fest, dass es ja vielleicht mal an der Zeit wäre, schlafen zu gehen. Man wird bei der dauernden Helligkeit irgendwie gar nicht müde – oder lässt es nicht zu.
Das Schiff setzt über Nacht die Fahrt fort. Vom monotonen Motorengeräusch sind wir schnell eingeschlafen, doch immer, wenn es langsamer wird, schrecke ich auf und schaue aus dem Fenster. Wir könnten ja etwas verpassen. Würde uns der Kapitän eigentlich auch nachts wecken, wenn Eisbären gesichtet werden???
29.06.2011 Hinlopenstretet – Alkefjellet; Sorgfjorden – Eolusneset (Schiff Tag 4)
GPS Position: 79°36.1’N, 013°26.7’E
Wetter um 7:00 Uhr: 5°C, bedeckt, gute Sicht, windstill
Im nördlichen Teil der Hinlopenstretet, die die Hauptinsel Spitzbergen vom Nordaustland trennt, befindet sich die große Vogelkolonie Alkefjellet (the auk’s mountain). Zu diesen Lummenfelsen machen wir heute Morgen unsere Zodiac-Tour. In den massiven Basaltklippen brüten mehr als 100.000 Brutpaare der Dickschnabellummen (Uria lomvia – Brünnich’s guillemots). Das Schiff ankert in der Bucht und uns umfliegen unzählige Lummen. Auch im Wasser wuselt es nur so von diesen schwarz-weißen Vögeln, die ein wenig wie Pinguine aussehen. Nachdem alle Zodiacs zu Wasser gelassen wurden, fahren wir zu den Vogelfelsen.
Bis an die Felsen heran können sich die Zodiacs nähern, ohne dass die Tiere Scheu zeigen oder flüchten. Überall auf Felsvorsprüngen, in Nischen, zwischen Steinen und auf den Felskanten sitzen die schwarz-weißen Vögel; oft in Gruppen. Meist drehen sie uns den Rücken zu, um ihr Ei besser schützen zu können. Es ist gigantisch, wie viele Vögel sich hier versammelt haben.
Schon gestern hatte man uns gewarnt, dass es passieren kann, dass uns die Vögel auch ansch…, was die Vögel dann auch mehrfach tun. Wer nur kleine Spritzer abbekommt, kann froh sein. Der große Wurf gelingt ihnen glücklicherweise bei uns nicht. Dieses Glück haben aber nicht alle auf dem Boot.
Die Vögel hier zu fotografieren, ist nicht wegen der Distanz ein Problem. Vielmehr ist es das ständige Auf- und Ab des Zodiacs, was die Sache so extrem schwierig gestaltet. Valeska, die heute unser Zodiac steuert, gibt sich alle Mühe, doch so richtig glücklich sind wir nicht. Die Vögel sind so hübsch und wir bekommen sie einfach nicht vernünftig fotografiert. Vielleicht sollten wir sie später wie ein Puzzle zusammensetzen. Genügend Köpfe ohne Körper und Körper ohne Füße und/oder abgeschnittene Köpfe haben wir jedenfalls. Hier zählt dann wohl mehr, dass wir diese riesige Brutkolonie gesehen und gehört haben. Ein grandioser Anblick sind die vielen Vögel auf jeden Fall.
Neben den vielen Vögeln treiben auch wunderschöne Eisblöcke vom nahegelegenen Gletscher im Wasser. Ein Eisblock hat sogar die Form eines großen Vogels.
Wir fahren dann auch noch mit den Zodiacs in die Gletscherbucht und können den gewaltigen Gletscher aus der Nähe bewundern. Ganz klein fühlt man sich vor dieser großen Kulisse. Als der Gletscher auch noch unvermittelt kalbt und große Eisbrocken ins Wasser stürzen, wird unser Respekt vor dieser Naturschönheit noch größer.
Nach der Rückkehr auf das Schiff bleibt gerade genug Zeit für das Mittagessen und eine ganz kurze Verschnaufpause. Um 15 Uhr besteigen wir wieder die Boote, die uns im Sorgfjorden zu einer Walrosskolonie an der Spitze von Eolusneset bringen. Der Sorgfjord ist ein kleiner, 15 km langer Fjord im Nordosten von Spitzbergen, beim Eingang in die Hinlopenstraße. Die kleine Walrosskolonie hatte Philipp, unser Expeditionsleiter, letzte Nacht beim Vorbeifahren entdeckt. Nun wollen wir versuchen, uns den Tieren zu nähern. Dazu werden wir in zwei Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe darf eine Stunde bei den Walrossen verbringen. Schon gestern hatte uns Philipp genau erklärt, wie wir uns den Tieren nähern sollen. Nun machen wir schon mal unsere Witze darüber. Wir sollen uns in einer Reihe nebeneinander aufstellen. Das assoziiert den Tieren einen künstlichen Horizont, der dann langsam näher kommt. Die Guides geben uns Zeichen, wie weit wir heran dürfen. Erwartungsvoll besteigen wir das erste Boot, das uns an Land bringt. Statt uns aber gleich zu den Walrossen zu lassen, werden wir erst in die zweite Gruppe eingeteilt – warum auch immer. Das heißt für uns, erst einmal ein Stück am Strand entlang wandern, was bei dem groben Kies keine wirkliche Freude ist. Nun bleibt uns nur zu hoffen, dass die andere Gruppe die Tiere nicht verjagt, sonst sind wir aber richtig sauer. Das viele Treibholz, das überall an den Strand geschwemmt wurde und überwiegend aus Russland stammen soll, interessiert uns im Moment verhältnismäßig wenig. Auch sonst hören wir den Erklärungen der Guides nur mit einem Ohr zu. Wir wollen zu den Walrossen!
Dann ist es endlich soweit und wir dürfen vor der Walrossgruppe einen Horizont bilden. Langsam dirigiert uns Valeska in eine einigermaßen akzeptable Fotodistanz. Die Tiere nehmen von uns überhaupt keine Notiz. Etwa 20 Tiere liegen wie dicke Blutwürste dicht aneinander gedrängt faul am Strand. Maximal hebt eines der Tiere mal die Schwanzflosse oder den Kopf. Wir dürfen den Walrossen beim Schlafen, Schnarchen, Pubsen und Rülpsen zusehen und –hören. Zumindest einem Walross ist das peinlich, denn es deckt sich mit seiner Flosse das Gesicht zu. Das ist zwar witzig, aber noch nicht so wirklich der Hit und die Fotoposition etwas verändern geht auch nicht – sonst bekommt der „Horizont“ ein Loch. Von hier haben wir aber nur eine Masse unförmiger Leiber – ohne Gesichter und wirklich sehen können wir die einzelnen Tiere auch nicht. Etwas unschlüssig schauen wir uns diesen Haufen unförmiger Würste eine Weile an und wechseln dann doch den Standort. Wir bilden sozusagen einen doppelten Horizont. Ein Stück weiter unten am Wasser ist die Perspektive etwas besser. Dann sehen wir, dass sich vom Wasser her weitere Tiere der Gruppe nähern. Die zwei Walrosse, die nun ziemlich nah am Strand im flachen Wasser liegen, sind recht entspannt. Sie schauen genau so interessiert zu uns, wie wir zu ihnen und wissen nicht so recht, was sie von diesem bunten Horizont halten sollen. Nun können wir uns die Tiere wenigstens mal in Ruhe ansehen. Ihre langen Stoßzähne sind schon recht imposant. Wir freuen uns riesig über diese unverhoffte Gelegenheit, die Walrosse in ihrem Lebensraum beobachten und ablichten zu können. Sogar das erträumte Walross-Porträt ist so möglich. Dann gesellt sich sogar noch ein drittes Tier zu der Gruppe im Wasser. Philipp schreibt später in seinem Logbuch dazu: „And the cameras were running on high revs (Die Kameras liefen mit hoher Drehzahl)„.
Rasch vergeht die eine Stunde, die uns für die Tiere zugestanden wird. Zwar sind meine Finger trotz zwei Paar Handschuhe schon eher durchgefroren, aber darauf kann man in so einer Situation einfach keine Rücksicht nehmen. Noch lässt sich ja der Auslöser der Kamera betätigen.
Als Valeska uns zum Aufbruch drängt, sind wir zufrieden und glücklich, in die zweite Gruppe eingeteilt worden zu sein, denn das Glück mit den anlandenden Walrossen hatte die erste Gruppe nicht. Die mussten sich mit dem großen schlafenden Klopshaufen zufrieden geben. Manchmal ist es eben doch gut, wenn man warten kann (muss)!
Zurück auf dem Schiff folgt schon das nächste Highlight. Heute findet das große Arctic BBQ (Barbecue) statt. Die beiden großen Grills hatten wir schon auf dem Schiff entdeckt und nun freuen wir uns auf leckeres Grillfleisch. Vom großen Pott Glühwein hat die Köchin wohl schon etwas zu reichlich gekostet, denn die ist schon total durchgeknallt, aber das reichhaltige Angebot an Fleisch, Würstchen und Garnelenspießen ist heute wirklich nicht zu verachten. Auf jeden Fall ist dieses Barbecue eine tolle Idee, es schmeckt richtig lecker, man kann mal nichts daran verderben und wir können uns endlich einmal satt essen, denn ansonsten ist das Essen an Bord sowohl geschmacklich als auch von der Größe der Portionen einfach nur unterirdisch. Bis spät in die Nacht sitzen wir gemütlich beim Wein und haben unglaublichen Spaß.
30.06.2011 Tag im Packeis (Schiff Tag 5)
GPS Position: 80°30.9’N, 016°26.5’E
Wetter um 7:00 Uhr: 5°C, teilweise bedeckt, teilweise sonnig, einige Nebelbänke, windstill
Gegen 8 Uhr erreicht unser Schiff die Packeisgrenze von Nord-Spitzbergen westlich der Seven Islands Archipelago. Über Nacht ist das Schiff langsam vom Sorgfjorden weiter nördlich gefahren. Heute steht ein Tag im Packeis auf dem Programm. Wir wollen Eisbären suchen, schließlich haben wir noch lange nicht genug von ihnen. Ausnahmsweise dürfen wir sogar eine halbe Stunde länger schlafen. Statt Frühstück gibt es heute ab 10 Uhr Brunch – die Reste vom BBQ müssen wohl weg.
Im Moment ist herrlicher Sonnenschein. In allen Blautönen schimmert das Packeis, das krachend bricht, wenn unser Schiff sich einen Weg hindurch bahnt. Dann richten sich die Schollen manchmal auf und man kann erkennen, wie dick das Eis ist. Immer wieder treiben skurril geformte Eisschollen an uns vorbei. Wir ziehen uns warm an und verbringen die Zeit an Deck. Es empfängt uns eine faszinierende Welt. Hier, im ewigen Eis verschmilzt der Horizont mit dem Packeis. Alles wirkt mystisch und unwirklich. Wir können Robben beobachten, die sich auf Eisschollen ausruhen, viele Seevögel sind auf Nahrungssuche und sogar ein paar kleine Fische sehen wir, die sich manchmal unter den Eisschollen versteckt haben.
Um 9 Uhr sichten wir den ersten Eisbären (Bär Nr. 3 der Reise). Der ist zwar noch etwas weit entfernt, aber ein guter Anfang für den heutigen Tag. Der Bär schnuppert in unsere Richtung und setzt dann seinen Weg durch das ewige Eis fort.
Wir bleiben an Deck, denn diese großartige Kulisse wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Immer tiefer fährt das Schiff in das Packeis und es kracht ziemlich, wenn die Eisschollen bersten. Vor allem im Rumpf des Schiffes hört sich das recht bedrohlich an. An Deck ist es einfach nur wunderschön.
Keine 5 Kilometer später können wir den nächsten Eisbären (Bär Nr. 4 der Reise) beobachten. Der kommt sogar näher und ganz behutsam stellt der Kapitän das Schiff so in den Weg, dass der Bär früher oder später direkt an uns vorbei laufen muss. Das tut er dann auch und so bekommen wir unseren Eisbären formatfüllend. Es ist einfach toll, wie gut der Kapitän die Situation einschätzen kann und so sind wir alle total glücklich über diese Begegnung mit dem Bären. So kann es dann heute auch gern weitergehen. Der Bär läuft vollkommen unberührt und ohne jede Eile davon. Eine ganze Weile können wir seinen Weg noch durch das Packeis verfolgen. Es ist einfach goldig, zuzusehen, wie leichtfüßig dieser massige Kerl über die Eisschollen springt, vorsichtig mit der Tatze Löcher im Eis prüft, stückweise schwimmt und dann wieder ausrutscht und auf den Bauch klatscht. Nur als kleiner gelblicher Punkt ist der Bär kurze Zeit später noch im Eis zu erkennen.
Den nächsten Eisbären sichten wir weit draußen im Packeis und sogar mit Fernglas ist er nur ein kleiner Punkt – gerade so als Bär (Nr. 5) zu erkennen.
Auch der nächste Eisbär (Bär Nr. 6), der entdeckt wird, ist zwar verhältnismäßig weit weg, aber doch wenigstens gut sichtbar. Leider hat dieser Bär aber keine Lust auf unsere Bekanntschaft. Er versucht sich stattdessen, an eine Robbe heran zu pirschen, die auf dem Eis liegt. Das gelingt ihm allerdings nicht, denn die merkt rasch, dass sie auf seinem Speiseplan steht und verlässt ihren Ruheplatz, um ins Wasser abzutauchen.
Einige Zeit später sichten wir erneut einen Eisbären (Bär Nr. 7 der Reise). Schon aus der Ferne können wir sehen, dass der gerade eine Robbe gerissen hatte, die er nun ein ganzes Stück weiter durch das Eis und Wasser geschleppt hat. Noch ist der Bär recht weit entfernt, doch unser Kapitän geht äußerst behutsam und weitsichtig vor, damit wir uns dem Bären nähern können, ohne ihn zu vertreiben. Er stellt alle Maschinen ab, lässt sich von der Strömung treiben und steuert genau in den Kanal, an dem der Bär seine Robbe verzehrt. Fast 3 Stunden treibt das Schiff ganz langsam auf den Eisbären zu, der von uns überhaupt keine Notiz nimmt. Gebannt stehen wir an der Reling und wieder rattern die Kameras. Der Bär ist ziemlich blutbeschmiert und es scheint ihm augenscheinlich gut zu schmecken. Auf dem Bauch liegend frisst er genüsslich und sichtlich zufrieden seine Beute. An Deck ist es mucksmäuschenstill. Nur das Klicken der Kameras erfüllt die Stille.
Plötzlich flüstert mir Jan zu, dass sich von hinten ein weiterer Bär nähert (Bär Nr. 8 der Reise). Andrea und ich beschließen, unseren Platz zu verlassen und in Richtung Heck des Schiffes zu laufen, um den schwimmenden Eisbären von dort aus zu fotografieren. Uwe und Christian halten vorn die Stellung. An den Landungsstegen haben wir die niedrigste Perspektive und können den auf uns zu schwimmenden Eisbären gut beobachten bzw. fotografieren. Es ist erstaunlich, wie gut und schnell diese massigen Tiere schwimmen können. Der Bär schwimmt so zielstrebig und entschlossen in Richtung des anderen Eisbären mit der gerissenen Robbe, dass ein Kampf offensichtlich bevor steht. Wieder recht nah passiert der Bär den Bug des Schiffes und erreicht kurze Zeit später das Packeis, auf dem der andere Bär an seiner Robbe frisst. Alle halten die Luft an, als der zweite Bär seinen Konkurrenten erreicht. Jeder hat den Finger auf dem Auslöser, denn jetzt gibt es bestimmt einen Kampf. Wir können hören, wie die beiden Bären sich anknurren. Dann verlässt der Bär, der die Robbe erlegt hat, kampflos den Platz und überlässt dem offensichtlich sehr hungrigen Neuankömmling seine Futterreste. So ein Mist! Ein Stück entfernt legt er sich bäuchlings in den Schnee und schaut zu, wie der andere sich ohne langes Zögern über seine Beute her macht. Enttäuscht schnappen wir nach Luft. Ein klein wenig mehr Action wäre schon schön gewesen. Wir hätten die Bären auch gern mal in ihrer aufgerichteten Größe gesehen.
Dem Bär, der sich zurückgezogen hat, sieht man irgendwie an, dass er mit der Situation nicht wirklich zufrieden ist. Es scheint ihm bewusst geworden zu sein, dass das ja eigentlich sein Fressen ist, was der andere da gerade genüsslich verschlingt. So versucht er kurze Zeit später sich dem Riss wieder zu nähern, doch seine Angst vor dem anderen Bär scheint größer zu sein als sein Besitzerstolz. Erst beim dritten Anlauf nimmt der „Eigentümer“ seinen ganzen Mut zusammen und marschiert wieder auf den Riss zu. Die Beiden knurren sich an, dass wir es noch auf dem Schiff hören können. Nun scheint der Bär zu sagen: „ok, das ist mein Futter aber Du darfst mit fressen, wenn Du Dich ordentlich benimmst; also rück` ein Stück!“ Dann fressen die beiden fremden Bären tatsächlich einträchtig nebeneinander an der Robbe und wir sind sprachlos über dieses Verhalten, das eigentlich ziemlich untypisch ist. Allen an Bord ist bewusst geworden, dass wir hier gerade etwas ganz Besonderes erleben.
Philipp erzählt später, dass er auch nach 3 Stunden noch immer fast 70 Passagiere gezählt hat, die sich an Deck aufhielten, um dieses einmalige Erlebnis zu genießen. Kälte oder andere niedere Bedürfnisse werden währenddessen einfach ausgeblendet. Auch zum Essen sind wir heute Morgen noch nicht wirklich gekommen und inzwischen ist leider der Brunch bereits abgeräumt. Naja, wir setzen halt die Prioritäten ein wenig anders als „normale“ Menschen.
Auf jeden Fall sind wir überglücklich, diese tolle Eisbärenbegegnung erleben zu dürfen. Ein ganz besonderer Dank gilt dabei unserem Kapitän, der genau richtig gehandelt hat und uns mit unglaublich viel Feingefühl und Weitsicht dieses tolle Erlebnis ermöglicht hat. Uwe geht auf die Brücke und bedankt sich bei Kapitän Ernesto Barria Vargas, der sich sehr über seine lobenden Worte freut.
Kaum haben wir nach diesem unvergesslichen Erlebnis die Speicherkarten wieder leer geräumt, alle Daten auf dem Laptop gesichert und uns ein wenig aufgewärmt, fesseln uns schon die nächsten Fotomotiv. Hunderte von Dickschnabellummen (Uria lomvia – Brunnich´s guillemots) schwimmen im Wasser oder sitzen auf Eisschollen. Immer, wenn das Schiff den Vögeln zu nahe kommt, flüchten sie. Das tun sie aber nicht, indem sie auffliegen, sondern stattdessen rudern sie, parallel zueinander, in unglaublicher Geschwindigkeit davon. Das sieht aus wie beim Wettkampfschwimmen, wo jeder seine Bahn zieht und das Wasser blubbert dabei wie mit Kohlensäure angereichert. Warum zum Teufel fliegen diese Vögel nicht, das wäre doch wesentlich weniger anstrengend? Wir lachen uns fast schlapp über diese Showeinlagen und so knattert schon wieder ein Speicherchip durch die Kamera.
Von Zeit zu Zeit taucht im Wasser eine Sattelrobbe (Pagophilus groenlandicus – Harp seals) auf, manchmal sehen wir die Finne eines Zwergwales (Balaenoptera acutorostrata – minke whale), Eissturmvögel (Fulmarus glacialis – Nothern fulmars), Eismöwen (Larus hyperboreus – glaucous gulls), Dreizehenmöwen (Rissa tridactyla – Black-legged kittiwakes), Lummen (guillemots) und Raubmöwen (skuas) begleiten das Schiff. Sogar einige der seltenen Elfenbeinmöwen (Pagophila eburnea – ivory gulls) können wir beobachten.
Ein paar Mal ziehen Nebelbänke an uns vorbei. Die verstärken noch den mystischen Eindruck, den man hier im ewigen Eis hat. Es ist wahnsinnig schön und friedlich. Die Wasseroberfläche liegt wie ein Spiegel vor uns. Das Wasser bewegt sich kaum. Wie in einer anderen Welt fühlen wir uns hier.
Heute haben wir leider auch schon den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Wir befinden uns 80° 38,22′ N/18° 04,25′ E und können in der Ferne Sjuøyane („sieben Inseln“) sehen. Die Sjuøyane bilden eine Inselgruppe nördlich im Svalbard-Archipel. Schade, nun muss das Schiff leider schon den Rückweg antreten. Bis zum Nordpol sind es von hier aus nur noch knapp 10 Breitengrade bzw. weniger als 1.100 km. (bzw. 111 km/Breitengrad).
Nach dem Briefing für den morgigen Tag stoßen wir am Abend auf die tollen Erlebnisse dieses Tages an, der wie im Flug vergangen ist.
01.07.2011 Nordwest-Spitzbergen – Fuglesangen; Sallyhamma (Schiff Tag 6)
GPS Position: 79°48.9’N, 011°28.3’E
Wetter um 7:00 Uhr: 5°C, bedeckt, gute Sicht, windstill
Um 7 Uhr ist Wecken, und um 9 Uhr steigen wir in die Zodiacs, die uns heute Morgen auf die kleine Insel Fuglesangen (bird song), nordwestlich von Spitzbergen, bringen. Diesmal ist die Anlandung etwas schwierig, denn überall am Strand liegen große, glitschige Steine. Unser Schiff ankert malerisch in der Bucht, während wir erst noch das Briefing bekommen, wie wir uns zu verhalten haben.
Dann erklimmen wir den Geröllhang, um von dort die Vogelkolonie der kleinen Krabbentaucher (Alle alle – little auks) zu beobachten. Es ist recht schwierig, mit dem schweren Rucksack über dieses steile Geröllfeld zu klettern. Jeder sucht sich am Hang einen Sitzplatz auf den Geröllfelsen und dann warten wir leise und bewegungslos, ob die Vögel unsere Nähe akzeptieren. Das sieht richtig lustig aus, wie überall zwischen den Felsbrocken bunte „Kleckse“ sitzen. Von überall her hören wir das melodische Zwitschern der Vögel, das diesem Platz seinen Namen gab. Vier Eiderenten, die an der Küste entlang schwimmen, unterstützen das Vogelkonzert noch in ihrer Tonart – nicht so lieblich aber lautstark. Die kleinen Krabbentaucher brüten hier an den Geröllhängen unter den losen Steinen und man kann nur anhand des regen Flugverkehrs und des vielen Gezwitschers abschätzen, dass es eine große Brutkolonie sein muss. Von mehreren 10.000 Brutpaaren wird ausgegangen.
Wir sitzen zwei Stunden bewegungslos auf den Steinen. Längst ist der Poppes kalt aber die Vögel können sich nicht entschließen, uns zu ignorieren. Das war dann leider nichts mit Fotos von den Krabbentauchern. Trotzdem war es ein schönes Erlebnis, ihren Gesang zu hören.
Zurück auf dem Schiff erwartet uns in unserer Kabine ein kleines Kunstwerk. Unser philippinisches Zimmermädchen hat aus einem der weißen Badetücher einen Eisbären gebaut, ihm meine Sonnenbrille aufgesetzt und den kleinen Eisbärenanhänger als Baby in den Arm gelegt. Das sieht richtig witzig aus.
Kurzfristig ändert der Expeditionsleiter Philipp für den Nachmittag das Ausflugsprogramm. Vorgesehen war der Besuch einer alten Walfangstation, doch bei Sallyhamna hat die Crew heute Vormittag zwei schlafende Eisbären gesehen, zu denen wir jetzt mit den Booten fahren. Alle 8 Schlauchboote werden zu Wasser gelassen. Viel Hoffnung, von einem Schlauchboot aus gute Eisbärenfotos zu machen, haben wir ja schon mal nicht. Da konnten wir schließlich schon bei den Vögeln so unsere Erfahrungen machen. Außerdem ist es mit 14 Leuten in dem Schlauchboot auch viel zu eng – man kann sich kaum bewegen und immer ist ein Kopf im Weg. Wir haben also keine besonders hohen Erwartungen an diesen Nachmittag.
Noch wärmer angezogen als sonst (6 Schichten und wie immer mit Gummistiefeln) „entern“ wir zu sechst eines der Schlauchboote, das von Valeska gesteuert wird. Fast könnten wir die deutsche Flagge hissen. Zumindest sind wir schon mal in der Überzahl. Mit uns zusammen sind noch 5 andere Reisende an Bord. Unser Herz macht Freudensprünge, als Valeska die Möglichkeit beim Schopf packt, noch zwei von unserer Zodiacbesatzung an ein anderes Boot abzugeben. Wow, jetzt haben wir richtig gut Bewegungsfreiheit und kommen uns beim Fotografieren nicht in die Quere. Die beiden „Wichtels“ sind totale Vogelfans und fahren nicht so auf Eisbären ab und der allein reisende ältere Herr mit an Bord hat nur eine kleine Knipskamera. So können wir hoffentlich alle ungestört fotografieren bzw. filmen (Jan). Valeska erzählt uns, dass seit zwei Jahren in der Bucht ein Walkadaver am Ufer bzw. im Wasser liegt, zu dem die Eisbären regelmäßig kommen. Das ist natürlich auch bei anderen Touristenschiffen bekannt und so sind wir nicht allein, als wir in der Bucht ankommen.
Wir sehen nicht weit vom Ufer entfernt zwei Eisbären (Bären Nr. 8 und 9 der Reise) faul im Schnee liegen. Dann kann sich einer der Bären sogar entschließen, sich etwas zu bewegen. Er scheint hungrig zu sein. Der Bär klettert die Eiskante herunter und taucht mit einem kleinen Hechter kopfüber nach dem Walkadaver. Kurz darauf klettert er wieder an Land und frisst in aller Ruhe seine bescheidene Portion, die er beim Tauchen „erbeutet“ hat. Einige Möwen flattern um ihn herum und hoffen, dass etwas für sie abfällt. Die kleinen Häppchen Fleisch reichen ihm natürlich nicht und so wiederholt sich diese Prozedur noch einige Male. Manchmal schwimmt der Bär sogar ein Stück und wir können ihn aus nächster Nähe und in schöner Perspektive beobachten. Sozusagen fast Auge in Auge. Von den ganzen Booten und Schiffen, die hier in der Bucht ankern, scheint der Bär dagegen überhaupt keine Notiz zu nehmen. Er übersieht uns quasi einfach. Der andere Eisbär ein Stück weiter oben im Schnee liegt einfach nur bäuchlings da und beobachtet das Geschehen.
Das Wasser ist hier in der Bucht so klar, dass wir bis auf den Grund sehen können. Schade, wir hätten den Wal gern mal betrachtet, doch das ist der Crew etwas zu gefährlich. Valeska hat ziemlich zu kämpfen, dass sie das Boot in der Strömung einigermaßen halten kann. Wir knien über der Bordwand bzw. Uwe und Chris haben sich gleich vorn ins Boot gelegt. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, den Eisbären aus solch naher Distanz beobachten zu können. In aller Ruhe können wir sein Treiben verfolgen. Immer wieder taucht er nach dem Walkadaver und holt sich ein paar Fleischhäppchen. Inzwischen nieselt es leicht, doch das ist uns vollkommen egal.
Silke und Jan behalten bei aller Eisbärenbegeisterung ein wenig den Überblick und als unsere Rucksäcke abzusaufen drohen, weil das Schlauchboot langsam voll Wasser läuft, sind sie es, die die Fotorucksäcke schon mal ein Stück weiter ins Trockenere bringen. Wir bekommen davon gar nichts mit und sind wie im Fotorausch.
Nachdem der erste Eisbär langsam davon läuft, kommt der zweite Bär näher. Nun will auch er sich ein paar Fetzen Fleisch ertauchen. Als er die Eiskante hinunter klettert, stützt er sich mit den Vorderpfoten auf einem großen Stein ab. Das sieht total witzig aus. Fast könnte er mit dieser Kopfstandnummer im Zirkus auftreten. Richtig wiederwillig taucht er die Pfoten ins Wasser und man meint zu erkennen, dass ihm das kalte Wasser nicht behagt. Nach kurzem Zögern taucht jedoch auch dieser Bär ab und wir sehen nur noch kurz seine Hinterbeine aus dem Wasser schauen. Wenig später taucht auch er mit einigen Fleischfetzen auf und will wieder ans Ufer klettern. Das versucht er ebenfalls in „Handstandpose“ mit den Hinterpfoten zuerst; quasi im Krebsgang. Dieser Bär war in seinem früheren Leben Zirkusbär. Wir schmunzeln über seine Bemühungen, die so tapsig und knuddelig wirken. Endlich wieder an Land frisst er genüsslich seine „Beute“. Auch dieser Bär wiederholt seine Tauchgänge mehrfach, bis er ein paar Häppchen gefressen hat. Richtig satt kann er davon aber auch nicht sein.
Als wir während des Fotografierens kurz inne halten, steht das Wasser im Boot schon ungefähr 10 cm hoch, ist bei Christian und mir bereits durch das Hinknien in die Gummistiefel gelaufen und unsere Rucksäcke sind triefnass. Gut, dass wir keine Ausrüstung weiter drin haben. Es kann also nichts passieren. Da wir an der nassen Situation im Moment nichts ändern können, wenden wir uns wieder dem Bären zu. Um den Rest können wir uns später kümmern.
Die Guides lassen uns alle Zeit der Welt und erst als auch der zweite Bär langsam wegläuft, verlassen auch die Zodiacs die Bucht. Wir haben mehr als 3 Stunden bei den Eisbären zugebracht. Es war ein großartiges und unvergessliches Erlebnis. Niemals hätten wir gedacht, dass wir uns diesen Tieren soweit nähern können. Wir konnten tolle Beobachtungen machen und ihnen zuschauen, wie sie sich ihre Nahrung beschaffen, wie sie tauchen und schwimmen. Wer kann schon von sich behaupten in einer Distanz von nicht mehr als 20 Metern einem wild lebenden Eisbären – dem König der Arktis – gegenüber gestanden zu haben?
Überglücklich dank dieser großartigen Beobachtung kehren wir aufs Schiff zurück. Nun müssen erst einmal die Fotorucksäcke trocken gelegt und die Füße ein wenig aufgewärmt werden.
Kaum sind wir wieder an Deck, fesselt uns die tolle Kulisse von Amsterdamøya und Magdalenafjorden. Hohe, schneebedeckte Berge wechseln sich mit breiten, blau schimmernden Gletschern ab. Diese Landschaft hat wohl auch dem Gebiet zu seinem Namen verholfen – Spitzbergen.
Am Abend, nach dem Dinner hält Beverley noch einen Vortrag über die Eisbären in Churchill bzw. an der Hudson Bay. Das ist recht interessant und weckt bei uns Vieren gleich wieder neue Bedürfnisse, sofern die nicht schon vorher vorhanden waren. Schon schmieden wir danach Pläne, wie wir Churchill und die Hudson Bay am besten auf die Reihe bekommen bzw. in unsere lange Reihe von Wunsch-Urlaubszielen einordnen. Noch sind Silke und Jan von unseren Verrücktheiten nicht infiziert, aber zumindest hinsichtlich des Fotografierens zeigt die Woche mit uns bei Silke schon erste Wirkung. Wie hätte es auch anders sein können, wenn man mit vier Verrückten unterwegs ist?
Über unserer ganzen Planung vergeht die Zeit wie im Flug und wir sind richtig erschrocken, dass es schon wieder nach 24 Uhr ist. Da man bei der andauernden Helligkeit jedes Gefühl für Zeit verliert, bereuen wir auch zum ersten Mal ein wenig, keine Uhr mit in den Urlaub genommen zu haben. Das ist uns noch nie passiert!
02.07.2010 Sankt Jonsfjord; Isfjorden – Alkhornet (Schiff Tag 7)
GPS Position: 78°31.1’N, 012°52.0’E
Wetter um 7:00 Uhr: 5°C,
Nach dem Frühstück startet unser nächster Zodiac-Ausflug. Diesmal befinden wir uns im Sankt Jonsfjord, einem eher kleiner Fjord (20 km lang) mit mehreren Gletschern und Bergen. Wir landen mit den Schlauchbooten in einer Bucht an, in der eine kleine Jagdhütte steht. Die ist so winzig, und doch hat sie alles, was man braucht. Es ist unglaublich, dass hier Jäger den ganzen langen Winter verbracht haben. Überall um uns herum blüht die Tundra. Die Blüten sind klein aber fein und geben unter diesen widrigen Bedingungen dennoch alles. Auf den Hängen können wir Rentiere beobachten. Ihre abgeworfenen Geweihe finden wir vereinzelt in der Landschaft verstreut. Wieder werden wir für eine kleine Wanderung in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe wird die Bergkuppen erklimmen und von dort einen tollen Blick auf den Gaffelbreen (Berg) haben, die mittlere Gruppe wandert auf halber Höhe und die langsame Gruppe bleibt unten und beschäftigt sich mit den Blümchen.
Wir wählen die mittlere Gruppe („The birders and flower power people“), denn wir brauchen ja immer auch ein wenig Zeit zum Fotografieren. Trotzdem wir nur auf halber Höhe wandern, haben auch wir einen traumhaft schönen Blick auf die Bucht und die sanft ansteigenden Hänge. Unterwegs entdecken wir sogar ein Nest eines Meerstrandläufers (Calidris maritima – purple sandpipers), der aufgeregt umher flattert, weil wir seinem Gelege zu nahe gekommen sind. Rasch ziehen wir uns zurück und der Piepmatz kann in Ruhe weiter brüten. Jordi und Valeska erklären uns unterwegs alle Blumen, die wir sehen und bis jeder dann sein Foto gemacht hat, dauert es natürlich. So hält sich unser Gruppentempo diesmal in Grenzen. Die Rentiere zeigen keine besonders große Scheu vor uns und kommen ein paar Mal recht nahe an die bunte Gruppe.
Als wir einen schönen Aussichtspunkt erreicht haben, „ordnet“ Valeska Schweigen an. Sie schlägt vor, dass sich jeder von uns ein gemütliches Fleckchen Erde sucht, sich hinsetzt und 5 Minuten die Stille und Schönheit der Arktis in sich aufnimmt. Wir sollen uns nur auf diese Besinnung konzentrieren, nicht fotografieren, nicht durch das Fernglas schauen, nicht sprechen und uns nicht mit irgendetwas anderem beschäftigen – sozusagen eine Yogaübung in der Arktis. Für einen Moment sind wir irritiert, doch dann gefällt uns der Vorschlag von Valeska recht gut. Wir halten die Klappe, lassen unsere Kamera, wo sie ist und genießen diese großartige Landschaft und die herrliche Ruhe. Nur ein Wasserfall plätschert in der Ferne und ein paar Gänse melden sich gelegentlich zu Wort. Sonst herrscht absolute Stille – herrlich!
Als wir eine ganze Weile so bewegungslos da sitzen, kommt ein Rentier immer näher. Keine zwei Meter ist es von den Ersten unserer Gruppe entfernt. Man sieht buchstäblich, wie es bereits jeder gedanklich mit der Kamera abschießt und doch traut sich keiner, diese Stille durch so etwas Profanes wie ein Foto zu durchbrechen. Es ist unglaublich, wie diese kurze Besinnung alle gefesselt hat.
So sitzen wir rund 10 Minuten und saugen die Schönheit der Arktis in uns auf. Wie viele werden sich hier gerade vorgenommen haben, noch einmal in diese unglaublich schöne und abgeschiedene Arktis zurückzukehren?
Nachdem alle Gruppen an die Anlandungsstelle zurückgekehrt sind, folgt auch schon die nächste Verrücktheit. Eisbaden ist angesagt. Rund 25 Leute gehen bei Wassertemperaturen von 2 Grad Celsius und 7 Grad Celsius Außentemperatur baden. Uwe nimmt die Besonnenheit des Alters für sich in Anspruch, wir drei „Mädels“ schütteln ohnehin nur den Kopf und die beiden Heißsporne Christian und Jan retten die deutsche Ehre. Tapfer stürzen sich die beiden in die Fluten – trotz Drohung, dass ihre Frauen sie nicht pflegen werden, wenn sie krank sind.
Kaum sind wir auf das Schiff zurückgekehrt, gibt es auch schon Mittagessen. Am Nachmittag steht dann unser letzter Ausflug auf dem Programm. Wir werden diesmal im Isfjorden eine Tundrawanderung unternehmen. Der Isfjord schneidet 107 km tief ins Land hinein. Er ist der Fläche nach der größte, am weitesten verzweigte Fjord. Der Berg Alkhornet liegt am Eingang des kleinen Fjords Trygghamna auf der Nordseite des Eingangs zum Isfjord. In den Steilwänden des Alkhornet brüten Dreizehenmöwen (Rissa tridactyla – black-legged kittiwakes) und Dickschnabellummen (Uria lomvia – black and Brunnich’s guillemots). Überhaupt ist es hier viel grüner, als wir es weiter nördlich bei unseren Anladungen erlebt hatten. Hier blüht die Tundra und überall kommen aus den höher gelegenen Bergen kleine Schmelzwasserbäche herunter. In den Senken wächst kräftig grünes Moos. Es ist sehr schön und friedlich hier. Wieder teilen wir uns in drei Gruppen und durchstreifen die Tundra. Highlight sind auch diesmal die vielen unterschiedlichen Blüten, die zwar recht klein sind aber nicht minder schön blühen. Sogar eine Pinkfuß-Gans sehen wir in ihrem Nest sitzen, auch wenn es unheimlich schwierig war, sie überhaupt zu entdecken. Ihre Tarnung ist unglaublich gut. Auch hier treffen wir auf Rentiere, die verhältnismäßig wenig Scheu zeigen. Die Tiere sind gerade im Fellwechsel und so kann man gut erkennen, wie dick ihr Winterfell ist.
Gegen 18:15 Uhr sind wir wieder zurück an Bord. So langsam müssen wir uns damit abfinden, dass diese tolle und sehr ereignisreiche Reise sich leider schon wieder ihrem Ende nähert. Wir befinden uns bereits im Isfjorden und das Schiff steuert nun direkt Longyearbyen an.
Heute Abend stoßen der Kapitän und die Crew noch mit uns bei einem Glas Sekt auf eine gelungene Reise an. Dazu erhält jeder von uns eine sehr schöne Urkunde, die ihm bescheinigt, mit einem Eisbären am 80. nördlichen Breitengrad „gekuschelt“ zu haben. Außerdem hat Philipp uns noch eine CD mit den wichtigsten Reisedaten zusammengestellt, die u. a. auch ein liebevoll geschriebenen Reisetagebuch und eine Liste aller gesichteten Flora und Fauna enthält. Eine wirklich gute Idee und nette Erinnerung. Dann bleiben uns während der Rückfahrt in den Hafen nur noch ein paar Sonnenspots auf die schneebedeckten Berge und die vielen Gletscher des Isfjords. Noch einmal saugen wir diese Schönheit in uns auf.
Um kurz nach 24 Uhr legt das Schiff im Hafen von Longyearbyen an. *seufz* Unser Abenteuer Arktis ist nun leider schon wieder zu Ende. Wir haben im Laufe dieser Woche insgesamt 777 Seemeilen (1439km) zurückgelegt, dabei eine faszinierende Landschaft kennengelernt; wir hatten aufregende und einmalige Tierbegegnungen und wir hatten zusammen mit Andrea, Christian, Silke und Jan eine wunderschöne Zeit und unglaublich viel Spaß. Schade, dass das alles schon wieder vorbei ist.
03.07.2011 Longyearbyen (Schiff Tag 8)
Heute müssen wir früh aufstehen, denn um 8 Uhr startet bereits unser Flieger nach Oslo. So gibt es nur ein schnelles Frühstück, während die Besatzung unsere Taschen von Bord bringt. Ein Bus fährt uns zum Flughafen, der nicht weit vom Hafen entfernt ist.
Ohne große Formalitäten aber mit gewissenhaftem Sicherheitscheck werden wir abgefertigt. Aus dem Wartebereich können wir dann beobachten, wie gerade ein großes Kreuzfahrtschiff in den Hafen von Longyearbyen einläuft. Dieses Schiff hat 1.500 Kabinen, fasst also mindestens 3.000 Menschen. Dagegen wirkt die Antarctic Dream wie ein Beiboot. Wenn diese vielen Menschen ihre Anlandungen machen, wie mag es da zugehen? Man stelle sich (bei den Walrössern) einen künstlichen Horizont von 3.000 Menschen vor. So breit war dieses Inselchen ja kaum! Gut, dass unser Schiff das Erste war, was in der Saison diese Tour gefahren ist und gut, dass es auch kleine Schiffe gibt.
Ohne größere Vorkommnisse erreichen wir Oslo. Nun müssen wir uns leider auch von Andrea, Christian, Silke und Jan verabschieden. Die einen fliegen weiter nach München, die anderen machen noch eine Woche Wanderurlaub in Norwegen. Wir haben noch 3 Stunden Zeit, bis unser Anschlussflug nach Frankfurt geht. So essen wir noch einmal diesen leckeren Fischtoast, schlendern durch die Geschäfte und beginnen, unsere Fotoausbeute auf dem Laptop zu sichten.
Der Lufthansa-Flug nach Frankfurt ist diesmal extrem laut. Irgendwie scheint hier jeder den anderen anzuschreien – oder kommt uns das nach der Ruhe in der Arktis nur so vor? Wir landen sanft und pünktlich in Frankfurt, können im Parkhaus endlich die warmen Gummistiefel gegen ein paar luftigere Sommerschuhe wechseln und fahren nach Hause. Der Alltag hat uns wieder; unser Job ab morgen auch.
Ach ja, und was machen wir jetzt mit den ganzen Medikamenten gegen Seekrankheit, von denen wir überhaupt nichts gebraucht haben??? Wir sollten diese Betrachtungen in unsere weiteren Reiseplanungen einbeziehen, denn entgegen all unseren Vorurteilen gegen Schiff und Kälte sind wir längst angefressen von dieser bizarren, einmalig schönen Eiswüste und ihren Bewohnern!
1Spitzbergen ist die Hauptinsel und Svalbard bezeichnet die gesamte Inselgruppe zwischen dem 74 und 81°N Breitengrad.